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FRIEDEN/0996: Wiederaufbau Gazas geostrategisch korrumpiert (SB)



Nachdem die sogenannte internationale Gemeinschaft drei Wochen lang dabei zugeschaut hat, wie die israelische Regierung den von ihr angestrebten Regimewechsel im Gazastreifen mit kriegerischen Mitteln zu erzwingen versuchte, soll die damit geschlagene Wunde durch großzügige Zusagen zum Wiederaufbau des zerstörten Gebiets zugepflastert werden. Hier von der Abgeltung eines schlechten Gewissens zu sprechen wäre allerdings zu euphemistisch, unterstellte dieser Psychologismus doch, daß geostrategische Entscheidungen von etwas anderem betrieben werden als dem Kalkül interessenpolitisch bedingter Einflußnahme.

Und diese verläuft auch nach dem dreiwöchigen Krieg, der als solcher eigentlich gar nicht stattfand, da die militärischen Aktivitäten auf der Seite der Palästinenser für seinen absehbaren Ausgang vernachlässigenswert waren, weiterhin auf der Bahn einer Ausgrenzung der den Gazastreifen regierenden Hamas. So realpolitisch die auf der Geberkonferenz im ägyptischen Sharm el Sheik anwesenden westlichen Regierungen ansonsten agieren mögen, so ideologisch geben sie sich im Umgang mit den Konfliktparteien Israel und Hamas. Indem sich die USA und EU die Forderung der israelischen Regierung zu eigen machen, die Hamas ohne die ihr seit ihrem Wahlsieg Anfang 2006 abverlangten Zugeständnisse in keiner Weise administrativ in den Wiederaufbau des Gazastreifens oder diplomatisch in einen Friedensprozeß einzubeziehen, betreiben sie unverändert eine Politik der politischen und humanitären Eskalation.

Fragt man nach den Motiven der Strategie, die Verteilung der Gelder und Güter ausschließlich in Zusammenarbeit mit der von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas eingesetzten Notstandsregierung in Ramallah zu organisieren, dann zeigt sich allerdings, daß der ideologische Vorbehalt gegen die Hamas unverändert auf der realpolitischen Absicht beruht, auf der Seite der Palästinenser diejenigen Kräfte zu stärken, mit der eine Befriedung möglich wird, ohne Israel Zugeständnisse abzuverlangen, zu denen zumindest ein Teil seiner Bevölkerung nicht bereit ist.

Wie schon bei der Billigung eines Krieges, der einer bereits zuvor ausgehungerten Bevölkerung einen erheblichen Blutzoll abverlangte und die Überlebenden kollektiv traumatisierte, geht es den USA und der EU um die Durchsetzung einer imperialistischen Politik, die die regionalen Bündniskonstellationen und Machtverhältnisse dauerhaft zugunsten der eigenen Hegemonie organisiert. Da der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wie ein Stachel im Fleisch des Nahen und Mittleren Ostens sitzt und die ordnungspolitische und ökonomische Subordination der bis nach Afghanistan und Pakistan reichenden Staatenwelt unter westliche Nutzungsinteressen nur unter Ausschluß vollständiger staatlicher Souveränität und Autonomie der betroffenen Länder im allgemeinen und der Palästinenser im besonderen möglich wird, steht man mit dieser Absicht nach wie vor vor der Quadratur des Kreises.

Im Umfang der zugesagten Hilfe spiegelt sich nicht nur die expansive Politik der westlichen Akteure, sondern auch die Sorge der arabischen Geberstaaten, von der durch den Gaza-Krieg gestärkten Mobilisierung islamistischer Kräfte hinweggefegt zu werden. Eine Einbeziehung der Hamas in den Wiederaufbau könnte diese Entwicklung befördern, befürchtet man insbesondere in Kairo, Amman und Riad, so daß man dort wohl oder übel der bereits zur Befriedung des Iraks von der ehemaligen US-Regierung initiierten Zweckkoalition mit Israel den Zuschlag gibt. Das wiederum kann nur in dem Maße gelingen, als die nächste israelische Regierung ihrerseits den Forderungen der internationalen Hilfsorganisationen nach Öffnung der Grenzen zum Gazastreifen entspricht.

Da die Hamas zwar geschwächt, aber nicht besiegt ist, wäre ihre Einbeziehung etwa über Intermediäre wie die Vereinten Nationen ein probates Mittel, um eine Situation zu schaffen, in der sich die Regierungen in Tel Aviv und Gaza auf einen langfristigen Waffenstillstand einigen, auf den einzugehen die islamistische Partei bereits mehrmals signalisiert hat. Inwiefern die Bildung einer nationalen Einheitsregierung der Palästinenser erfolgte oder die Palästinensergebiete mehr noch als bisher in zwei faktisch voneinander getrennte Kantone zerfallen, ist vor allem davon abhängig, in welchem Ausmaß die USA und EU weiterhin versuchen, die Fatah für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So lange dies wie bisher erfolgt, um die Hamas zu isolieren und zu stürzen, wird damit ein innerpalästinensischer Bürgerkrieg geschürt, in dem die Hamas aufgrund des diskreditierten Zustands der politischen Konkurrenz gute Chancen hätte, auf lange Sicht zu obsiegen, auch wenn oder gerade weil die Milizen der Fatah mit westlichen Mitteln paramilitärisch aufgerüstet werden.

Da die Palästinenser nach über 40 Jahren israelischer Besatzungspolitik nicht in jeder Beziehung kapituliert haben, bleiben sie auch in Zukunft ein schwer zu kalkulierender Faktor für jeden Versuch, auf demokratischem Wege eine Regierungsbildung herbeizuführen. Verzichtet man auf das Abhalten von Wahlen, dann verstärkt man die innerpalästinensischen Machtkämpfe, führt man Wahlen durch, dann riskiert man einen Sieg der Hamas. Will man tatsächlich eine Befriedung der Palästinensergebiete erreichen, dann ist das Umschiffen der islamistischen Partei ignorant und kontraproduktiv. Mit dieser Politik gibt man einer Abnutzungsstrategie den Zuschlag, die die Palästinenser nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens zu dauerhafter Ohnmacht verurteilt. Sie wird absehbar zu weiteren Versuchen Israels führen, jede Stärkung widerständiger Potentiale mit militärischen Mitteln zu brechen.

Diese verfahrene Situation läßt sich nicht durch noch so dicke Geldscheinbündel lösen, so lange es den Palästinenser nicht überlassen bleibt, ihre politischen Vertreter selbst zu bestimmen, und so lange diesen nicht zugestanden wird, ohne ihnen eigens abverlangte Vorleistungen in einen Verhandlungsprozeß mit Israel einzutreten, in dem auf Augenhöhe und unter Einbeziehung der bekannten UN-Resolutionen die Möglichkeit palästinensischer Eigenstaatlichkeit ausgelotet wird. Da dieser Weg angesichts der mangelnden Bereitschaft der künftigen israelischen Regierung, von der einseitigen Politik der Stärke zugunsten einer kooperativen Regelung abzusehen, versperrt zu sein scheint, steuert die Unterstützung Israels durch die Geberstaaten zielgerichtet auf die nächste Katastrophe zu. Um so mehr wäre es für die USA und EU an der Zeit, einen grundsätzlichen Politikwechsel vorzunehmen. Wie schlecht die Chancen dafür stehen, ist daran abzulesen, daß die Klammer einer Einbindung Israels in das geostrategische Dispositiv des Westens nur durch die Aufgabe der diesem inhärenten imperialistischen Ziele zu lösen ist.

3. März 2009