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FRIEDEN/1077: UN-mandatierte Friedenssicherung am Beispiel Irak (SB)



Um die zerstörerischen Folgen der völkerrechtswidrigen Eroberung des Iraks zu verschleiern, verzichtete die US-Militärführung von vornherein auf jenen Body Count, der der Welt im Vietnamkrieg noch als täglicher Leistungsbeweis der US-Streitkräfte vor Augen geführt wurde. Während über die Zahl der bei der Invasion in den Irak 2003 und der weiteren Okkupation des Landes gefallenen Soldaten unter den Angreifern akribisch Buch geführt wurde - was auch heißt, daß zur Schönung der eigenen Opferbilanz Soldaten herausgerechnet wurden, die erst im Lazarett den Kriegsfolgen erlagen -, erhielten die irakischen Kriegsopfer nicht einmal ein numerisches Gesicht. Wie schon im Irakkrieg 1991 waren die Verluste unter der Zivilbevölkerung des Landes wie seinen Streitkräften kein Thema, so daß sich der kolonialistische Charakter der gegen den Irak gerichteten Aggression sich in der exorbitanten Zahl vernichteten menschlichen Lebens und in seiner nichtvorhandenen Dokumentation ausdrückt. Die biologistische Lebenswertideologie scheint auf in der angeblichen Unersetzbarkeit jedes einzelnen Soldaten diesseits und der zahl- wie namenlosen Beliebigkeit der Feinde jenseits der Front.

Tatsächlich hatte eine Mitarbeiterin des Statistischen Bundesamts in Washington Informationen des Pentagons und der US-Nachrichtendienste im Rahmen einer Geheimstudie ausgewertet und die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung des Iraks im 1991er-Krieg mit über 100.000, darunter fast 40.000 Frauen und über 32.000 Kinder, angegeben. Als die unerschrockene Beth Osborne Daponte den Beschönigungen der für dieses Massaker verantwortlichen Generäle durch die Veröffentlichung dieser Zahlen entgegentrat, wurde sie entlassen.

Grobe, aus statistischen Erhebungen irakischer Behörden und internationaler Organisationen gewonnene Zahlen gehen von bis zu 37.000 zivilen und 60.000 militärischen Opfern unter den Irakern in den ersten drei Monaten des im März 2003 begonnenen Überfalls auf das Land aus. Was im weiteren Verlauf einer Besatzung, die angeblich Freiheit und Demokratie durchsetzen sollte, auf der Seite der von diesem Beglückungsprogramm betroffenen Menschen an Kriegsopfern zu beklagen war, wurde dieser Tage erstmals anhand einer Zahl aus dem Pentagon transparent. Zwischen Januar 2004 und August 2008 sollen fast 77.000 Iraker an den direkten Folgen kämpferischer Auseinandersetzungen gestorben sein. Weitere 121.000 Personen wurden in einer Zeit verletzt, in der US-Präsident George W. Bush bereits "Mission accomplished" proklamiert hatte. Diese mit bürokratischer Genauigkeit erbrachten Zahlen stellen mithin das bestätigte Minimum des Blutzolls dar, den die irakische Bevölkerung zugunsten der geopolitischen Interessen der NATO-Staaten, die den auch im Falle des Iraks geltend gemachten Terrorkrieg nach dem 11. September 2001 mit dem Eintreten des Bündnisfalls prinzipiell guthießen, leisten mußte.

Die militärische Besetzung des Iraks wurde durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen denjenigen Staaten übertragen, die das Land zuvor in einem Angriffskrieg erobert hatten. Damit wurde nicht nur nachträglich geheiligt, was als schwerster Verstoß gegen internationales Recht gilt, sondern die blutige Unterdrückung des durch diesen Völkerrechtsbruch legalisierten irakischen Widerstands gegen die Eroberer als Willen der sogenannten internationalen Gemeinschaft dargestellt. Zwar gilt der Irak heute als relativ befriedet, doch allein die dort regelmäßig mit Todesfolge für Dutzende Menschen erfolgenden Bombenanschläge repräsentieren eine Normalität, die in nordamerikanischen oder europäischen Staaten als bürgerkriegsartiger Ausnahmezustand empfunden und administriert würden.

Auch der Irakkrieg 1991 und das sich daran aus strategischen Erwägungen der Sieger anschließende, 13 Jahre währende Wirtschaftsembargo wurden vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatiert. Die weitreichende Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes, Kriegsverbrechen wie das als "Turkey Shooting" bekanntgewordene Abschießen fliehender irakischer Fahrzeuge auf der Straße von Basra, das systematische Unterpflügen weitgehend wehrloser irakischer Soldaten in ihren Schützengräben durch US-Bulldozer, die gezielte Bombardierung ziviler Schutzräume und lebenswichtiger Produktionsstätten zur Versorgung der Bevölkerung, der Einsatz radioaktiv verseuchender DU-Munition und was der Grausamkeiten mehr sind erfolgten mit dem Segen der Vereinten Nationen. Die anschließende Aushungerung des Landes mit rund 1,5 Millionen ansonsten vermeidbaren Todesopfern insbesondere unter jungen und alten Irakern war auf lange Sicht angelegt und wurde trotz Proteste vieler Menschenrechtler auf Betreiben der USA und Britanniens immer wieder erneuert.

Derzeit wird innerhalb der Partei Die Linke versucht, den Antikriegskurs der einzigen Fraktion im Deutschen Bundestag, die diese Position bislang verläßlich bezieht, mit dem Hebel der Einzelfallprüfung UN-mandatierter Militäreinsätze zu brechen. Die Heimsuchung des Iraks durch Staaten, deren Regierungen ihre geostrategische Interessen verfolgten, indem sie den irakischen Präsidenten Saddam Hussein je nach Lage der Dinge als Verbündeten und Großabnehmer ihrer Rüstungsgüter willkommen hießen oder als neuen Hitler dämonisierten und gewaltsam abrüsteten, erfolgte mithin im Rahmen eines Legalismus, der das völkerrechtliche Gewaltverbot mit teilweise exorbitanter Gewalt nicht etwa durchsetzte, sondern eigennützig instrumentalisierte. Zu behaupten, daß es in einer Zukunft verschärfter weltweiter Rohstoffkonkurrenz anders wäre, die "bewaffnete Friedenssicherung" gar ins Zeichen einer qua Good Governance bewirkten Bekämpfung des Hungers zu stellen ist so zynisch wie die fast 20 Jahre währende Kriegführung der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak im Zeichen von freedom & democracy.

16. Oktober 2010