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FRIEDEN/1087: Risse in der Blockade des Nahost-Friedensprozesses? (SB)



Faßt man Krieg und Frieden als alternierende Verlaufsformen unablässig vervollkommneter Herrschaftssicherung auf, kann man den Vollzug des seit mehr als sechs Jahrzehnten nie abgeschlossenen Friedensprozesses im Nahen Osten nicht zur Erlösung verklären. Weder läßt die kapitalistische Verwertungsordnung ein Ende der Ausbeutung im Innern der Gesellschaft zu, noch verzichtet ihr imperialistischer Expansionsdrang jemals auf die Unterwerfung anderer nationalstaatlicher Entitäten und Völkerschaften. Wenngleich damit keineswegs unabänderliche Verhältnisse beim Namen genannt sind, bedarf Streitbarkeit doch zweifellos einer Konsequenz, die nicht vor dem nächsthöheren Gebirgszug, der erst nach Besteigen des ersten Berges in noch gewaltigerer Wucht dahinter sichtbar wird, zurückschreckt.

Spricht man von Aussöhnung zwischen den bislang zutiefst verfeindeten Fraktionen palästinensischen Widerstands und Friedensverhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel, so thematisiert man die in beschränktem Umfang zur Disposition stehenden Konditionen, die in Verhandlungen definiert und im Falle eines erfolgreichen Abschlusses für eine gewisse Frist kodifiziert werden. Zwar steht außer Frage, daß derartige Abkommen die Lebensverhältnisse der davon betroffenen Menschen für mehr oder minder lange Fristen beträchtlich verändern können, doch wäre eine Analyse die Druckerschwärze nicht wert, die Frieden unbesehen als Positivum vorhält, ohne seine kurz- und langfristigen Folgen akribisch unter die Lupe zu nehmen.

Wodurch zeichnet sich der Friedensprozeß im Nahen Osten aus? Durch seine jahrzehntelange Verhinderung seitens israelischer Regierungen, die der Staatsdoktrin eines per Definition unbegrenzbaren Großisrael stets den absoluten Vorrang einräumten. Grundsätzlich unterscheidet sich Israel damit von keinem anderen Nationalstaat, da es die Sicherung lebenswichtiger Ressourcen wie insbesondere Wasser, fruchtbaren Boden und ausbeutbare Arbeitskräfte zu Lasten konkurrierender Entitäten durchzusetzen bestrebt ist. Indem das israelische Besatzungsregime jedoch ein historisch beispielloses Sonderrecht für sich reklamiert, den Ausnahmezustand verewigt und dies nur mit Hilfe massivster finanzieller, politischer und militärischer Unterstützung seiner Verbündeten aufrechterhalten kann, werden dabei fortgesetzt Muskeln überspannt, bis nicht nur die Regierungspolitik, sondern darüber hinaus auch die gesellschaftliche Befindlichkeit in einen Starrkrampf verfällt, der für die Palästinenser äußerst repressive und nicht selten mörderische Konsequenzen hat.

Israel setzt darauf, in dieser Verfassung nicht als Patient gesehen zu werden, dem man am Ende doch die endlose Geduld vorenthält, die Pflege kürzt und eigene Anstrengungen zur Lösung seines Zustands zumutet. Nicht, daß die Welt, die internationale Staatengemeinschaft oder irgendein anderes fiktives Konstrukt zur Verschleierung herrschender Verhältnisse plötzlich ein Herz für die Palästinenser entdeckte - das ist allein jenen vorbehalten, die in jedem Konflikt nach der schwächeren Seite fragen und sich auf dieser positionieren, also gewiß nicht die Sieger und Opportunisten. Die Geschäfte der Führungsmächte, die zugleich die entscheidenden Partner israelischer Regierungspolitik sind, verlangen jedoch ein gewisses Wechselspiel von Krieg und Frieden, da sich auf überlegene Waffengewalt gegründete ökonomische und politische Vorherrschaft nicht unbegrenzt veräußerlichen läßt und der Konstruktion immer neuer ideologischer Entwürfe bedarf, um die ihr unterworfenen Menschen in ihrer aussichtslosen Lage mit vorgegaukelten Perspektiven zu binden.

Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, gewiß kein Parteigänger der Verdammten dieser Erde, nimmt mit der ihm eigenen Hyperaktivität israelische Regierungspolitik aufs Korn. Wie er vor seinem Treffen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte, seien "die Parameter des Friedens" im Nahen Osten seit 20 Jahren bekannt, ohne daß sich irgend etwas getan habe. Sollten Israelis und Palästinenser bis September keine neuen Friedensgespräche in Gang bringen, werde Frankreich "Verantwortung übernehmen". Wie Sarkozy deutlich durchblicken ließ, wolle er notfalls auch ohne ein Friedensabkommen einen eigenständigen Palästinenserstaat anerkennen. Die Vorstellung, man habe Zeit, sei eine gefährliche Vorstellung, betonte der französische Präsident: "Man muss einmal zum Ende kommen." [1]

Daß Sarkozy die Geduld verliert und notfalls trotz gegenteiliger Position der deutschen Bundesregierung einen Alleingang unternimmt, der die bislang fest geschlossenen Reihen aufbräche und eine Kettenreaktion in Gang setzen könnte, energisch auf Frieden im Nahen Osten zu drängen, gefällt Kanzlerin Merkel ebenso wenig wie ihrem Außenminister Westerwelle. Unter den Abgeordneten der schwarz-gelben Regierungskoalition regen sich indessen Stimmen, die im Unterschied zu ihren Parteiführungen mit einer Aussöhnung von Fatah und Hamas leben könnten. "Eine Einigung ist die Voraussetzung für einen unabhängigen Palästinenserstaat", erklärt Joachim Hörster (CDU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die arabischen Staaten. "Gerade der israelische Siedlungsbau und jetzt die Drohung, palästinensische Steuergelder einzubehalten, helfen den Nahost-Friedensbemühungen nicht." Auch Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, sieht die Bringschuld nicht länger ausschließlich auf Seiten der Palästinenser. Er hält Versöhnung für einen wichtigen Schritt im Friedensprozeß, dem nun Taten folgen müßten: "Es kommt jetzt auch auf die israelische Regierung an, einen Beitrag zu leisten", forderte Stinner. [2]

Sollten solche Einlassungen spektakulär anmuten, so nur deshalb, weil sie in der Vergangenheit ausblieben und vieles widerspruchslos geschluckt und praktiziert wurde, was unter anderen Umständen nicht geduldet wurde. Man denke nur an die von der israelischen Regierung verhängte Sanktion, die anstehende Tranche palästinensischer Steuergelder zurückzuhalten und damit den Haushalt der Autonomiebehörde um etwa zwei Drittel zu beschneiden. Fast zeitgleich hat die EU-Kommission weitere 85 Millionen Euro für die Palästinensergebiete bereitgestellt. Wie es dazu in Brüssel hieß, sollen mit rund 45 Millionen Euro Gehalts- und Pensionszahlungen vor allem an Lehrer, Ärzte und Krankenschwestern sichergestellt werden, die bei der Palästinensischen Autonomiebehörde angestellt sind. Der Rest des Geldes soll besonders hilfsbedürftigen Familien zugute kommen. [3]

Auch dies ein ganz normaler Vorgang, wie er seit Jahren praktiziert wird. Die israelische Regierung straft die Palästinenser ab und die Europäer zahlen, um die von den Sanktionen betroffene Bevölkerung halbwegs am Leben zu halten und den Ausbruch der Hungerrevolte zu verhindern. Diese absurd anmutende Konstruktion läßt sich nur daraus erklären, daß die EU gute Gründe hat, die Lage in den besetzten Gebieten zu stabilisieren - ob man sie als humanitär wertschätzt oder als Kollaboration mit dem Besatzungsregime kritisiert, ist wie immer eine Frage des Standpunkts.

Die politische Führung Israels lehnt das Abkommen der palästinensischen Fraktionen bekanntlich ab und hat ankündigt, daß die Bildung einer Regierung unter Beteiligung der Hamas das Ende des Friedensprozesses bedeuten werde. Auch läßt sie nichts unversucht, um die Aussöhnung der Palästinenser zu diskreditieren: "Nach diesem Abkommen wird sich gar nichts ändern", verkündete Zivilschutzminister Matan Vilnai im Rundfunk. "Hamas und Fatah sind sich über nichts einig." Wenngleich er mit dieser Einschätzung wohl nicht ganz falsch liegt, macht den entscheidenden Unterschied, ob man dies begrüßt und fördert, weil man die Spaltung der Palästinenser strategisch betreibt, oder diesen Zustand innerer Feindschaft als größtes Hindernis auf dem Weg zu einem geschlosseneren und mithin gefestigteren Auftreten bedauert.

Ob die Umwälzungen im Nahen Osten letzten Endes auch den Palästinensern zu einem Durchbruch verhelfen, ist ebenso ungewiß wie die Konsequenzen für die Menschen in den anderen Ländern dieser Region. Das bekannte Sprichwort vom Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt, gibt keinen Aufschluß darüber, wann er in Erscheinung tritt - nie, hoffen israelische Regierungen, vielleicht schon morgen, sehnen Palästinenser eine Wende herbei. Hoffnung und Sehnsucht, so scheint es, sind nicht die besten Ratgeber, wenn es gilt, die eigenen Geschicke zu lenken.

Anmerkungen:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/nahost/palaestinenser- versoehnung-unter-argwoehnischen-blicken_aid_624154.html

[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-05/versoehnung-hamas- fatah-reaktion-deutschland?

[3] http://www.stern.de/news2/aktuell/eu-kommission-gibt-weitere-85- millionen-euro-fuer-palaestinenser-frei-1682171.html

7. Mai 2011