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FRIEDEN/1088: Washington verlangt Israel taktische Flexibilität ab (SB)



Kein Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern wird jemals einen Ausgleich des beiderseits erlittenen Leids herbeiführen. Weder läßt sich Leid abgelten oder entschädigen, als handle es sich um eine Ware, noch erlauben die Kräfteverhältnisse eine Lösung, die wesentlich von den vollendeten Tatsachen abweicht, die israelische Regierungspolitik im Zuge jahrzehntelanger Unterwerfung und Drangsalierung immer weiter zu Lasten palästinensischer Interessen verschoben hat. Mit Rückendeckung der USA und seiner europäischen Verbündeten konnte Israel die verschleiernd als Status quo apostrophierte Okkupation, Landnahme, Entrechtung und Abstrafung unablässig vorantreiben, die Friedensverhandlungen torpedieren und sich allen Kompromissen verschließen, die seinen Expansionsdrang beschnitten hätten. Für die Regierungen Israels war keine Lösung akzeptabel, ob diese nun einen gemeinsamen Staat, zwei nebeneinander existierende Staaten oder eine regionale Föderation zum Inhalt hat. Letzten Endes lief diese Strategie auf eine endgültige Vertreibung aller Palästinenser oder ersatzweise deren Verwahrung in einem Protektorat oder Freiluftgefängnis hinaus.

An diesem Verdrängungs- und Entwürdigungsprozeß hätte sich kein Jota geändert, sorgten nicht die Umwälzungen in Nordafrika und Vorderasien für eine Gemengelage in der gesamten Region, die unter Kontrolle zu bringen den NATO-Mächten höchste Anstrengungen abverlangt. Noch ist nicht abzusehen, ob sich das Aufbegehren der Bevölkerungen kanalisieren, ausbremsen und in die gewünschte Richtung lenken läßt. Israel ist in Folge dieser rasanten Veränderungen plötzlich nicht mehr der Nabel des Nahen Ostens, um den sich alles dreht, sondern nach wie vor ein enger und unersetzlicher Verbündeter, der jedoch in einen gemeinsamen Kurs zur Beschneidung jeglicher antiimperialistischen oder sozialrevolutionären Bewegungen in der arabischen Welt eingebunden werden muß. Solange die Regimes in den Nachbarländern mit Israel paktierten und das Schicksal der Palästinenser als folgenloses Lippenbekenntnis vorhielten, konnten israelische Regierungen tun und lassen, was sie wollten, da niemand fähig oder willens war, sie daran zu hindern. Jetzt hat sich die Situation insofern geändert, als niemand mit Sicherheit vorhersagen kann, ob sich die künftige Führung in Kairo und Tunis, Damaskus und Amman nicht mit Rücksicht auf die eigene Bevölkerung in gewissem Umfang für die Interessen der Palästinenser und der arabischen Welt gegenüber Israel starkmachen wird. Überdies bringen die sich anbahnende Versöhnung zwischen Fatah und Hamas wie auch die jüngsten Proteste von Palästinensern in den Grenzregionen zu Israel eine Variante des "arabischen Frühlings" in Schwung, die die westlichen Mächte nicht einmal zähneknirschend gutheißen wollen.

Was Washington fordert und die Europäer unterstützen, ist eine flexiblere Manöverlage Israels, die zumindest erreichbare Friedenslösungen suggeriert, indem sie nicht von vornherein völlig inakzeptable Bedingungen stellt. Prüft man Barack Obamas aktuelle Grundsatzrede auf Herz und Nieren, ist darin wenig enthalten, was den Palästinensern gefallen könnte. Ummantelt von einem Schwulst nichtssagender Worthülsen und Leerformeln droht ihnen der US-Präsident, seine Regierung werde jeden Versuch blockieren, einseitig einen Palästinenserstaat von den Vereinten Nationen bestätigen zu lassen. Da bei diesem Verfahren auch der UN-Sicherheitsrat zustimmen muß, kann das angekündigte Veto der USA diesen Ansatz problemlos zunichte machen.

Obama kritisierte die jüdischen Siedlungen nicht als illegal, forderte keinen Baustopp und bezeichnete Israel als jüdischen Staat, womit er eine Doktrin unterstützt, die etwa ein Fünftel der israelischen Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse macht, die unter einem Apartheidregime zu leiden haben. Der US-Präsident beschränkte das Rückkehrrecht auf den künftigen Palästinenserstaat, bereitete der vollständigen Anerkennung Israels im Rahmen einer Zweistaatenlösung den Weg und schloß sich Netanjahus Forderung nach einem zeitlich gestaffelten Rückzug aus dem Westjordanland nach einem Friedensschluß an, um die Belastbarkeit der Sicherheitsgarantien zu überprüfen.

Einzig der Vorschlag Obamas, der Staat Israel möge sich in die Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 zurückziehen und mithin Ostjerusalem, den Gazastreifen und das Westjordanland einem künftigen palästinensischen Staat überlassen, war insofern ein Novum, als er erstmals von einem US-Präsidenten ausgesprochen wurde. Wie jeder weiß, sind damit die für die Palästinenser und die arabischen Länder einzig akzeptablen Bedingungen grob umrissen, zu denen sie in Friedensverhandlungen eintreten oder diese gutheißen können.

Dennoch erklärte das Büro Ministerpräsident Benjamin Netanjahus postwendend, ein Rückzug auf die Grenzen vor dem Sechstagekrieg sei völlig undenkbar, da diese nicht zu verteidigen seien. Vielmehr erwarte man die Bekräftigung verschiedener Zusagen hinsichtlich des Grenzverlaufs und der Lösung des Rückkehrrechts für die palästinensischen Flüchtlinge, die George W. Bush im Jahr 2004 dem damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon 2004 gemacht hatte. Zuvor hatte Netanjahu persönlich in einem hitzigen Telefongespräch mit Außenministerin Hillary Clinton versucht, Obama dazu zu bewegen, jeden Hinweis auf den zukünftigen Grenzverlauf aus dem Manuskript zu entfernen. Dazu war man in Washington jedoch nicht bereit.

Was hat sich geändert im beiderseitigen Verhältnis, daß sich der US-Präsident nicht länger vom israelischen Regierungschef düpieren und alle Bedingungen diktieren läßt? Daß Obama und Netanjahu keine Freunde sind und sich nach ihrem Treffen in Washington nicht einmal Mühe gaben, ihre Differenzen in Abrede zu stellen, ist eher Stoff für eine politische Seifenoper, denn Substanz einer brauchbaren Analyse. Daß Barack Obama einerseits von der einflußreichen Israellobby unter Druck gesetzt wird und andererseits nicht als wachsweicher Spielball israelischer Interessen erscheinen will, wirft zwar ein Schlaglicht auf die innenpolitischen Zwänge des US-Präsidenten im Kontext seiner Ambitionen, wiedergewählt zu werden, doch liefert es für sich allein genommen keinen Schlüssel zur Erklärung des sogenannten Tabubruchs, den Rückzug Israels auf die Grenzen vor 1967 zu fordern.

Wenn die US-Regierung sich genötigt sieht, die für alle Welt offensichtliche Blockade der Nahost-Friedensgespräche durch Israel zumindest dem Schein nach mit einer großen Geste zu beenden, so gewiß nicht deshalb, weil die Bündnispartnerschaft brüchig geworden wäre. Washington kann jedoch die starrsinnige und kompromißlose Haltung einer israelischen Regierung derzeit am allerwenigsten gebrauchen, die fortgesetzt Öl ins Feuer nicht auszuschließender Erhebungen in den Palästinensergebieten gießt, als sehe sie nicht in der Nachbarschaft Regime stürzen, die kaum weniger fest im Sattel zu sitzen schienen.

21. Mai 2011