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FRIEDEN/1110: Blockfreie Länder des Südens bestreiten Vormachtstellung der USA und EU (SB)




Wie stets bei den Gipfeltreffen der Blockfreienbewegung wird auch dieses Mal der UN-Generalsekretär anwesend sein. Was bei den alle drei Jahre stattfindenden Treffen der Bewegung blockfreier Staaten (NAM) üblich ist, sollte diesmal jedoch durch massive Einwände der USA und Israel gegen die Teilnahme Ban Ki Moons verhindert werden. Das 16. Gipfeltreffen der 1961 im Zeichen des neuen Selbstbewußtseins der postkolonialen Staatenwelt und als Akt des organisierten Widerstands gegen die Austragung imperialistischer Kriege in der südlichen Hemisphäre gegründeten Organisation findet vom 26. bis 31. August in der iranischen Hauptstadt Teheran statt. Zu allem Überfluß - so meint man zumindest in Washington - wird dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad bei diesem Treffen die protokollarische Führung dieser Staatenorganisation übergeben.

Um das Ereignis in Mißkredit zu bringen und Ban von der Teilnahme an ihm abzuhalten, erinnerte US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland am 16. August daran, daß es ein "sehr merkwürdiges Signal in Hinsicht auf die Unterstützung der internationalen Ordnung und der Hoheit des Rechts" sei, wenn diese Konferenz in einem Land stattfindet, "daß viele seiner internationalen Verpflichtungen verletzt und eine Bedrohung für seine Nachbarn darstellt" [1]. Dies aus dem Munde der Sprecherin der Außenministerin eines Staates zu vernehmen, dessen Regierung sich ohne weiteres herausnimmt, die Souveränität anderer Staaten völkerrechtswidrig mit kriegerischen Mitteln zu verletzen und dessen Hauptverbündeter in der Region seinerseits eine erhebliche Bedrohung für seine Nachbarn darstellt, dokumentiert die Arroganz einer Macht, in deren Selbstverständnis das Bombardieren anderer Bevölkerungen wenn ohnehin nicht zum Besten der Betroffenen erfolgt, dann doch zumindest dem Vorrecht eigener Suprematie entspringt.

Die USA führen in mehreren Ländern des Nahen und Mittleren Ostens Krieg, Israel verstößt seit Jahrzehnten permanent gegen UN-Resolutionen und hat im Libanonkrieg 2006 gezielt die zivile Infrastruktur des Nachbarlandes zerstört. Der iranischen Regierung werden aggressive Vernichtungsabsichten unterstellt von einem atomar hochgerüsteten und sich vom Atomwaffensperrvertrag fernhaltenden Land, das völkerrechtswidrig damit droht, einen Aggressionskrieg zu führen, um angebliche atomare Rüstungsbestrebungen zu verhindern, einer atomwaffenfreien Zone in der Region aber nicht zustimmen will. Um diese offenliegenden Widersprüche kleinzureden, wird ideologisch mit der Verabsolutierung einer Freiheitsdoktrin gegen die NAM-Staaten zu Felde gezogen, bei der die Entfesslung eigener Kapitalmacht die autoritäre Bevormundung anderer Staats- und Gesellschaftsformen legitimiert.

Was bei der Einteilung der Welt in die angeblich freien Metropolengesellschaften des HighTech-Kapitalismus und einen von Despoten und Diktatoren beherrschten globalen Süden nicht mitgedacht wird, sind die historischen, geostrategischen und weltwirtschaftlichen Bedingungen eines Produktivitätsgefälles, das die größere Zahl der Menschen zu einem Leben in bitterer Armut verdammt. Die politische Autokratie in der postkolonialen Welt ist zumindest mittelbare Folge ihres deklassierten Status als verlängerte Werkbank und billige Ressourcenquelle für die hochprofitable Konzernmacht in Westeuropa, Nordamerika und Japan. Auch wenn sich dieses Verhältnis zugunsten der Schwellenstaaten verschiebt, ist die ideologische Herabwürdigung der Länder des Südens unschwer als legitimatorisches Instrument der fortgesetzten Ausbeutung ihrer Bevölkerungen im Interesse einer materiell privilegierten Minderheit zu erkennen. Ohnehin erfreuen sich veritable Diktaturen der Unterstützung der EU und USA, wenn sie freien Marktzugang, Rechtssicherheit und Investitionsschutz garantieren und die Lebensinteressen der eigenen Bevölkerung den Verwertungsimperativen transnationaler Wirtschaftsakteure nachordnen.

So willkürlich wie das den Konflikt um die Teilnahme des UN-Generalsekretärs befeuernde Gewaltverhältnis ist auch die Herabwürdigung der zweitgrößten Staatenorganisation nach den Vereinten Nationen, die fast ausschließlich aus Ländern des Südens besteht und mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung auf sich vereint. Während das Hegemonialkartell der NATO-Staaten seinen Anspruch auf Definitionshoheit bei globalen Konflikten dadurch unterstreicht, daß es behauptet, die "internationale Gemeinschaft" zu repräsentieren, obwohl es nur etwas mehr als 15 Prozent der Weltbevölkerung stellt, wird die Blockfreienbewegung in Berichten der US-amerikanischen wie europäischen Presse gerne als historisch überkommene Erscheinung des Kalten Krieges diskreditiert und ihre Relevanz durch Zusätze wie "selbsternannt" oder "sogenannt" bestritten.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand, treten die NAM-Staaten doch nach wie vor für die Wahrung des völkerrechtlichen Gebots der Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten, für die Demokratisierung der Vereinten Nationen gegen das Kartell der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, für eine wirksame Kontrolle von Atomwaffen auch der offiziellen Atommächte und eine multipolare wie ökonomisch gerechtere Weltordnung ein. Um ein Zeichen gegen die sie benachteiligende Dominanz der ökonomisch und militärisch führenden Staaten zu setzen, wurde in den Abschlußerklärungen der letzten NAM-Gipfel mit großer Mehrheit das Recht des Iran auf die eigenständige zivile Nutzung der Kernenergie betont. Da dies zugleich mit der Forderung nach der internationalen Abrüstung von Atomwaffen einherging, ist dies vor allem als Veto gegen die Bevormundung durch Staaten zu verstehen, die für sich in Anspruch nehmen, nicht nur über alle, also auch die waffenfähigen Prozesse der Urananreicherung zu verfügen, sondern auch Atomwaffen in ihrem Arsenal zu haben. Dieses in militärischen Konflikten ultimative Erpressungspotential zu eigenen Gunsten zu kontrollieren widerspricht dem Geist der auch von den Regierungen der führenden NATO-Staaten erklärten Absicht, der Forderung des atomaren Nichtverbreitungsvertrags nach Abschaffung ihrer Massenvernichtungswaffen nachzukommen.

Ban Ki Moon hat mit seiner starken Parteinahme für die Interessen der USA und EU dem weiteren Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen Vorschub geleistet und ist schon aufgrund seiner angeschlagenen Glaubwürdigkeit als UN-Generalsekretär gut beraten, nach Teheran zu reisen. Daß dies in Washington dennoch auf wenig Gegenliebe stößt, läßt ahnen, wie sehr die Bereitschaft zur Kriegführung gegen den Iran dort bereits gediehen ist. Gelingt es der Teheraner Regierung, sich als konzilianter Sachwalter einer regionalen Friedenssicherung in Szene zu setzen, dann wäre die von USA und EU betriebene Isolation des Landes desto schwerer durchzuhalten. Das gleiche gilt für die auf dem Gipfel geplante Aushandlung einer friedlichen Beilegung des Konflikts in Syrien. Damit bauten die NAM-Staaten ein wirksames Kontergewicht gegen die Bestrebungen der NATO-Staaten auf, in Damaskus einen Regimewechsel auch mit kriegerischen Mitteln herbeizuführen und die Nachkriegsordnung maßgeblich zu bestimmen.

Auch die Anwesenheit des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in Teheran kann als diplomatische Niederlage für die USA gewertet werden. Die Regierung in Washington war zweifellos daran beteiligt, daß dessen Amtsantritt zu Lasten des Militärrates SCAF erfolgte und damit seine Macht über die zivile Regierung des Landes eingeschränkt wurde. Daß Mursi als erster Präsident des größten arabischen Staates seit Ausrufung der Islamischen Republik 1979 nach Teheran reist, könnte sich negativ auf die Interessen der israelischen Regierung auswirken, wird der Lösung der Palästinenserfrage auf den NAM-Gipfeln doch stets besondere Bedeutung beigemessen.

Allein die Möglichkeit, daß dieser Gipfel die hegemoniale Vormachtstellung der USA, EU und Israels im Nahen und Mittleren Osten erschütterte, ist für deren Regierungen ein Affront. Indem die Politiker dieser von globalhegemonialen Konflikten wie sozialen Kämpfen erschütterten Region beanspruchen, in größerem Maße Einfluß auf die eigene Entwicklung zu nehmen, handeln sie bei allen Widersprüchen, von denen die Herrschaftsverhältnisse in ihren Gesellschaften bestimmt sind, im Interesse der dort lebenden Menschen, jede weitere kriegerische Eskalation zu verhindern. Zweifellos stehen den Bevölkerung der Region harte Kämpfe um soziale Gleichstellung und politische Selbstbestimmung bevor, doch diese werden desto wirksamer unterdrückt, je mehr ihre Gesellschaften zum Schlachtfeld imperialistischer Akteure erklärt werden.

Fußnote:

[1] http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2012/08/196589.htm#IRAN

27. August 2012