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FRIEDEN/1117: Theaterdonner um israelischen Siedlungsbau (SB)




All das ist nicht neu, sondern seit langem bekannt. Auch die nun für Empörung in den Hauptstädten der Verbündeten Israels sorgende Entscheidung, 3000 neue Wohneinheiten auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland zu errichten, wurde seit längerem vorbereitet. Sie betrifft unter anderem das raumstrategisch besonders empfindliche Gebiet zwischen Jerusalem und der Siedlung Maale Adumim, dessen Brückung durch israelische Siedlungen den freien Zugang vom Westjordanland nach Ostjerusalem unterbräche. Damit würde die 1980 von Israel vollzogene Annexion ganz Jerusalems de facto zementiert, und die Forderung, den östlichen Teil der Stadt, dessen palästinensische Bevölkerung einer schleichenden Vertreibung mit administrativen Mitteln ausgesetzt ist, zur Hauptstadt des zu gründenden Staates Palästina zu erklären, hätte immer weniger Aussicht darauf, verwirklicht zu werden.

Diesen absehbaren Schritt hätten die nun mit demonstrativ negativen Reaktionen aufwartenden Regierungen führender NATO-Staaten, wenn sie es denn gewollt hätten, dadurch verhindern können, daß sie ihr Veto oder ihre Enthaltung in der UN-Generalversammlung im Vorwege an die Bedingung eines vollständigen und unumkehrbaren Stopps des Siedlungsausbaus geknüpft hätten. Dazu hätte aller Anlaß bestanden, ist es doch seit langem eine stehende, weil permanent widerlegte Redensart unter Vermittlern im Friedensprozeß, daß man den Kuchen nicht gleichzeitig essen und über seine Aufteilung verhandeln kann. Die politische Konditionierung des Abstimmungsverhaltens bei den Vereinten Nationen ist ein probates Mittel, um politischen Druck auszuüben, und wird in anderen Fällen geradezu exzessiv angewendet. Die USA, Britannien und Deutschland wären ihren diplomatischen Gepflogenheiten, mit denen sie am Hudson River Weltpolitik machen, keineswegs untreu geworden, wenn sie auf diese Weise die Forderung durchgesetzt hätten, daß dem Friedensprozeß nicht jegliche territoriale Grundlage entzogen wird. Schließlich wurden das Veto der USA und Kanadas wie die Enthaltung Britanniens und Deutschlands damit begründet, daß man einer Aufwertung der palästinensischen Seite nicht zustimme, weil dies für den Friedensprozeß angeblich kontraproduktiv wäre.

Rund 500.000 israelische Siedler leben bereits im Westjordanland und Ostjerusalem. Die weit in palästinensisches Gebiet ausgreifenden, über 120 aus Sicht der israelischen Regierung legalen Siedlungen werden ergänzt durch rund 100 illegale Siedlungen, die sukzessive legalisiert werden. Diese Exklaven des Staates Israel und die dazugehörige Infrastruktur aus exklusiv den Siedlern vorbehaltenen Straßen nebst dazugehörigen Sicherheitszonen werden durch die israelischen Streitkräfte geschützt und hinterlassen den Palästinensern schon jetzt ein derart fragmentiertes und parzelliertes Territorium, daß der historische Vergleich mit den Homelands des südafrikanischen Apartheidstaates nicht unangemessen ist. Das von der PLO kontrollierte Gebiet palästinensischer Autonomie umfaßt nicht mehr als 18 Prozent des Westjordanlandes. Außerhalb dessen hat das israelische Besatzungsregime eine hochkomplexe Kontrollmatrix aus administrativen, repressiven und ökonomischen Maßnahmen errichtet, die ihr die palästinensische Bevölkerung auf Gedeih und Verderb ausliefert. Letztlich stehen auch Gaza und die palästinensischen Autonomiegebiete unter israelischer Kontrolle, sind diese Gebiete doch allein nicht lebensfähig und zudem durch israelische Militärinterventionen bedroht.

Wenn also die britische Regierung den israelischen Botschafter einbestellt, um ihm eine Protestnote zu überreichen, und dazu erklärt wird, dieser wie weitere Schritte seien mit der US-Regierung abgesprochen, wenn selbst die Bundesregierung deutliche Kritik an der Entscheidung zum Siedlungsausbau übt, dann wird damit lediglich böse Miene zum längst akzeptierten Spiel gemacht. Es geht diesen und anderen NATO-Staaten wie Frankreich, die ihrem Unwillen öffentlich Ausdruck verleihen, darum, an anderen nahöstlichen Fronten wie Syrien, Ägypten und Iran das Gesicht neutraler Instanzen zu wahren. Sie stehen vor dem Problem, den vorbehaltlosen Charakter des Bündnisses mit Israel mit den Zweckbündnissen in Einklang zu bringen, die sie mit islamistischen Kräften in Syrien und Ägypten wie auch im NATO-Staat Türkei geschlossen haben.

Alleiniger Maßstab für alle politischen und diplomatischen Schritte ist das eigene Hegemonialstreben, das den europäischen NATO-Staaten mehr Zugeständnisse in Richtung der arabischen Kritiker der israelischen Siedlungspolitik abverlangt als den USA. In Washington steht man, aller Differenzen zwischen Barack Obama und Benjamin Netanjahu eingedenk, fast kompromißlos hinter der israelischen Regierung, was im Endeffekt eine Frage militärischer Durchsetzung ist, zu der die US-Regierung eher bereit ist als ihre europäischen Verbündeten. Ginge es den EU-Staaten tatsächlich darum, den sogenannten Friedensprozeß zum Ende einer realen Zweistaatlichkeit zu bringen, dann verfügten sie über ein weites Arsenal möglicher Druckmittel ökonomischer und politischer Art. Daß diese nicht eingesetzt werden, macht gelegentlichen Theaterdonner erforderlich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat stets deutlich gemacht, daß ihr 2008 vor der Knesset abgegebenes Bekenntnis, die israelische Sicherheit sei Bestandteil deutscher Staatsräson, nicht nur eine symbolische Gefälligkeit war. Wenn der israelische Ministerpräsident Netanjahu am Mittwoch zu den vierten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nach Berlin kommt, wird es keinen Eklat geben, der in einem Umdenken der Bundesregierung resultiert, sondern man wird sich konziliant auf eine rhetorische Formel einigen, die niemandem wehtut außer den Palästinensern. Diese mögen in vielen Ländern Zustimmung für ihren Kampf um das Ende des israelischen Besatzungsregimes erhalten, doch schlußendlich entscheiden allein machtpolitische Fragen darüber, wer leben darf und wer sterben muß. Ein Junktim zwischen den arabischen Rebellionen, die sich immer mehr als Neuformatierung westlicher Hegemonie über den Nahen und Mittleren Osten erweisen, und dem Befreiungskampf der Palästinenser darf es unter keinen Umständen geben, nur deshalb werden regierungsamtliche Irritationen simuliert und Protestnoten inszeniert.

3. Dezember 2012