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HEGEMONIE/1565: Imperien zehren vom Mythos äußerer Bedrohung (SB)



Es zählt zu den essentiellen Wesensmerkmalen imperialer Machtentfaltung, eine unablässige äußere Bedrohung vorzuhalten und zu einer gleichsam mythischen Gefahrenlage zu überhöhen, die als unhinterfragtes Axiom in das Denken der Reichsbürger eingeht und ihre Verfügbarkeit maßgeblich erwirtschaftet und lenkt. Handelte es sich um ein Täuschungsmanöver im Sinne klassischer Propaganda, liefe dieses Konstrukt permanent Gefahr, als Indoktrination erkannt und widerlegt zu werden. Gefordert ist also ein ungleich robusteres und zugleich raffinierteres Instrument, das sich so nachhaltig ins vorherrschende Bewußtsein einlagert, daß jeder Zweifel daran als absurd verworfen oder Inbegriff bösartigster Gesinnung sanktioniert wird.

Gemessen an seiner Fläche und Einwohnerzahl ist der Staat Israel ein Zwerg, der sich auf einer Weltkarte kaum noch ausmachen läßt. Politisch und militärisch ist er jedoch ein Gigant, der weit über den Nahen Osten hinaus seine Wirkung entfaltet. Dies ist nur möglich auf Grundlage der Einbindung ins imperiale System der Vereinigten Staaten, unter deren Verbündeten das kleine Land nicht nur als Speerspitze in der Region eine Sonderstellung einnimmt. Wenngleich Israel als weltgrößter Empfänger von Militärhilfe wie auch anderer Geldströme ohne die USA kaum lebensfähig wäre, fristet es doch keine Existenz am Tropf dieser Versorgung, die es den Wünschen Washingtons bedingungslos unterwerfen würde. Vielmehr kommt es im Rahmen dieses Schulterschlusses durchaus vor, daß dem Seniorpartner die Initiative abgenommen und das Handeln aufgenötigt wird.

Dem zionistischen Entwurf ist es mit durchschlagendem Erfolg gelungen, eine eigene Variante imperialer Herrschaftssicherung von außerordentlicher Durchsetzungsfähigkeit zu entwerfen und zur Anwendung zu bringen. Man kann dieses Streben regional als die nie aufgegebene Schaffung von Großisrael identifizieren, das sich die Palästinensergebiete nach und nach einverleibt und Teile Ägyptens, Jordaniens, Syriens und des Libanons keineswegs ausschließt. Bezeichnenderweise ist Israel nach wie vor ein Staat ohne festgelegte Grenzen, was nur darauf hinauslaufen kann, sich die Option der Expansion jederzeit offenzuhalten. Zugleich greift dieser Entwurf noch weiter hinaus und behält sich das Recht vor, Feinde wie vordem den Irak oder heute den Iran präventiv anzugreifen und dies als legitimen Akt der Verteidigung auszuweisen.

Andere Länder militärisch anzugreifen und sich dabei als potentielles Opfer darzustellen oder die abgrundtief unterlegenen Palästinenser mit einer gewaltigen Kriegsmaschinerie niederzuwalzen und dabei Recht und Moral für sich zu reklamieren, bedarf zwangsläufig weit mehr als eines propagandistischen Taschenspielertricks, der die Weltöffentlichkeit kurzzeitig blendet. Wenn vor aller Augen David gegen Goliath inszeniert wird, ohne daß es den Zuschauern in den Sinn kommt, daß die Rollen längst vertauscht sind, muß die Wirkgewalt dieses Entwurfs tiefer wurzeln und mächtiger austreiben.

Kernelement dieses strategischen Entwurfs ist die ewige Bedrohung, die aus der historischen Verfolgung bis hin zur Zäsur des Holocaust abgeleitet und zu einem mit keiner anderen Katastrophe vergleichbaren geschichtlichen Sonderfall hochstilisiert wird, der das Moment der Gefahrenlage perpetuiert und alle Handlungsweisen unter das Recht auf Selbstverteidigung subsumiert. Wie das römische Imperium die Barbaren brauchte oder das chinesische Reich die ewige Furcht vor den Steppenvölkern wachhielt, so kreierten die USA ihre Terrorgefahr und israelische Regierungen ihre arabischen Erzfeinde, die sie ins Meer zurücktreiben und den Staat Israel auslöschen wollten.

Wenngleich sich solche Bedrohungsszenarien natürlich existierender Konflikte bedienen, sind sie doch in mehr oder minder großen Anteilen fiktiv und verdrehen insbesondere die vorherrschenden Bestrebungen und Kräfteverhältnisse. Widersetzen sich andere Völker der Unterwerfung und Vertreibung, wird dies zu einem Angriff auf die Zivilisation und ihr Ordnungsgefüge umgedeutet. Selbst wenn man tausend Feinde für ein Dutzend eigener Opfer erschlägt, klagt man über die Tücke und Bosheit dieses Gegners, der alles und jeden bedroht. Auch wenn 99 Prozent der Reichsbürger nie im Leben einen Barbaren, Steppenreiter, Terroristen oder arabischen Attentäter zu Gesicht bekommen haben, sind diese finstersten Gestalten doch präsent und abrufbar im Bewußtsein aller.

Daß dem mit Psychologie und anderen Deutungsversuchen nicht beizukommen ist, liegt auf der Hand. Es handelt sich schließlich um eine der mächtigsten Waffen imperialer Expansion, die Kriege nicht etwa nur flankiert, sondern zu einer Notwendigkeit im Kontext der Herrschaftssicherung macht. So wenig die militärische Unterwerfung realer Gegner und die Sicherung von Sourcen in Abrede gestellt werden soll, so wenig führen Imperien sinnlose Kriege, nur weil man im Einzelfall nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen kann, welchen vordergründigen Zwecken diese Entfaltung militärischer Zwangsmittel geschuldet ist.

Kriege zu führen, heißt nicht zuletzt Szenarien äußerer und innerer Bedrohung zu realisieren, die den Leim imperialen Machterhalts abgeben. Deshalb hat Israel den Gazastreifen angegriffen und dabei mit ungeheurer Brutalität zugeschlagen, obwohl dies durchaus die Gefahr barg, eine entsetzte Weltöffentlichkeit schwankend in ihrer bedingungslosen Unterstützung werden zu lassen. Mit dieser massiven und unerhört grausam vorgetragenen Invasion wurde gleichsam die Bedrohung durch den palästinensischen Widerstand in Gestalt der Hamas so maßlos verdreht und überhöht, daß die angebliche Verwerflichkeit und Macht dieses Gegners nur um so tiefer im Denken der Menschen verankert wird.

18. Februar 2009