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HEGEMONIE/1604: Diplomatische Akrobatik flankiert Israels Siedlungsbau (SB)



Wenn das keine Diplomatie ist! Ein für vergangene Woche in Paris geplantes Treffen zwischen dem US-Sondergesandten George Mitchell und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war von letzterem mit der Begründung abgesagt worden, er brauche mehr Zeit für die Vorbereitung. Gestern traf der enge Vertraute Barack Obamas in New York mit Israels Verteidigungsminister Ehud Barak zusammen, worauf beide nach dem mehr als vierstündigen Gespräch eine positive Bilanz ihrer Zusammenkunft zogen. Wie seitens eines hochrangigen Regierungsvertreters verlautete, lägen angesichts des positiven Gesprächsklimas die Voraussetzungen für ein Treffen zwischen Mitchell und dem israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, das in zwei bis drei Wochen stattfinden könnte. (Focus 01.07.09)

Das muß man erst einmal sortieren: Zunächst will Netanjahu den Sondergesandten nicht treffen, weil er noch nicht vorbereitet sei. Dann unterhält sich Mitchell so gut mit Barak, daß man Grund zur Annahme hat, einem Treffen Mitchells mit Netanjahu stehe nichts mehr im Weg. Geht es denn hier um eine Audienz beim Sonnenkönig, derer sich der niedere diplomatische Adel erst einmal durch Takt und Artigkeiten im Vorzimmer würdig erweisen muß? Abgesehen davon ist man natürlich gespannt, was Mitchell und Barak bei ihrem fruchtbaren Gespräch vereinbart haben.

Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministeriums haben sich die Gesprächspartner zunächst nur darauf geeinigt, daß Israel in der Frage des umstrittenen Siedlungsbaus "Schritte ergreifen" müsse. Welcher Art diese sein sollen, wurde jedoch nicht spezifiziert. Es gebe noch einige Differenzen, aber die Richtung sei positiv, zitierte Haaretz.com kaum weniger vage eine nicht näher genannte Quelle im Ministerium. Und was meint Barak selbst? Es sei noch "etwas zu früh" zu sagen, ob die israelische Regierung der Forderung nachgebe, hielt sich der Minister rundum bedeckt. Verschließen wolle man sich aber nicht, fügte er hinzu, weshalb man alle Beiträge prüfe, die Israel zum Start bedeutender Friedensbemühungen leisten kann. (Süddeutsche 01.07.09)

Dazu fiele einem eine Menge ein: Beispielsweise könnte die israelische Regierung klipp und klar Farbe zum Siedlungsbau bekennen, um den es angeblich bei dem Gespräch gegangen ist. Das sieht Ehud Barak anders, der davor warnte, die Differenzen zwischen den USA und Israel im Hinblick auf den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland überzubewerten. Wenngleich hinsichtlich der israelischen Siedlungspolitik noch Uneinigkeit herrsche, glaube er nicht, daß man in einer Sackgasse war und es nach wie vor sei. Schließlich sei die Siedlungspolitik nur ein Element bei den Gesprächen über einen umfassenden Nahost-Friedensvertrag.

Einerseits will man noch nicht ernsthaft über die Siedlungspolitik reden, die andererseits auch gar nicht so wichtig sei, argumentiert Barak. Worüber sollte man dann sprechen? Über Ostjerusalem, das Netanjahu in seiner Rede für Israel reklamiert hat? Über die Absage an das Rückkehrrecht der Palästinenser? Über die sicheren Grenzen, sprich die weitere Okkupation? Über die palästinensische Regierung, der die Hamas nicht angehören darf? Da Netanjahu in seiner Grundsatzrede Vorbedingungen gestellt hat, die kein Palästinenser, Araber oder Muslim akzeptieren kann, gehen einem doch schnell die verhandelbaren Themen aus. Da sollte man vielleicht doch bei der Siedlungspolitik bleiben.

US-Präsident Barack Obama hatte Anfang Juni bei seiner Ansprache in Kairo einen vollständigen Stopp aller israelischen Siedlungsaktivitäten gefordert. Darauf erwiderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er wolle keine neuen Siedlungen bauen und kein neues Land von Palästinensern konfiszieren, doch bestehe er auf einem natürlichen Wachstum in bestehenden Siedlungen. Wer den Verdacht hegt, daß Netanjahu das Gegenteil dessen meint, was Obama markig verlangt hat, und angesichts der ewig schwammigen Worte lieber die Taten unter die Lupe nimmt, bekommt folgendes zu Gesicht: Zu Wochenbeginn - und damit unmittelbar vor dem Treffen zwischen Mitchell und Barak - hatte die israelische Regierung grünes Licht für den sofortigen Bau von 50 Wohnungen in einer Siedlung im Westjordanland gegeben. Überdies wußten israelische Medien zu berichten, es existierten laut einem Vermerk des Verteidigungsministeriums sogar grundsätzliche Pläne für den Bau von insgesamt 1.450 Wohnungen in der Siedlung Adam nordöstlich von Jerusalem.

Heute wird der Bau neuer Wohnungen beschlossen, morgen versichert man treuherzig, man brauche noch ein wenig Zeit, bis man sich definitiv äußern könne. Wer das als höchst undiplomatisches Vorgehen rügt, hat offenbar die Lektion noch nicht gelernt: Das ist Nahostdiplomatie - zumindest so, wie man sie seit Jahrzehnten kennt. Der palästinensische Minister für Jerusalem-Angelegenheiten, Hatem Abdel Kader, drückte es im israelischen Online-Dienst "ynet" folgendermaßen aus: Israel pfeife in der Siedlungsfrage auf die USA. Die Entscheidung torpediere jede Möglichkeit für einen echten Friedensprozeß. Im Schatten dieser Politik gebe es keine Chance, daß Abbas und Netanjahu gemeinsam am Verhandlungstisch sitzen. Wieso kann man sich nur des Eindrucks nicht erwehren, daß Friedensverhandlungen mit den Palästinensern auf israelischer Seite gar nicht vorgesehen sind?

1. Juli 2009