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HEGEMONIE/1608: Virulente Konflikte dementieren Annäherung zwischen USA und Rußland (SB)



Bei seinem Staatsbesuch in Moskau wußte US-Präsident Barack Obama seinem Gastgeber, Präsident Dimitri Medwedew, allerlei Nettigkeiten zu sagen. Das Bild des Wolfs, der Kreide gefressen hat, dürfte sich nicht nur dem von Obama gemaßregelten Ministerpräsidenten Vladimir Putin aufgedrängt haben. Auch der vom US-Präsidenten umworbene Medwedew kam wohl kaum umhin, dessen Charme-Offensive mit Argwohn zu betrachten. Obamas Versuch, die Außenpolitik seines Landes als überaus friedfertig und gerecht darzustellen, gipfelte in der Behauptung, die Zeiten imperialer Übergriffe seien endgültig vorbei. Heute würde eine Großmacht sich nicht mehr dadurch hervortun, andere Länder zu dominieren oder zu dämonisieren.

Dies war offensichtlich an die Adresse des Kreml gerichtet, der von Washington bezichtigt wird, frühere Sowjetrepubliken wie Georgien und die Ukraine militärisch zu bedrohen oder energiepolitisch zu erpressen. Die Kriege und Kriegsdrohungen, mit denen Washington Druck auf souveräne Staaten ausübt, werden hingegen schlicht dem universalen Charakter des selbsterklärten Auftrags zugeschlagen, als weltweit größte Militärmacht im Namen der internationalen Gemeinschaft für Ordnung in der Welt zu sorgen. Die USA agierenn mithin nicht als ein Staat unter vielen und können damit auch nicht den gleichen Bewertungskriterien unterworfen werden. Anders ist nicht zu erklären, wie Obama seine Gastgeber über den großen Wert staatlicher Souveränität lektionieren und behaupten konnte, daß sein Land keinem anderen vorschreibt, wie und von wem es regiert werden soll.

Hätte Obama sein emphatisches Bekenntnis zur Unabhängigkeit und Souveränität jedes Staats mit einer Absage an die bisherige US-Politik verbunden, auf militärische, diplomatische, ökonomische und geheimdienstliche Weise massiven Einfluß auf die inneren Verhältnisse anderer Länder zu nehmen, dann hätten seine Behauptungen den Charakter eines Angebots zur Güte gehabt. Statt dessen zog der US-Präsident Linien, die Rußland nicht überschreiten soll, wenn es nicht mit einem härteren Kurs Washingtons konfrontiert werden will.

Das gilt nicht nur für den Konflikt um Georgien, der sich gerade wieder durch die Anwesenheit eines US-Kriegsschiffs zum Abhalten gemeinsamer Manöver mit den Streitkräften des Landes anheizt, das gilt nicht nur für die nach wie vor bestehenden Differenzen um den Kosovo oder die Beziehungen, die Moskau zu Teheran unterhält. Auch das gemeinsame Projekt atomarer Abrüstung besteht hauptsächlich aus dem sich immer gut machenden Aussprechen bester Absichten. Es ist bislang von völlig unverbindlicher Art und mit Paramatern ausgestattet, die zeigen, daß sich insbesondere die USA nicht auf ernstzunehmende Zugeständnisse einlassen wollen. Nicht einmal die angeblich gegen den Iran gerichtete Aufstellung einer Raketenabwehr in Polen und Tschechien stellte Obama zur Disposition einer Annäherung, was ganz offensichtlich heißt, daß es keine solche gibt.

Sie läßt sich auch nicht aus dem russischen Zugeständnis ableiten, daß die USA den militärischen Nachschub nach Afghanistan künftig auch über russisches Territorium organisieren können. Damit handelt der Kreml im eigenen Interesse am Zurückdrängen islamistischer Kräfte, die die Stabilität russischer Föderationssubjekte mit größeren Anteilen an muslimischer Bevölkerung bedroht. Zudem könnte gemutmaßt werden, daß man in Moskau nicht ungerne dabei zuschaut, wenn die NATO in Afghanistan beschäftigt bleibt. Daß sie nicht in der Lage ist, das Land zu befrieden, zeigt dem westlichen Militärbündnis Grenzen auf, die für russische Strategen von besonderem Interesse sind.

Auch der beinahe zeitgleich erfolgte Vertragsabschluß zum Bau der Nabucco-Pipeline spricht nicht gerade dafür, daß das Weiße Haus dem Kreml entgegenkommt. Wie Nebojsa Malic (www.antiwar.com, 15. Juli 2009) berichtet, waren die USA bei der Unterzeichnung des Nabucco-Vertrags am 13. Juli durch ihren Sonderbotschafter für Eurasische Energie, Richard Morningstar, und Senator Richard Lugar, ranghöchster Republikaner im Außenpolitischen Ausschuß des US-Senats, vertreten. Wie die aggressive Parteinahme Washingtons für das mit US-Geldern und -Militärhilfe aufgerüstete Nabucco-Transitland Georgien und die subversiven Bestrebungen, mit denen regierungsnahe US-Stiftungen in postsowjetischen Republiken bunte Revolutionen mit dem Ergebnis des Sturzes rußlandfreundlicher Regierungen unterstützten, belegen, haben die USA wesentlichen Anteil daran, daß der Boden für eine Gaspipeline bereitet wurde, die die Dominanz Rußlands bei der Energieversorgung der EU mindern soll.

Für die Planer in Washington ist die europäische Energiesicherheit vor allem Mittel zum Zweck ihrer gegen die Hegemonie Rußlands in Eurasien gerichteten Strategie. Es handelt sich um eine Neuauflage des Containments, mit dem die Sowjetunion früher durch US-Klientelstaaten daran gehindert wurde, ihren Einflußbereich auszudehnen. So hat Senator Lugar, der auch als US-Gesandter bei der sogenannten orangenen Revolution in der Ukraine zugegen war, 2006 auf einer Konferenz des German Marshall Fund of the United States kategorisch verlangt, Artikel 5 des NATO-Bündnisvertrags dahingehend zu modifizieren, die dort verankerte Beistandspflicht im Verteidigungsfall auch auf Bedrohungen der Energiesicherheit auszudehnen. Der damalige Vorsitzende des Außenausschusses des US-Senats behauptete, daß es praktisch keinen Unterschied zwischen einer militärischen Aggression und dem Versuch eines Nicht-NATO-Staates gebe, ein Mitglied des Nordatlantikpaktes durch die Blockade von Energielieferungen zu nötigen.

Allerdings hat Lugar bei einer NATO, in deren strategischen Szenarios die Sicherung von Transportwegen des internationalen Handels und des Ressourcennachschubs längst von zentraler Bedeutung ist, mit diesem Vorschlag offene Türen eingerannt. Die Militarisierung der Energiesicherheit ist ein wesentliches Moment der weiteren Expansion der NATO und macht gerade am Beispiel der Beziehungen zwischen Rußland und den USA wie der EU deutlich, daß es sich im wortwörtlichen Sinne um ein Spiel mit dem Feuer handelt. Wenn Michael Thumann in der Zeit (Zeit Online, 16.07.2009) am Beispiel der beiden aktuell debattierten Energie-Großprojekte Nabucco und Desertec erklärt, bei ihnen ginge es "auch um politische Sicherheit. Kein Militärpakt kann die EU besser in seiner Nachbarschaft absichern als diese gewaltigen Energieprojekte, von denen Europäer und ihre Nachbarn gleichermaßen profitieren", dann bejubelt er den imperialistischen Charakter grenzüberschreitender Energieinfrastrukturen, als ob dies ohne negative Folgen für die davon höchst ungleich profitierenden Bevölkerungen wäre.

Ohne den Produktivitätsabstand, in dem die ökonomisch unterentwickelten Förderländer zu den hochindustrialisierten Metropolenregionen Westeuropas stehen, wo das Gros ihrer Energieressourcen verbraucht wird, können die gigantischen Investitionen in großräumig strukturierte Systeme der Energieerzeugung und -distribution gegenüber lokalen dezentralen Lösungen keinen Bestand haben. Daß der wertschöpfende Charakter dieses Mißverhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie nicht durch einen reziproken Transfer von Geld, Technologie und Wissen in einem Maße nivelliert wird, daß sich die Förderländer vollständig aus der Abhängigkeit von den imperialistischen Zentren lösen können, ergibt sich auch aus der Doktrin, jede Behinderung des Nachschubs als Gefährdung der eigenen Sicherheit zu verstehen und mit militärischen Mitteln zu verhindern. Für Rußland, das nach Maßgabe westlicher Produktivitätstandards erhebliche Modernisierungsdefizite aufweist, sind die USA kein glaubwürdiger Partner, so lange die Politik Washingtons darauf hinausläuft, seine Gesellschaft im Streben nach Erreichen eines vergleichbaren Entwicklungsstands, der nicht zuletzt an die hegemoniale Stellung Rußlands in Eurasien geknüpft ist, zu behindern.

18. Juli 2009