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HEGEMONIE/1617: Unzureichende Entschuldigung für Ehrung Felicia Langers ... (SB)



Mit der Entscheidung des Bundespräsidialamtes, sich von der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die jüdische Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer zu distanzieren, wurden die Vektoren des ideologischen Kräfteparallelogramms nach dem Chaos, den diese Ehrung ausgelöst hatte, wieder staatskonform justiert. Im Achsenkreuz zwischen geostrategischer Realpolitik und staatspädagogischer Wertevermittlung herrscht wie eh und je die Neue Weltordnung. Die Würdigung einer antizionistischen Kritikerin der israelischen Besatzungspolitik wird als versehentliche Ausnahme von der Regel, als peinlicher Ausrutscher offensichtlich irregeleiteter Entscheidungsinstanzen und häßlicher Fleck auf der Brust untadeliger Ordensträger so gründlich zurückgenommen, daß nur noch die Frage bleibt, wie es überhaupt zu diesem Schritt hat kommen können.

Dazu macht das Bundespräsidialamt verständlicherweise keine Angabe, würde das doch Fragen nach der Eignung des betreffenden Entscheidungsträgers für sein Amt aufwerfen. In einem Schreiben an einen der führenden Kritiker der Preisverleihung, den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, Arno Hamburger, gab der Chef des Bundespräsidialamtes, Staatssekretär Gert Haller, an, "die massive Kritik an der Auszeichnung von Frau Langer" habe "sofort zu einer umfassenden Überprüfung der Ordensangelegenheit geführt". Die Würdigung Langers habe "die Gefühle von Menschen verletzt, an deren Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit es keinen Zweifel geben" könne, so das hohe Lob, von dem der Adressat des Briefes sicherlich nicht ausgenommen wird. Diese Verletzung empfindsamer Seelen sei "unendlich bedauerlich. Es war von keiner der an dem Ordensverfahren beteiligten Stellen des Bundes und des Landes gewollt..., alle sind vielmehr zutiefst bekümmert und wünschten, die Verwerfungen ließen sich ungeschehen machen. Dafür fehlt jedoch die Grundlage." (Spiegel Online, 07.09.2009).

Es ist wohl nur mit dem politisch aufgeladenen, die Staatsräson der Bundesrepublik nach Lesart der Bundeskanzlerin direkt betreffenden Charakter des Streitfalls zu erklären, daß das Amt des höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland sich für einen von ihm ausgegangenen Ehrenakt so umfänglich entschuldigt. Dennoch hat Hamburger, der mit der Rückgabe seiner zwei Bundesverdienstkreuze gegen die Würdigung Langers protestierte, Grund zur Unzufriedenheit. Der von Haller eingestandene Fehler ist vollends, das heißt über die explizite Entschuldigung hinaus, korrigierbar. So heißt es im "Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen" unter Paragraph 4, Artikel 1:

"Erweist sich ein Beliehener durch sein Verhalten, insbesondere durch Begehen einer entehrenden Straftat, des verliehenen Titels oder der verliehenen Auszeichnung unwürdig oder wird ein solches Verhalten nachträglich bekannt, so kann ihm der Verleihungsberechtigte den Titel oder die Auszeichnung entziehen und die Einziehung der Verleihungsurkunde anordnen."

Man braucht Felicia Langer nicht einmal eine Straftat nachzuweisen, sondern lediglich ihr Verhalten als ehrenrührig oder sonstwie unvereinbar mit dem hohen ethischen Anspruch der ihr verliehenen Auszeichnung zu bewerten, um der höchstamtlichen Reuebekundung Taten folgen zu lassen. Zweifellos können die Menschen, die sich laut Bundespräsidialamt durch die Ehrung einer Frau, die sich für die palästinensischen Opfer israelischer Willkürjustiz eingesetzt hat, in ihren Gefühlen verletzt fühlen, vollständige Satisfaktion verlangen. Schließlich haben wertvolle Mitglieder dieser Gesellschaft, die sich wie Hamburger durch keinen moralischen Skrupel davon abhalten ließen, das Richtige zu tun und öffentlich die Kriegführung im Irak zu unterstützen, Anspruch auf die Wertekonsistenz eines Ordens, der schon zahlreichen ehemaligen Nazis verliehen wurde, um die integrative Wirkung einer auf Konformität getrimmten Gesellschaftsordnung unter Beweis zu stellen.

Um Schaden vom System der Honorierung verdienter Bürger abzuwenden, wäre es nicht nur folgerichtig, sondern ist es zwingend, den ganzen Schritt nach dem halben zu tun. Mit der vollständigen Beseitigung eines erklärten Mißstands durch den materiellen Vollzug des zum Ausdruck gebrachten Bedauerns wären all jene auf ihren Platz außerhalb der herrschenden Werteordnung zu verweisen, die sich im Disput um die Auszeichnung Felicia Langers auf deren Seite gestellt haben.

Klare Verhältnisse schaffen nicht zuletzt für diejenigen, die sich die Verwerflichkeit geleistet haben, durch explizite Kritik an der israelischen Regierung Schaden am Verhältnis der Bundesrepublik zu diesem Land angerichtet zu haben. Daß diese, wie Spiegel-Autor Henryk M. Broder in seinem Bericht über die Entschuldigung des Bundespräsidialamts (Spiegel Online, 07.09.2009) nicht zu erwähnen vergißt, vor allem dem "linken antizionistischen Milieu" angehören und mit Langer ein ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der israelischen KP, das "in dieser Funktion öfter auch die DDR" besuchte, auf ihren Schild hoben, daß Langer zudem den "'Menschenrechtspreis' der 'Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde' verliehen" bekam, "die im Frühjahr 1991 von ehemaligen Funktionsträgern der DDR, darunter auch Stasi-Mitarbeitern, gegründet" wurde, dokumentiert einen Abgrund an ideologischer Verirrung, vor dem gerade zum Jubiläum des Mauerfalls nicht deutlich genug gewarnt werden kann. Die sich absehbar um die Entziehung des Bundesverdienstkreuzes Felicia Langers entflammende Debatte dürfte Menschen, die noch nicht verstanden haben, daß ein Ideal wie Gerechtigkeit auf miteinander völlig unvereinbare Weise eingesetzt und ausgelegt werden kann, darüber aufklären, daß es nur einen Maßstab für die Evidenz politischer Werte gibt - die gesellschaftliche Praxis.

10.09.2009