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HEGEMONIE/1619: Wenn Indianer mit Islamisten den Tango des Bösen tanzen (SB)



Um Paranoia zu schüren und diese dauerhaft ins Alltagswissen der Bürger zu implementieren, damit diese allen realen Gefahren und Bedrängnissen ihrer gebeutelten Existenz zum Trotz eingebildete Feinde phantasieren und derentwegen die Kriege ihrer Regierung finanzieren, muß der erfindungsreiche Wahn der Planer zwangsläufig ins Kraut schießen. Wie sonst könnte man Behauptungen in die Welt setzen, deren Absurdität jeder Beschreibung spottet, und dennoch hoffen, daß sie vom Fußvolk nicht nur geschluckt und verdaut, sondern auch dauerhaft als Substanz ihrer Hirnwindungen angelagert werden?

Die Rede ist hier nicht von den Taliban, die auch nach acht Jahren Krieg immer noch nicht bis an die Landesgrenzen der alliierten Mächte vorgedrungen sind, um deren proklamierten Verteidigungsfall realiter unter Beweis zu stellen. Vielmehr geht es um eine "islamistische Bedrohung" in - man höre und staune - Bolivien, von der die Welt zwar noch nichts gehört hat, was die Urheber solcher Hiobsbotschaften jedoch schleunigst nachzuholen hoffen. Daß die CIA seit Jahren versucht, derartige Umtriebe im südamerikanischen Länderdreieck zu verorten, ohne daß dies in dortigen Kreisen mehr als einen abfälligen Lacherfolg ausgelöst hätte, ist ja hinlänglich bekannt. Erfolgreicher war da schon die Bezichtigung, der Iran und die Hisbollah steckten hinter dem Jahre zurückliegenden Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Argentinien oder Hugo Chávez fördere den Antisemitismus in seinem Land, weil er im Verbund mit seinem bolivianischen Freund und Amtskollegen Evo Morales den israelischen Angriff auf den Gazastreifen verurteilt und diplomatische Konsequenzen gezogen hat.

Fragt sich der erstaunte Leser, was "Islamisten" ausgerechnet im fernen Bolivien zu schaffen haben sollen, das auf ihrer Prioritätenliste gar nicht auftauchen dürfte, so weiß der Experte in Sachen "internationaler Terrorismus" Rat: Diese Saboteure schlagen eben weltweit und vorzugsweise da zu, wo man sie am wenigsten erwartet. Da man jedoch in bolivianischen Gefilden allenfalls widerständige Hochlandindianer vermuten würde, die Großgrundbesitzern, Agrokonzernen, Rohstoffverwertern und Exportunternehmen, die ihr Vermögen und ihre Profite durch harte Arbeit im Schweiße ihres Angesichts erwirtschaftet haben, worum sie die notorisch phlegmatischen Taugenichtse von Indios natürlich beneiden, muß mit heißer Nadel eine Querverbindung gestrickt werden.

Und das geht so: Da die jahrhundertelang ausgebeuteten und massenhaft ausgerotteten Indianer in den Industriestaaten eher ein schlechtes Gewissen wachrufen oder Sympathien auslösen, als zur Bedrohung der freien Welt zu taugen, dafür die "Islamisten" um so mehr zum Inbegriff des Bösen an sich aufgebaut wurden, aber leider am anderen Ende der Welt zu Hause sind, muß man Geographie und Feindbild kurzerhand kreuzen. Im Mai 2009 produzierte ein namentlich nicht näher ausgewiesener US-Geheimdienst einen Bericht, in dem vor einer wachsenden Terrorgefahr durch antiamerikanische bolivianische Muslime gewarnt wurde, die man in Verbindung mit den zunehmend belasteten Beziehungen der Regierungen in La Paz und Washington sowie den vermehrten Kontakten zwischen Bolivien und dem Iran sehen müsse. Darauf nahm Fox News am 6. Juni unter dem reißerischen Titel "Bolivia becoming Hot Bed of Islamic Extremism, Report Concludes" Bezug. Die Autorin schwadroniert diesbezüglich über die geheimdienstliche Theorie, linksgerichtete Regierungen in Lateinamerika seien empfänglich für eine antiamerikanische Rhetorik, wie man sie aus Teheran kenne. Und da die islamische Revolution das Ziel verfolge, weit über den Iran hinaus Geltung zu erlangen, bediene sie sich neben ökonomischer auch kultureller Schienen. Ob es ein Potential gebe, aus dem andere für noch verwerflichere Zwecke Kapital zu schlagen versuchen? Da draußen gebe es viele Möglichkeiten. [1]

In dem von der katholischen Kirche dominierten Bolivien mit seiner indígenen Bevölkerungsmehrheit gibt es nach Angaben einer Handvoll islamischer Zentren schätzungsweise tausend Menschen muslimischen Glaubens. Diese verschwindend kleine Minderheit zu bezichtigen, die noch nie im besagten Sinn in Erscheinung getreten ist, mutet nachgerade absurd an. Andererseits wußte Associated Press im Mai zu berichten, daß ein geheimer Report der israelischen Regierung Bolivien vorwirft, den Iran mit Uran für sein Atomprogramm zu versorgen. Die bolivianische Regierung wies diese Unterstellung mit den Worten zurück, man betreibe derzeit überhaupt keinen Uranabbau und nur ein Clown könne eine derartige Barbarei zulassen. Sollte "Clown" zugleich eine Anspielung auf den Wahnwitz derartiger Bezichtigungskampagnen gewesen sein, war der Begriff noch äußerst zurückhaltend gewählt.

Anmerkungen:

[1] "Frantic Indians ... Muslim Fanatics". Scaremongering About Bolivia and Islam (4.-6.09.09)
Counterpunch

16. September 2009