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HEGEMONIE/1651: Wahlen im Irak ... von übergeordneten Interessen usurpiert (SB)



Mit dem Verbreiten von Erfolgsmeldungen zu den Parlamentswahlen im Irak hat der US-Präsident kein Problem. Als "wichtigen Meilenstein in der irakischen Geschichte" würdigte Barack Obama den sonntäglichen Urnengang, der allein in Bagdad vom Einschlag von rund 100 Mörsergranaten und der Explosion von rund 35 Sprengkörpern anderer Art begleitet wurde. Die Zahl von 54 Toten und 140 Verletzten, die nach bisherigem Erkenntnisstand an diesem Tag die Bilanz der zahlreichen Anschläge bildete, als Erfolg des Einsatzes der irakischen Sicherheitskräfte zu bewerten kündet mithin von einer Abgebrühtheit, ohne die eine aggressive Kriegführung wie die der USA nicht durchzuhalten ist: "Alles in allem spricht das Sicherheitsniveau und die Verhinderung destabilisierender Angriffe für die wachsende Fähigkeit und Professionalität der irakischen Sicherheitskräfte, die die Führung beim Gewährleisten von Schutz an den Wahllokalen übernahmen", verkleidet Obama die Tatsache, daß die Wahlen ohne die Präsenz US-amerikanischer Truppen kaum hätten durchgeführt werden können.

Mit der schlichten Deutung, daß "Al Qaida und andere Extremisten versuchten, den Fortschritt im Irak aufzuhalten, indem sie unschuldige Iraker ermordeten, die ihr demokratisches Recht wahrnahmen", geht der US-Präsident leichtfüßig über die tiefen Konflikte hinweg, die durch die Eroberung des Landes vor sieben Jahren massiv angeheizt wurden. In vielen Teilen des Landes wie den kurdischen Nordprovinzen oder Regionen, in denen der weiterhin virulente Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten vergleichbar große Gruppen der Bevölkerung betrifft, gingen die Menschen vor allem deshalb zu den Wahlurnen, weil ein Sieg der jeweils anderen Fraktion schwerwiegende Nachteile für sie zur Folge hätte. Die längst nicht abgeschlossene, sondern von der alltäglichen Normalität eines latenten Bürgerkriegs bestimmte Befriedung des Landes wurde durch das Auseinanderdividieren der Bevölkerung längs ethnisch-religiöser Grenzen erreicht, die in der Ummauerung ganzer Stadtteile Bagdads, dem Einrichten permanenter Checkpoints in Konfliktregionen, zwei Millionen ins Ausland geflohenen Irakern, Hundertausenden Inlandsvertriebenen und kleineren wie größeren Anschlägen auf Tagesbasis resultieren.

Der mit dem Sturz der Regierung Saddam Husseins nicht nur entbrannte, sondern von der Bündnispolitik der Eroberer systematisch angeheizte Bürgerkrieg ist in eine bloße Scheinnormalität gemündet, in der Wahlen als bloßes Surrogat der existentiellen Nöte und politischen Konflikte der Bevölkerung fungieren. Zudem wurde der irakische Widerstand, der laut dem Irakexperten Jürgen Todenhöfer gemäßigt und säkular sei, ebenso von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen wie alle Mitglieder der früher regierenden Baath-Partei. Bis ein Fünftel der Iraker wären als Wähler dieser beiden nationalistischen Gruppen in Frage gekommen. Ihnen wurde das demokratische Recht, das Obama hochhält, genommen, ohne daß es irgendwelcher Terroristen bedurft hätte. Ihr Ausschluß ist das Ergebnis eines im Vorfeld ausgetragenen Machtkampfs, bei dem sich Premierminister Nuri Al-Maliki und der von der Bush-Regierung reimportierte schiitische Politiker Ahmed Chalabi zugunsten ihrer eigenen Wahlchancen durchsetzten.

"Freedom & Democracy", wie von den Besatzern propagiert, erweist sich als brutales Ringen oligarchischer Interessen um Macht und Einfluß, das mit allen Mitteln von der umfassenden Wahlmanipulation über die Bedrohung von Leib und Leben bis hin zum Ausschluß mißliebiger Kandidaten ausgetragen wird. Der irakischen Bevölkerung hat die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, die mit dem Überfall der von den USA geführten Coalition of the willing 2003 fortgesetzt wurde, nur Tod und Zerstörung, Armut und Elend gebracht. Hundertausende Iraker sind gestorben, haben dauerhafte körperliche und psychische Schäden davongetragen, wurden vertrieben und werden nach wie vor unterdrückt. Die amtierende Regierung hat sich längst als Sachwalterin eines Polizeistaats erwiesen, in dem Menschen entführt und verschleppt, gefoltert und widerrechtlich eingesperrt werden. Die Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigen Dingen des täglichen Lebens wie Wasser, Strom und Nahrung hat für viele nicht einmal das geringe Niveau wiedererlangt, das das 13 Jahre währende, von den USA und Britannien aufrechterhaltene Wirtschaftsembargo zur Folge hatte.

Der auch von der Bundesregierung, die von einem Fortschritt auf dem Weg zum Aufbau einer Demokratie spricht, unterstellte Erfolg dieser Wahl ist Ausdruck einer Rechtfertigungsstrategie, mit der ein monströses Kriegsverbrechen in einen Beweis der Gültigkeit der 1991 von dem damaligen Kriegsherrn George H.W. Bush nach der ersten brutalen Heimsuchung des Iraks durch die USA proklamierten Neuen Weltordnung umgewidmet werden soll. Wenn Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärt, es verdiene höchste Anerkennung, daß die Iraker trotz der Terroranschläge von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten, dann bestätigt er, daß die Zivilbevölkerung zur Geisel der Besatzer gemacht wurde. Wenn man befürchten muß, daß Abgeben seiner Stimme nicht zu überleben, dann kann das kaum als Ruhmesblatt des von der Bundesregierung unterstützten Nation Building im Irak bezeichnet werden. Wilhelm lobt diesen fadenscheinigen Legitimationsakt nicht zuletzt deshalb, weil die ebenfalls unter Bürgerkriegsbedingungen in Afghanistan abgehaltene Präsidenschaftswahl auf vergleichbare Weise der Bestätigung der eigenen Besatzungspolitik diente.

US-Präsident Barack Obama hat, ohne einen konkreten Namen zu nennen, andere Staaten davor gewarnt, sich an der Unabhängigkeit des Iraks zu vergreifen. Der damit gemeinte Iran macht seinen Einfluß über seine irakischen Parteigänger auf eine Weise geltend, die die von den USA usurpierte Souveränität des Landes auf eine Washington ganz und gar nicht genehme Weise unterminiert. Nachdem die USA Saddam Hussein in den 1980er Jahren dabei unterstützten, den Iran anzugreifen, um beide Regionalmächte in einem mörderischen Krieg ausbluten zu lassen, sehen sie sich nun mit der Möglichkeit konfrontiert, daß der Iran am Ende als eigentlicher Nutznießer aus der finalen Eroberung des Iraks und dem Sturz der Baath-Regierung hervorgeht. Ein solches Ergebnis der Strategie des Teilens und Herrschens, der sich Washington bedient, zu verhindern ist ein wesentlicher Antrieb der gegen Teheran gerichteten Politik des Westens. Der Versuch der Obama-Administration, die arabischen Golfanrainer gegen den Iran in Stellung zu bringen und damit stärker auf die eigenen Interessen in der Region festzulegen, wird jedoch nicht dazu ausreichen, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben. Um den gegen den Iran im Atomstreit aufgebauten Druck bis zur Konsolidierung des geostrategischen Gewinns zu treiben, den die USA und Britannien im Irak vermeintlich erwirtschaftet haben, wird ein weiterer Krieg erforderlich sein. Auch aus diesem Grund fungieren die Wahlen im Irak als Feigenblatt, hinter dem die Fäden ganz anderer, jedenfalls nicht dem Wohl der Iraker gewidmeter Interessen gesponnen werden.

8. März 2010