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HEGEMONIE/1699: Folter inklusive - Der Guantánamo-Gulag wird noch gebraucht (SB)



Die Versprechungen US-Präsident Barack Obamas haben bekanntlich eine kurze Halbwertszeit. Da bildet die Zusage vom Januar 2009, das Folterlager Guantánamo auf Kuba binnen eines Jahres schließen zu wollen, keine Ausnahme. Am Montag besiegelte Obama seine Kehrtwende mit einem Erlaß, nach dem die zwei Jahre lang ausgesetzten Militärtribunale fortgeführt werden dürfen. Diese sprechen jedem zivilrechtlichen Maßstab Hohn; ein auch nur annähernd adäquater anwaltlicher Beistand wird den Gefangenen verwehrt.

Um den Entführten nicht einmal die Rechte von Kriegsgefangenen einräumen zu müssen, hatte die Bush-Administration sie kurzerhand zu "feindlichen Kämpfern" erklärt. Die Konsequenzen dieser weitreichenden Entrechtung erweisen sich als desaströs. Rund zehn Jahre harren einige der Insassen in dem Lagerkomplex aus, ohne daß Anklage gegen sie erhoben wird. Selbst Minderjährige wurden nach Guantánamo verschleppt und mißhandelt. Wiederholtes Ertränken und ins Leben Zurückholen, Nahrungsentzug, Lärm-, Hitze-, Kältestreß, ständige Umverlegung in andere Zellen, Prügel zu jeder Gelegenheit, heimliche Medikamentenversuche, Verweigerung notwendiger medizinischer Hilfe und auch unnötige Amputationen ... die US-Folterknechte setzen das gesamte Repertoire an modernen Foltermethoden ein.

Deren Zweck besteht nur zum geringen Teil darin, aus den von Staats wegen Verschleppten Informationen über Organisationen wie Al-Qaida herauszuquetschen. Es ist auch den Folterknechten der USA bekannt, daß gequälte Menschen alles sagen, von dem sie glauben, daß ihre Peiniger es hören wollen, damit sie endlich von ihrem Tun ablassen. Folter genügt sich gewissermaßen selbst, die Beschaffung von Informationen, zumal die "Wahrheit", ist nebensächlich. Daß überhaupt gefoltert wird, erfüllt dagegen eine wichtige Funktion bei der Menschenkontrolle, im eigenen Land wie außerhalb der Grenzen. Man muß nicht ein ganzes Volk foltern, um es zu unterwerfen, es genügt, eine Handvoll Widerständler oder einfach nur irgendwelche Pechvögel, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befanden, aus ihren sozialen Zusammenhängen zu reißen, zu verschleppen und zu foltern.

Allein die Tatsache, daß sich die USA das herausnehmen dürfen, während andere Staaten deswegen bezichtigt werden, hinterläßt bei der eigenen Bevölkerung wie auch der übrigen Welt Wirkung. Derart einschüchtern kann aber nur derjenige straflos, der über die entsprechenden Gewaltmittel im Hintergrund verfügt. Das Militärbudget der USA, das so groß ist wie die Militärausgaben aller anderen Staaten zusammengenommen, stellt eine Investition dar, die sich vom Standpunkt des Globalhegemons her lohnt.

Ohne die Rückendeckung ihrer europäischen Verbündeten im transatlantischen Militärpakt NATO bliese aber selbst den gewaltbereiten Vereinigten Staaten ein so kräftiger Wind ins Gesicht, daß sie beidrehen und Zugeständnisse an völkerrechtliche Grundsätze machen müßten. Auch die Medien decken im allgemeinen seit zehn Jahren das, was in Guantánamo geschieht. Zum Beispiel indem sie die offizielle Sprachkultur der US-Regierung übernehmen und von Terroristen und nicht von mutmaßlichen Terroristen oder Terrorverdächtigen sprechen - abgesehen davon ist bereits die Verwendung des Begriffs "Terrorist" Bestandteil der Herrschaftssprache. Die Definition von "Terrorist" ist ausschließlich eine Frage der Deutungshoheit und die wiederum obliegt demjenigen, der sich beispielsweise qua seines Gewaltapparats durchsetzt. Für einen afghanischen Bauern, dessen gesamte Familie von den US-Besatzern weggebombt wurde, dürfte die Frage, wer Terror verbreitet, unzweifelhaft beantwortet sein. Nur nutzt ihm sein Zorn womöglich nichts, denn wenn er zur Waffe griffe, würde er automatisch als "Terrorist" oder "Taliban" gebrandmarkt.

US-Verteidigungsminister Robert Gates begründete kürzlich seine Einschätzung, daß die Chancen, Guantánamo zu schließen, "sehr, sehr gering" seien, unter anderem damit, daß ein Viertel der entlassenen Häftlinge "rückfällig" würde und den Kampf wieder aufnähme. Ein Mensch kann aber nur dann rückfällig werden, wenn er zuvor verurteilt wurde, was auf die aus Guantánamo Entlassenen nicht zutrifft. Sie wurden unschuldig eingekerkert. Wenn jeder vierte von ihnen anschließend zur Waffe greift, um gegen diejenigen zu kämpfen, die ihn verschleppt und gefoltert haben, sollte das nach solchen unsäglichen Erfahrungen niemanden überraschen. Das Folterlager Guantánamo wird vor allem deshalb nicht abgeschafft, weil es noch immer das globale Vormachtstreben der USA legitimieren soll. Der globale Krieg gegen den Terror hat zwar inzwischen ein anderes Etikett erhalten, aber sein Ziel ist geblieben: Ausdehnung und Vertiefung der Verfügungsgewalt, um die Vorherrschaft des Westens global zu verankern und unabänderlich zu befestigen.

8. März 2011