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HEGEMONIE/1701: Die EU will ein repressives libysches Regime wie unter Gaddafi nur ohne Gaddafi (SB)



Es werde auch seitens der internationalen Gemeinschaft "keine weitere Zusammenarbeit mit diesem Diktator geben können", zitiert Reuters den deutschen Außenminister Guido Westerwelle vor dem Sondergipfel der EU zu Libyen. Eine kurze Aussage, anhand der sich treffend größere Zusammenhänge herauslesen lassen. Westerwelle impliziert mit der Formulierung "keine weitere", daß die Bundesregierung bislang mit einem Diktator zusammengearbeitet hat, woraus abzuleiten ist, daß die aktuell verbreiteten Forderungen nach mehr Demokratie und Einhaltung von Menschenrechtsstandards Ausdruck opportunistischen Taktierens sind.

Wenn die internationale Gemeinschaft mit "diesem" Diktator nicht mehr zusammenarbeiten will, folgt daraus nicht sprachlogisch, daß sie weiterhin mit anderen zusammenzuarbeiten gedenkt? Auch diese Frage ergibt sich aus dem obigen Zitat, und wenn Westerwelle davon spricht, es werde keine Kooperation geben "können", dann schwingt da zumindest die Botschaft mit, daß die Politik genötigt ist, sich bestimmten aufgesetzten Maßstäben zu unterwerfen.

Der Aufstand der Rebellen in Libyen hat nur partiell mit der Demokratiebewegung der arabischen Welt zu tun. Von Anfang an waren zumindest Teile der libyschen Aufständischen bewaffnet und unterstanden einem militärischen Drill - mit den breiten Bewegungen in Tunesien und Ägypten hat das wenig zu tun.

Warum aber die plötzliche Abkehr des Westens von Gaddafi, der sich in den letzten Jahren als durchaus zuverlässiger Sachwalter europäischer Interessen in Nordafrika erwiesen hat? Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands, Italiens und anderer EU-Staaten zu Libyen sind eng, außerdem wurden dort Lager errichtet, in der Flüchtlinge zusammengefaßt werden, die ansonsten nach Europa weitergezogen wären. Sicherlich, der Westen hat noch Rechnungen mit Gaddafi offen, der so manches Mal in der Vergangenheit den imperialistischen Interessen der USA und EU in Afrika in die Quere kam. Das ist einer der Gründe, warum der libysche Revolutionsführer plötzlich nur noch "Machthaber" und "Diktator" genannt wird. Ein anderer besteht darin, daß es sich der Westen nicht mit möglichen Nachfolgern verderben will, sollten die oppositionellen Kräfte die militärische Auseinandersetzung gewinnen.

Auf dem heutigen EU-Gipfel wurde Westerwelles Kurs bestätigt - alle wollen Gaddafi abschießen -, aber unter dem Eindruck der militärischen Gewinne der libyschen Soldaten gegenüber den Rebellen bleiben die Europäer vorsichtig. Sie stellen sich nicht uneingeschränkt hinter die Aufständischen und brechen nicht den Stab über das alte Regime. Es wird taktiert und taktiert. Niemand will sich so weit aus dem Fenster lehnen, daß er bei einer Neuordnung der Machtverhältnisse in Libyen plötzlich im Abseits steht, gleichzeitig kann aber auch völlige Zurückhaltung eben dahin führen. So hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy einerseits den Übergangsrat der Rebellen als alleinige und rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes anerkannt und sogar Luftangriffe auf Libyen gutgeheißen, andererseits rudert er in einem gemeinsam mit dem britischen Premierminister David Cameron erstellten Papier zurück, in dem von defensiven Militäraktionen unter der Bedingung, daß sie vom UN-Sicherheitsrat und anderen Institutionen gewünscht werden, die Rede ist.

Im Endeffekt strebt die Europäische Union ein repressives libysches Regime wie unter Gaddafi nur ohne Gaddafi an. Demokratie, Menschenrechte, Freiheit - alles Bestandteil einer Fassade, hinter der die Vergesellschaftung des Menschen bis zur völligen Atomisierung vorangetrieben wird. Permanente Revolution in umgekehrter Richtung. Die Verhältnisse werden stabilisiert. Begriffe wie Klassenwiderspruch oder Klassenkampf werden zunächst als obsolet verworfen, dann verunglimpft und schließlich vergessen gemacht und mit ihnen das, was sie beschreiben sollten. Wenn Menschen dafür demonstrieren, daß ihnen (fremdbestimmte) Arbeit zur Verfügung gestellt werden soll, dann zeigt das, daß diese Entwicklung schon fortgeschritten ist. Aber nicht weit genug, wie die Erhebungen in Tunesien, Ägypten und Libyen, deren Machthaber bis zu ihrem Sturz Säulen der europäischen Außenbeziehungen waren, zeigen.

11. März 2011