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HEGEMONIE/1727: Afrikanische Union vor Ankerkennung des libyschen Warlord-Regimes (SB)



Eine Zeitlang konnte man noch dem Eindruck unterliegen, die Afrikanische Union (AU) verurteile den von der NATO und ihren Verbündeten real exerzierten Regimewechsel in Libyen; mindestens den Sand der rohstoffreichen libyschen Wüste werde sie ins Interventionsgetriebe westlicher Hegemonialmächte streuen, so die Erwartung. Doch auch auf dem afrikanischen Kontinent werden die Fähnchen in den jeweils vorherrschenden Wind gehalten.

Wenn sich Recht nicht schon immer als Waffe in der Hand des Stärkeren und damit als überaus biegsam erwiesen hätte, könnte man es als besonderen Zynismus der Geschichte bezeichnen, daß die Afrikanische Union ihren vom Westen stets voll des Lobes bedachten Grundsatz, keine gewaltsam an die Macht gekommene Regierung anzuerkennen, ausgerechnet am Beispiel Libyens aufgibt, wo der Westen eine ihm nicht genehme Regierung weggebombt hat. Die Anerkennung des libyschen Nationalen Übergangsrats (NTC - National Transitional Council) durch die AU steht unmittelbar bevor.

Darauf läßt eine Stellungnahme des von der AU eingerichteten Ad-hoc-Komitees zu Libyen unzweifelhaft schließen [1]. Das Komitee, das sich aus den afrikanischen Präsidenten Denis Sassou Nguesso (Republik Kongo), Yoweri Museveni (Uganda) und Jacob Zuma (Südafrika), den Botschaftern Mauretaniens und Malis in Südafrika sowie den Vorsitzenden der AU-Kommission Jean Ping und den AU-Kommissar für Frieden und Sicherheit Ramtane Lamamra zusammensetzt, hat eine zwölf Punkte umfassende Stellungnahme zur Libyenkrise abgegeben. Darin heißt es unter Punkt 4, daß das Komitee die Zusagen der NTC-Führung begrüße, daß sie a) dem afrikanischen Kontinent strategisch verbunden ist, b) die Priorität auf die nationale Einheit legt und alle libyschen Interessengruppen zusammenbringt, und c) sich dem Schutz aller ausländischen Arbeiter in Libyen, einschließlich der afrikanischen Migranten, verpflichtet.

Nachdem also die Warlords aus Bengasi, die die libysche Variante des arabischen Frühlings von seinem Entstehen an dominierten, diese bloße Formalie an Zusagen erfüllt haben und das Ad-hoc-Komitee noch einmal mit wohlplatzierter Besorgnis den NTC aufgefordert hat, auch wirklich eine "all-inclusive"-Übergangsregierung zu bilden (Punkt 6), forderte er deren rasche Anerkennung und Aufnahme in die AU (Punkt 7). Und weiter heißt es, daß eine solche Entscheidung "auf den außergewöhnlichen Umständen und der Einzigartigkeit der Lage in Libyen gründet und keinen Einfluß auf die gültigen Instrumente der AU, insbesondere nicht hinsichtlich verfassungswidriger Regierungswechsel", habe.

Was anderes sollte über "außergewöhnliche Umstände" und "Einzigartigkeit der Lage" entschieden haben als Ohnmacht und Opportunismus? Ohnmacht insofern, als daß die AU bis kurz vor Beginn der Luftangriffe auf Libyen am 19. März vergeblich versucht hat, das Steuer in die Hand zu bekommen und einen Militäreinsatz gegen die Regierung des AU-Mitgründers und -Hauptfinanziers Muammar al Gaddafi zu verhindern. Opportunismus hingegen, weil eigentlich bereits bei der Abstimmung zur UN-Resolution 1973 über die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung hätte klar sein müssen, woher der Wind weht.

Nun weiß man nicht, welchen Zusagen, welchem Druck oder welcher Heimtücke sich die beiden Sicherheitsratsmitglieder Nigeria und Südafrika vor der Abstimmung im Sicherheitsrat ausgesetzt sahen, doch haben sie der Resolution ihren Segen erteilt und damit ein nahezu widerspruchsfreies Abstimmungsergebnis ermöglicht. Lediglich Rußland, China und Deutschland hatten sich enthalten.

Jetzt folgt der nächste Schritt auf dem Weg der Erfüllung postkolonialer Gefolgschaft. Im Gegensatz zu Madagaskar, dessen Präsident nicht verfassungsrechtlich bestätigt ist, wird der NTC einen Sitz in der AU erhalten. Fortan dürfte es immer schwieriger werden, dem Übergangsrat die Unterstützung zu entziehen, sollte er seine wortreichen Zusagen nicht einhalten. Die Wahrscheinlichkeit, daß das alte Regierungslager keine seinem Rückhalt in der Bevölkerung adäquate Einflußmöglichkeiten auf das neue Libyen erhält, ist riesig. Jedenfalls wird noch immer über die Verfolgung von Schwarzafrikanern durch die NTC-Milizen berichtet, auch liefern sich diese weiterhin heftige Kämpfe mit den Gaddafi-Truppen.

Das Ad-hoc-Komitee für Libyen bemüht einen Spagat, durch den schon andere Akteure auf dem geopolitischen Parkett einen dauerhaften Schaden erlitten haben, indem sie versuchten, sich den Interventionismus westlicher Hegemonialkräfte zu eigen zu machen und diesen zu einer Friedensmaßnahme zu verklären. Der Angriff des NATO-Bündnisses auf Libyen konnte man bereits wegen der zahlreichen Entwicklungsprojekte, die von Gaddafi angeschoben wurden, als einen Angriff auf den ganzen Kontinent bezeichnen [2], nun sägt die Afrikanische Union auch noch an einem Pfeiler ihrer Glaubwürdigkeit, indem sie einen Schwenk von der Ablehnung einer militärischen Lösung des Libyenkonflikts zur Anerkennung der gewaltsam an die Macht gekommenen Übergangsregierung vollzieht.

Aufgrund dieses Präzedenzfalls dürfte es die AU in Zukunft deutlich schwerer haben, verfassungswidrige Machtergreifungen in Afrika die Anerkennung zu versagen. Der Vorgang stellt die afrikanische Staatengemeinschaft vor eine schwere Zerreißprobe, von der nicht gesagt ist, ob sie heil überstanden wird. Für die westlichen Hegemonialkräfte, die mit dem Krieg bereits einen Keil zwischen das Gaddafi-Libyen und Afrika getrieben haben, dürfte der Schlingerkurs der AU ein günstiger Mitnahmeeffekt sein, vermöchte sich doch eine geeinte und starke AU westlichen Verwertungsabsichten wirksamer zu entziehen als ein nachhaltig zerrissener Kontinent mit vielen einander bekriegenden Partikularinteressen.


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Fußnoten:

[1] "Libya: African Union Edges Towards Recognizing New Govt", 14. September 2011
http://allafrica.com/stories/201109141387.html

[2] http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/afka2035.html

17. September 2011