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HEGEMONIE/1749: Syrien im Fokus des deutschen Imperialismus (SB)




Die angebliche "Fehlentscheidung, im Libyenkonflikt mit Russland und China gegen eine Intervention gestimmt zu haben" [1], erweist sich als legitimatorischer Produktivfaktor ersten Ranges. Die monatelang anhaltende Schelte der eigenen Konzernmedien ob des angeblichen Versagens der Bundesregierung, diesem Krieg ferngeblieben zu sein und zur Produktion von Kriegspornos wie der Pfählung Gaddafis nichts beigetragen zu haben, hallt noch nach im Ohr derjenigen, die nun pflichtschuldigst geltendes Recht ignorieren, um sich auf diese oder jene Weise um die Entfachung des Bürgerkriegs in Syrien verdient zu machen. Was die Bundesregierung letztes Jahr dazu bewog, an dem mit kriegerischen Mitteln herbeigeführten Regimewechsel in Libyen nicht mit militärischen Mitteln beteiligt zu sein, steht jedoch auf einem anderen Blatt als der geltend gemachten Behauptung, hier habe die NATO dem arabischen Frühling auf die demokratischen Sprünge geholfen. Sich von diesem Feldzug fernzuhalten entsprang der europapolitischen Ratio, sich von Britannien und Frankreich nicht zu einem bloßen Teilhaber an einem Krieg in einer Region degradieren zu lassen, in der die deutsche Hegemonialpolitik drohte, diesen postkolonialen Akteuren auf ihrem angestammten Feld den Rang abzulaufen [2].

Wie sehr die imperialistische R2P-Ethik die Köpfe des Publikums vernebelt, so daß über die geostrategischen und hegemonialpolitischen Interessen der NATO-Staaten nicht weiter nachgedacht wird, erweist sich dieser Tage an der einseitigen Parteinahme der europäischen Medien für die Aufständischen in Syrien. Während sich Berichte über die nicht minder, als es den syrischen Regierungstruppen angelastet wird, brutale Einbeziehung der Zivilbevölkerung durch die Milizen auf der Seite der syrischen Regierungsgegner [3] und über die Liaison syrischer Oppositioneller mit regierungsnahen Think Tanks und Regierungsinstitutionen der NATO-Staaten [4] häufen, schüren die Redaktionen der Kriegspresse unverdrossen die Stimmung für eine militärische Intervention der NATO in diesem Bürgerkrieg. Wie im Falle Libyens, als ein Gutteil der französischen Linken die NATO als Vollzugsorgan einer halluzinierten zivilisatorischen Mission entdeckte, erliegen auch linke Bundesbürger beim Thema Syrien der Suggestion, mit der Unterstützung der bewaffneten Opposition das gute Werk zivilgesellschaftlicher Emanzipation zu verrichten.

Gegen die Sachzwanglogik, nun, da die Grausamkeiten ein immer schrecklicheres Ausmaß angenommen haben, müsse unter allen Umständen eingegriffen werden, scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte zu verfolgen legte jedoch eine hegemonialpolitische Ratio offen, die sich seit jeher des Schürens innerer Spannungen bis zum Punkt ihrer gewaltsamen Explosion bedient hat. Im Falle Syriens hat die einseitige Diskreditierung der Regierung Assad durch Regierung und Medien von Staaten, die jahrelang auf einvernehmlichem Fuß mit Damaskus standen und auch nicht davor zurückschreckten, den eigenen Bedarf an Aussageerpressung bei sogenannten Terrorverdächtigen an die Folterschergen des Regimes outzusourcen, bei gleichzeitiger Manipulation der zivilen Demokratiebewegung in Richtung auf einen bewaffneten Aufstand dafür gesorgt, daß man sich kontinuierlich dem point of no return nähert. Wie sehr interessenbedingte Willkür zum Ratgeber der westlichen Syrienpolitik geworden ist, belegt etwa die Einhelligkeit, mit der die Terroranschläge auf syrische Regierungsmitglieder zum Anlaß genommen wurden, anstatt ihrer Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat die Verschärfung der Sanktionen gegen die syrische Regierung zu verlangen.

Aber schon die konventionelle geostrategische Ratio verbietet es, die Widersprüchlichkeit des von den NATO-Staaten in Anspruch genommenen Werteuniversalismus als etwas anderes zu verstehen als Beweis für die Unberührbarkeit der eigenen Definitionsmacht. So wurde aus der geostrategischen Planung, Syrien aus dem vom Iran über Irak bis zum Libanon verlaufenden "schiitischen Halbmond" herauszubrechen, niemals ein Geheimnis gemacht. Die Unterstützung der libanesischen Hisbollah und palästinensischen Hamas durch die Regierung in Damaskus erfolgte nicht aus ideologischen Gründen, sondern war der Sicherung eigener Interessen wie der Rückgabe der Golan-Höhen, aber auch der strategischen Parität gegenüber Israel geschuldet. Aus dieser Politik soll Assad nun, da die Drohungen der USA und Israels gegenüber dem Iran an Schärfe zunehmen, ein Strick gedreht werden. Ein Angriff auf den Iran soll nicht durch den Aufbau einer zweiten Front gegen Israel erschwert werden, das ist zumindest ein wichtiger Grund für den anstehenden Regimewechsel in Damaskus.

Ein weiteres Motiv besteht in der Restauration westlicher Hegemonie über den Nahen und Mittleren Osten, die durch die Aufstände in Tunesien und Ägypten in Frage gestellt wurde. Die Konstitution mehrerer außen- wie wirtschaftspolitisch souverän agierender Regierungen in der arabischen Welt und die Ausbreitung der Arabellion auf autoritär geführte Bastionen westlicher Hegemonie am Persischen Golf hätte in dieser ressourcentechnisch, militärstrategisch wie migrationsrelevanten Weltregion einen Kontrollverlust erzeugt, der für die Geopolitik der NATO inakzeptabel ist. Der Regimewechsel in Tripolis war mithin exakt terminiert, bestand doch kein besonderer machtpolitischer Handlungsbedarf bei einem Gaddafi, mit dem die EU-Staaten bis dahin bestens leben und sogar ihre Flüchtlingsabwehr organisierten konnten.

Die Okkupation der arabischen Demokratiebewegung durch die Freiheitsbomber und Demokratiegeschwader der NATO ist in einer Zeit, in der die Menschen überall entdecken, daß ihre Regierungen nicht immun sind gegen entschiedenen sozialen Widerstand, von kaum zu überschätzender Bedeutung. Das fast synchrone Auftreten massenhafter Protestbewegungen 2010 gegen die krisenbedingt verschärfte Umverteilung von unten nach oben in der EU und den USA beflügelte die Aufständischen in Tunesien und Ägypten ebenso, wie sich die Aktivistinnen und Aktivisten in den westlichen Metropolengesellschaften durch die Arabellion inspirieren ließen. Die Möglichkeit einer Internationale des antikapitalistischen Widerstands gegen das transnationale Kartell der Konzerne und Regierungen war zumindest in Ansätzen gegeben, zudem hatten bereits die Hungeraufstände 2007/2008 gezeigt, daß das Überschreiten der Grenzen der Zumutbarkeit die Grundlagen kapitalistischer Prosperität akut in Frage stellen.

Neigt die Krise des Kapitals ohnehin zur gewaltsamen Vernichtung ihrer materiellen Deckung verlustig gegangener und damit nurmehr fiktiver Wertansprüche, so gilt dies für die Legitimationskrise der politischen Systeme erst recht. Nicht einfach brutale Repression top-down, sondern die intelligentere Lösung, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen und demokratische Werte zu predigen, über deren reale Durchsetzung stets im Einzelfall unter selbstredender Inanspruchnahme doppelter Standards befunden wird, war bereits ein probates Mittel bei der Zerschlagung Jugoslawiens und der Initiierung bunter Revolutionen im postsowjetischen Machtbereich. Wo die neoliberale Schockdoktrin millionenfach soziales Elend produzierte, entfaltete die Verheißung, ein Neubeginn nach Vorbild der vergleichsweise prosperierenden Gesellschaften in Westeuropa und Nordamerika schaffe akzeptablere Lebensbedingungen, verführerische Kraft.

Seit die sozialen Antagonismen sich als Vorbild für Freiheit und Demokratie inszenierender Klassengesellschaften immer unverhohlener zu Tage treten, seit von der EU längst nicht mehr als Werte-, sondern nurmehr als Notgemeinschaft die Rede ist, ist auch die Legitimationsnot ihrer Regierungen größer geworden. Die düster illuminierten Schreckensbilder grausamer Diktatoren im Iran und in Syrien, die ja so viel schlimmer sein sollen als die freundlichen Despoten ausgemachter Vasallenregimes der NATO wie Saudi-Arabien oder Bahrein, dienen mithin nicht nur der vordergründigen Rechtfertigung imperialistischer Kriege. Sie fungieren auch als Zerrspiegel einer Demokratisierungskampagne, mit der neue autoritäre Ordnungen nach marktwirtschaftlicher Maßgabe etabliert werden sollen. Die unabgegoltenen sozialen Ansprüche der auf halbem Wege steckengebliebenen Revolutionen in Tunesien und Ägypten vollends vergessen zu machen und das materielle Gewaltverhältnis, das die arabischen Massen zu überwinden trachteten, in eine neue, von transnationaler Kapitalmacht lizenzierte Ordnung zu gießen ist eine wesentliche Stoßrichtung westlichen Hegemonialstrebens im Nahen und Mittleren Osten.

Darin sieht auch die Bundesregierung ihre Chance, wie etwa die Kooperation zwischen dem deutschen Außenministerium, der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), dem US-State Department und dem United States Institute of Peace (USIP) bei der konkreten Vorbereitung des Machtwechsels in Syrien belegen [5]. In der entsprechenden Ankündigung der Bundesregierung geht es zwar nur um den "wirtschaftlichen Aufbau nach dem Ende des Assad-Regimes" [6], doch allein die gleichberechtigte Funktion der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Deutschlands als Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung" läßt tief blicken. Nicht anders als Katar und Saudi-Arabien gehören die VAE zu den reaktionärsten Regimes der arabischen Welt und sind mithin prädestiniert dafür Sorge zu tragen, daß in Syrien lediglich ein Elitenwechsel nach Maßgabe der westlichen Schutzmächte vonstatten geht, keinesfalls jedoch die Befreiung der Bevölkerung von ihrer Ausplünderung durch eigene Oligarchen wie transnationale Konzerne erfolgt.

Es paßt mithin ins Bild, daß die Bundesregierung immer offener dazu übergeht, die Aufrüstung Saudi-Arabiens und Katars durch die deutsche Rüstungsindustrie namentlich mit Hunderten von Leopard 2-Panzern voranzutreiben [7]. Mit der Beteiligung am Krieg gegen Libyen hat sich Katar als zuverlässiger strategischer Akteur bewiesen, und die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Bahrain, die Sicherung des Regimes im Jemen und die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im eigenen Land sind nur einige der Errungenschaften, mit denen sich das saudische Königshaus als Sachwalter westlicher Hegemonialinteressen empfiehlt. Wie bequem, sich nicht die Hände schmutzig machen zu müssen, sondern regionale Subkontraktoren zum Vorteil der eigenen Exportwirtschaft mit der Sicherung eigener Hegemonialinteressen wie der Unterdrückung ernstgemeinten sozialen Widerstands betrauen zu können.

Die arabischen Sachwalter westlicher Interessen als auch der NATO-Staat Türkei verfolgen zwar profunde Eigeninteressen gegenüber Syrien und anderen Staaten der Region als auch ethnischen Minderheiten wie der der Kurden. Im größeren strategischen Aufriß der Konfrontation zwischen der NATO und Rußland wie China bleiben sie jedoch ebenso wie der Iran und Syrien Figuren auf dem Schachbrett des globalen Konflikts um die ressourcenstrategischen wie ordnungspolitischen Einflußsphären der stärksten Akteure. Daß diese alle Register ihres Handlungsvermögens ziehen, um die Inwertsetzung der materiellen und humanen Potentiale der Region zu eigenen Gunsten voranzutreiben, bedingt eine konzeptionell in der NATO bereits vorgedachte Aufgabenverteilung, in der sich die Bundesrepublik bislang vor allem durch zivilgesellschaftliche Zurichtung der betroffenen Gesellschaften auf die ressourcentechnischen, industriellen und exportpolitischen Erfordernisse Deutschlands und der EU hervorgetan hat. Mit der immer offener vollzogenen Militarisierung der deutschen Hegemonialpolitik durch die interessenbedingte Aufrüstung von Kriegsakteuren in der Region nähert sich die Bundesregierung allerdings dem Punkt, an dem es auch für sie kein Zurück mehr gibt, wenn die Anforderung militärischer Leistungen über die NATO an sie herangetragen wird.

Dieser wird sie sich nicht nur nicht verweigern können, in der weiteren Brutalisierung der eigenen Außenpolitik erkennt sie auch den Hebel zur Durchsetzung antidemokratischer Formen der Herrschaftsicherung in der Bundesrepublik selbst. Was bei der Debatte um die Entwicklung der Konflikte um Syrien und den Iran am wirksamsten ausgeklammert wird, ist die Betroffenheit der Bundesbürger durch eine Willkür staatlichen Vollzugs, die mit der äußeren Kriegführung Handhabe für die exekutive Ermächtigung im Innern erhält. Dabei liegt der Gedanke nahe, wenn man nur an die Verwendung westlicher Sicherheitstechnik bei der Unterdrückung von Menschen auch in Ländern, die von westlichen Regierung offiziell wegen Menschenrechtsverletzungen gerügt werden, oder der Ausbildung ihrer Sicherheitskräfte durch nämliche Regierungen bedenkt. Was im Labor diktatorischer Regimes eingesetzt und weiterentwickelt wird, verkauft sich auf dem heimischen "Sicherheitsmarkt" um so besser, als den Kunden die Wirksamkeit angeblich nichttödlicher Waffen oder hochentwickelter Observationstechnik am realen Beispiel vor Augen geführt werden kann.

Worum sonst sollte es gehen bei einem Krisenmanagement, das mit der Ausplünderung der eigenen Volkswirtschaften für die Bestandssicherung des transnationalen Kapitals sehenden Auges einen Flächenband sozialer Aufruhr entfesselt, den zu löschen es mehr bedarf als die alltägliche Indoktrination mit kulturalistisch und sozialrassistisch armierten Argumenten der Diffamierung und Atomisierung? Klassenherrschaft in Zeiten schwindender Herrschaftslegitimation und anwachsender materieller Not zu sichern begründet faschistische Formen gesellschaftlicher Reorganisation, die um so widerstandsloser durchzusetzen sind, wenn imperialistische Kriege dazu nötigen, sich für nationalistische Suprematie oder staatsfeindliche Abweichung zu entscheiden.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-2

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1706.html

[3] http://atimes.com/atimes/Middle_East/NG24Ak02.html

[4] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/jul/12/syrian-opposition-doing-the-talking?

[5] http://thecable.foreignpolicy.com/posts/2012/07/20/inside_the_secret_effort_to_plan_for_a_post_assad_syria

[6] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Syrien/120719_Syrien_Aufbau_Wirtschaft.html?nn=382590

[7] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/katar-will-200-leopard-2-panzer-von-deutschland-kaufen-a-846966.html

30. Juli 2012