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HEGEMONIE/1770: Von Schuld befreit zum Krieg entfesselt - Gauck erteilt Absolution (SB)




Nun hat er sie endlich gehalten, jene "große Rede", ohne die ein Bundespräsident nicht als Gans, die goldene Eier legt, sondern als lahme Ente in die Geschichtsbücher eingeht. Was Horst Köhler vor vier Jahren, als er sich auf dem Rückflug von einem Afghanistanbesuch zum interessengeleiteten Charakter deutscher Außenpolitik bekannte, noch zum Anlaß nahm, seine glücklose Präsidentschaft zu beenden, gereicht Joachim Gauck zur fast ungeteilten Anerkennung in Politik und Medien. Nicht, daß Köhler mit seinem Eintreten für einen deutsche Wirtschaftsinteressen flankierenden Militärinterventionismus nicht offene Türen bei den Funktions- und Kapitaleliten eingerannt hätte, doch irrlichterte damals noch das Gespenst einer ethisch und humanitär motivierten Außenpolitik durch die Korridore des Reichstags und Bundeskanzleramts.

Fünf Jahre weiter fortgeschritten in der Krise des kapitalistischen Weltsystems, an der sich die Bundesrepublik bislang zu Lasten ihrer Lohnabhängigen wie der Arbeiterinnen und Arbeiter anderer Mitgliedsstaaten der Eurozone relativ schadlos gehalten hat, werden andere Saiten aufgezogen. Die offensive Drohung mit kriegerischer Gewalt soll den nurmehr durch Staatsgarantien aufrechtzuerhaltenden Wert, dessen materielle Grundlage immer weniger in der Güterproduktion und immer mehr in der Not der Menschen besteht, die nicht über ihn verfügen, letztinstanzlich decken. Das gesellschaftliche Schuldverhältnis zwingt diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, dazu, dies für immer weniger dessen zu tun, was ihnen bei der Mehrwertabschöpfung bereits genommen wurde. So nimmt, was gesellschaftlich produziert und privat angeeignet wird, die Form einer Forderung in Händen der Gläubiger an, diesen zu welchem Preis auch immer zu Diensten sein.

Desto weniger die im Finanzkapital begründete Verfügungsgewalt auf realer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beruht, desto mehr ist der in ihm verkörperte Reichtum durch die Ohnmacht der Menschen und Zerstörung der Natur bestimmt. In der Verwertung des nackten Lebens, in seiner Aneignung zu Lasten der einen und zum Nutzen der anderen, liegt die Zahlungsfähigkeit eines Geldes begründet, dessen Wert nurmehr durch die politische Herrschaft über die Eigentums- und Rechtsordnung, ohne die sich kein auf Krediten beruhendes Schuldverhältnis in reale Verfügungsgewalt übersetzen ließe, gewährleistet werden kann.

So stellt der Staat die Lebenszeit und -kraft der Menschen für einen immer geringeren Anteil an den mit ihrer Verausgabung erzeugten Tauschwerten unter seine Kuratel. Nur so kann verhindert werden, daß der fiktive, in ungedeckten Schulden und der beschleunigten Flucht der Investoren in Land und Immobilien, in Rohstoffe aller Art wie auch sogenannte Immaterialgüter wie Telekommunikation, Patente und Lizenzen hervortretende Charakter des Kapitals auffliegt. Eingeschworen auf die Nation, die die schwindenden Grundlagen ihrer Daseinssicherung als Not- und Schicksalsgemeinschaft garantieren soll, werden soziale Antagonismen in äußere Aggression verkehrt, wobei die genannten Aktivposten der von ihrer materiellen Grundlage abgehobenen Kapitalakkumulation bereits die Konditionen strategischer Landnahme umreißen.

Um ein glaubwürdiges Plädoyer für die Übernahme sogenannter Verantwortung im internationalen Bereich, sprich die Unbotmäßigkeit anderer Staatssubjekte oder fremder Bevölkerungen mit kriegerischen Mitteln bezwingen, zu halten, müssen jene zwischenstaatlichen Gewaltverhältnisse, die die privilegierte Stellung der Bundesrepublik als europäische Führungsmacht und Gesellschaft mit hohem Lebensstandard sichern, wirksam ausgeblendet werden. Nur so kann das Bild einer Welt entworfen werden, in der einzelne Personen mit diktatorischen Mitteln ganze Bevölkerungen kujonieren, während diesen die Möglichkeit, sich ihres Gewaltherrschers zu entledigen und dabei auch die Herrschaft der Oligarchen und Besitzbürger zu überwinden, von vornherein ausgeschlossen wird. Nur so lassen sich "nationale Alleingänge" beim Entzug des Zugriffs auf "unsere Ressourcen", bei der Vergesellschaftung "unserer Investitionen" oder der Blockade von Handelswegen in den Ländern des Südens als eine Form des illegitimen Raubes anprangern. Nur so lassen sich Investitions- und Urheberschutz, Freihandel und Extraktionsrechte gegen Bevölkerungen durchsetzen, denen der notdürftige Schutz ihres Wassers, ihrer Agrarerzeugnisse und Sozialfürsorge so unabdinglich ist, daß sie den Agenten neuer Verwertungsmöglichkeiten Einhalt gebieten.

Gaucks Rede zur Eröffnung der 50. Münchner Sicherheitskonferenz erfüllt schlicht die Maßgabe eines Krisenmanagements, das ohne Gewaltandrohung nicht mehr gegen jene Millionen durchzusetzen ist, die ihr nacktes Leben gegen seine Einspeisung in die globale Mangelproduktion verteidigen. Um sie mit Hilfe der NATO zur Ordnung der "freien Welt" zu rufen, reicht die Selbstevidenz der Anmaßung, im Schulterschluß westeuropäischer und nordamerikanischer Metropolengesellschaften das Böse vom Guten zu scheiden, allemal aus. Die der Rede des Bundespräsidenten von den Konzernmedien und Staatssendern attestierte Größe meint jedoch vor allem den überfälligen Paradigmenwechsel, den er mit der Rüge an die Adresse jener vornimmt, "die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken." [1]

Mit einem unausgesprochenen Seitenblick auf den Jugoslawienkrieg, als das angebliche Wegsehen für Deutschland gerade wegen seiner historischen Schuld an diesem Land ausgeschlossen wurde, erklärt Gauck diese Schuld für abgegolten und macht den Weg frei für neue Untaten. Mußte sich der rot-grüne Kanzler Gerhard Schröder bei der von ihm betriebenen "Enttabuisierung des Militärischen" noch auf eine Art Ablaßhandel einlassen, der diese historische Schuld in die Waagschale ihrer kriegerischen Vergeltung warf, so schließt Gauck dieses Kapitel deutscher Vergangenheitsbewältigung durch die positive Bestätigung des deutschen Imperialismus als Norm interessengeleiteter Hegemonialpolitik ab. Der martialische Tenor seiner Worte stimmt die Bevölkerung auf eine Ära ein, in der Blut, Schweiß und Tränen nicht mehr im Kampf gegen einen deutschen Diktator fließen sollen, sondern zur Tilgung einer Schuld, deren Diktat sich der Mensch mit allem zu unterwerfen hat, was ihm an Lebensgarantien noch entzogen werden kann, wenn er sich nicht nach der Decke der herrschenden Mangelordnung streckt.


Fußnoten:

[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/01/140131-Muenchner-Sicherheitskonferenz.html

1. Februar 2014