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HEGEMONIE/1795: Obama stellt die Zukunft atomarer Kriegführung sicher (SB)



Immerhin ist Barack Obama als erster US-Präsident zum Gedenken an den Abwurf zweier Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki an den Ort des Geschehens gereist, lautet der lobende Tenor vieler Kommentare zu dessen Besuch in Hiroshima. Die salbungsvollen Worte über die Leiden unschuldiger Menschen seien doch mehr als nichts, so die verbreitete, die inhaltliche Bescheidenheit vieler politischer Willensbekundungen bereitwillig reproduzierende Ansicht zu diesem historischen Auftritt. Tatsächlich kann es nicht darum gehen, bei einem früheren Weltkriegsgegner als Nationalstaat etwas wiedergutzumachen, was sich schlichtweg nicht ungeschehen machen läßt. Auch ist das imperiale Japan, dessen Regierungen sich ihrerseits strikt weigern, sich bei der Bevölkerung Chinas für die an ihr während der Besatzung durch japanische Truppen begangenen Grausamkeiten zu entschuldigen, als Nationalstaat kein Adressat, der für eine derartige Geste in Frage kommt.

Daß die Möglichkeit, sich statt dessen bei den unmittelbaren und mittelbaren Opfern der beiden Luftangriffe zu entschuldigen, überhaupt Erwähnung findet, läßt das Ausmaß der Schrecken erahnen, die dem kriegerischen Entfachen des atomaren Feuers bis heute innewohnen. Wenn Obama jedoch die Grausamkeit der atomaren Kriegführung ohne jeden Verweis auf die Täterschaft seines Landes anprangert, ist das Gedenken in Hinsicht auf den erwarteten Fortschritt, die Gefahr einer Wiederholung solcher Vernichtungsakte zu bannen, eher kontraproduktiv. In seiner Rede forderte der US-Präsident das Publikum auf, sich in die Vorstellung, wie der Abwurf der Bombe auf Hiroshima erlebt wurde, hineinzuversetzen. Damit griff er zu einem bewährten Mittel dramaturgischer Effekthascherei, das hinsichtlich der dabei inszenierten Gewalt völlig folgenlos bleibt, wenn es über eine bloße Erlebnisqualität nicht hinausgeht. Es handelt sich um bloßen Ersatz für die politische Dimension, die diese Kriegführung für die weitere Zukunft atomarer Konfrontation hat.

Um so weniger glaubhaft wirkt es, wenn der US-Präsident die Abschaffung aller Atomwaffen beschwört. Indem er wiederholt, was er bereits kurz nach seinem ersten Amtsantritt 2009 ankündigte, ohne daß sich an der Kriegspolitik seines Landes viel geändert hätte, degradiert er ein existentielles Thema, das alle Menschen angeht, zu einem symbolpolitischen Ereignis, das er in den Dienst seines politischen Vermächtnisses stellt. Es gibt genügend Historiker, die die Atomangriffe auf Japan weder für kriegsentscheidend noch -notwendig halten, sondern vor allem in den Kontext einer gegen die Sowjetunion gerichteten Abschreckungsdoktrin stellen. Demgegenüber zu behaupten, durch eine eventuelle Beschleunigung der Kapitulation Japans seien zumindest die Leben vieler US-amerikanischer Soldaten geschont worden, ist wiederum eine durchsichtige Variation weißer Kolonialideologie.

In Anbetracht der aufrechterhaltenen - und durch die aggressiven Territorialmanöver der NATO gegen die Russische Föderation aktualisierten - Atomkriegsgefahr belegt der Auftritt Obamas in Hiroshima vor allem, daß diese besonders zerstörerische Form der Kriegführung Zukunft hat und auch haben soll. Für die ungebrochene Aufrechterhaltung der globaladministrativen Staatsräson der US-Regierung erfüllt er die Funktion, die Legitimität der eigenen Werteordnung zu unterstreichen und damit in den Stand einer handlungsleitenden Motivation zu befördern, mit der sich im Ernstfall die Wiederholung dessen rechtfertigen läßt, was Obama angeblich in die Schranken weisen will. Für einen Präsidenten, der nicht mehr wiedergewählt werden kann, ist denn auch der Erfolg der eigenen Partei und sein Bekenntnis zum hegemonialen Vormachtanspruch der Vereinigten Staaten wichtiger, als unerwarteterweise den Bruch mit der vermeintlichen Pflicht zu vollziehen, als Commander-in-Chief vor allem die Aufgaben eines nationalen Oberbefehlshabers im Sinn zu haben. Das allerdings wäre ein Akt von historischem Format gewesen, hätte dieser Mensch seine Humanität doch einmal nicht seinem Staatsamt nachgeordnet.

27. Mai 2016


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