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HEGEMONIE/1816: America First - Ultima ratio der Apokalypse (SB)



Wenngleich Donald Trump nicht gerade den Prototyp eines bigotten fundamentalistischen Christen abgibt, scheint er doch ein offenes Ohr für apokalyptische Einflüsterungen zu haben, sofern endzeitliche Phantasien nicht ohnehin dem ihm eigenen brachialen Größenwahn entspringen. Zwar hat er das Credo "America First!" nicht erfunden, zumal die Vereinigten Staaten zeit ihrer Existenz nie anders gehandelt haben, doch treibt er den Herrschaftsanspruch seiner Nation über alle Welt entkleidet von jeglichen Tarngewändern und Feigenblättern mit unverhohlener Brutalität voran. So sehr er am Atomkrieg zündelt und ein großes Faß Öl in die schwelende Glut des Nahostkonflikts kippt, ist er doch weder ein politischer Amokläufer noch ein ins Weiße Haus gestolperter Psychopath. Eher schon verkörpert er kraft der seinem Land eigenen Übermacht auf besonders krasse Weise die Ultima ratio menschheitsgeschichtlicher Entwicklung, in Zeiten hereinbrechender Krisen und wachsender Not das eigene Überleben um so mehr durch die forcierte Unterwerfung, Ausbeutung und Vernichtung alles übrigen zu sichern oder darin zumindest die einzig relevante Maxime zu sehen.

Der 45. US-Präsident ist bekanntlich nicht die einzige politische Gallionsfigur weltweit, die Bündnisse aufkündigt und nationalchauvinistisch wie sozialrassistisch auf völkische Stärke schwört. Auch sind die USA beileibe nicht der einzige Staat, dessen Machteliten mit härtesten Bandagen der Repression nach innen und Aggression nach außen zu Werke gehen. Doch gebietet Washington über eine beispiellose militärische Stärke als Fundament seines ökonomischen und politischen Handelns, die der dort versammelten Staatsführung Handlungsmöglichkeiten eröffnet, von denen die gesellschaftlichen Eliten und administrativen Funktionsträger der allermeisten anderen Nationen nur träumen können.

Während ökonomische Krisen, kriegerische Auseinandersetzungen und Klimawandel wachsende Teile der Menschheit existentiell gefährden und gemeinsame Anstrengungen mithin das Gebot der Stunde wären, kündigen Trump und Konsorten jede Verantwortung für die globale Katastrophe und deren Bewältigung auf. Damit geben sie den ideologischen Führungsanspruch preis, der stets das Markenzeichen US-amerikanischer Expansion gewesen war, welche die Welt angeblich zu einem besseren Ort machen wollte. Indem die USA unter dieser Regierung selbst die Illusion entsorgen, sie hätten der Menschheit eine Vision zu bieten, beschleunigen sie ihren Niedergang, was sie freilich auf absehbare Zeit nicht weniger gefährlich macht.

Die jeglichem Machiavellismus der politischen Konkurrenz abholde Vorschlaghammermentalität der regierenden Administration in Washington entledigt sich auch jener Instrumente, die ihre Vorgängerinnen als Pforten der Einflußnahme zu nutzen pflegten. Bündnisse, internationale Übereinkünfte und sogar die Vereinten Nationen werden zur Makulatur erklärt, sofern sie nicht zuvorderst US-amerikanischen Interessen dienen, so wie die Trumps sie verstehen. Die sogenannte Weltgemeinschaft hat selbst als ideologisches Konstrukt ausgedient, womit freilich keine emanzipatorische Aufklärung, sondern im Gegenteil die ausschließlich exekutierte Gewalt des Stärkeren bar jeder Restbestände potentieller Vermittlung oder Zügelung aufgrund sich gegenseitig überschneidender Vorteils- und Überlebenserwägungen verbunden ist.

Aktuellstes Paradebeispiel ist der Umgang der US-Regierung mit dem Status Jerusalems, der zweifellos zu den heikelsten Fragen im Nahostkonflikt zählt und über Israel und die Palästinenser hinaus für die gesamte arabische Welt von außerordentlicher Bedeutung ist. Als der US-Präsident am 6. Dezember angekündigt hatte, Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen, stieß diese Entscheidung weltweit auf Ablehnung und löste vor allem in muslimischen Ländern heftige Proteste aus. Entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel wie auch in Ramallah, Hebron und anderen Orten im besetzten Westjordanland kam es zu Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Demonstranten, in deren Verlauf bislang zehn Palästinenser erschossen und zahlreiche weitere verletzt worden sind. [1]

Am Montag hatten die USA mit ihrem Veto eine Resolution des UN-Sicherheitsrats verhindert, mit der Trumps Schritt verurteilt werden sollte. Alle anderen 14 Mitglieder des wichtigsten UN-Gremiums stimmten jedoch für die Resolution. In der UN-Vollversammlung, in der alle 193 UN-Mitgliedsstaaten vertreten sind, haben die USA dagegen kein Vetorecht. Trump drohte im Vorfeld allen Ländern mit der Kürzung finanzieller Zuwendungen, die gegen die USA stimmen würden, wie er auch die Zahlungen für die UNO insgesamt reduzieren will. Ohnehin werde sein Land entsprechende Resolutionen mißachten. Noch unverhohlener drohte die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, den Mitgliedstaaten. "Die Vereinigten Staaten werden sich an diesen Tag erinnern", verkündete sie in der Debatte der Vollversammlung. Die Abstimmung werde Einfluß darauf haben, "wie wir auf Länder schauen, die uns gegenüber in der UNO respektlos sind". Ihre Botschaft würden die USA auf jeden Fall nach Jerusalem verlegen, betonte Haley. "Keine Abstimmung in den Vereinten Nationen wird daran etwas ändern." [2]

Demonstrierte dieser offene Erpressungsversuch die imperiale Sicht einer Hegemonialmacht auf ihre zur Räson zu bringenden Vasallenstaaten, so unterstrich sein Scheitern das Ausmaß der Isolation, in die Trump sein Land getrieben hat. Die von der UN-Vollversammlung beschlossene Resolution bekräftigt, daß der künftige Status Jerusalems in einem Friedensvertrag zwischen Israel und Palästinensern geregelt werden müsse. Alle anderen Beschlüsse zu dem Thema seien rechtlich unwirksam. Außerdem wird darin "großes Bedauern über jüngste Entscheidungen" bezüglich Jerusalems geäußert - ein klarer Verweis auf Trumps umstrittenen Schritt. Auch die Bundesrepublik stimmte für die Resolution. "Unsere Haltung ist klar: Der Status von Jerusalem muss in Gesprächen zwischen den beiden Parteien geklärt werden", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. "Eine Lösung sollte nicht von außen vorweggenommen werden."

Selbst traditionelle Verbündete Washingtons im Nahen Osten wie Ägypten oder Jordanien, die jährlich mehr als eine Milliarde Dollar von den USA erhalten, stimmten für die Resolution, die von 128 Staaten unterstützt wurde. 35 Staaten enthielten sich, darunter Kanada. 21 Delegationen blieben der Abstimmung wohl aus taktischen Überlegungen fern. Lediglich sieben stellten sich an die Seite Israels und der USA: Guatemala, Honduras, Togo, die Marschallinseln, die Föderierten Staaten von Mikronesien, Palau und Nauru. Die pazifischen Inselstaaten haben eine lange Tradition der bedingungslosen Nähe zu den USA, teils weil sie gar nicht anders können. So sind die Marschallinseln und Palau assoziiert, da Washington Verantwortung für Währung, Sicherheit und Haushalt ausübt. [3]

Daß eine breite Mehrheit der UN-Mitglieder den US-amerikanischen Drohungen nicht nachgegeben hat, wollte Israels Regierung nicht als Rückschlag werten. Trumps kongenialer Partner Benjamin Netanjahu hatte wenige Stunden vor den Beratungen der Generalversammlung die UNO ein "Lügenhaus" genannt. Hinterher ließ er die Weltgemeinschaft via Facebook selbstherrlich wissen, was er vom New Yorker Abstimmungsergebnis hält:

Israel weist diese lächerliche Resolution komplett zurück. Jerusalem war immer unsere Hauptstadt und wird es immer bleiben. Ich freue mich, dass eine wachsende Gruppe von Ländern sich weigert, in diesem absurden Theater mitzumachen. Und ich möchte besonders Präsident Trump und UN-Botschafterin Haley dafür danken, dass sie Israel und die Wahrheit verteidigt haben. [4]

Israels Verteidigungsminister Lieberman schloß sich der vollständigen Mißachtung und Herabwürdigung der UNO mit den Worten an, die USA seien ein moralisches Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Daß die Zahl der Kapitäne weltweit schwindet, die sich noch immer nach diesem Leuchtfeuer richten, sollte allerdings auch der israelischen Regierung nicht entgangen sein.

Gleichsam als Fußnote wäre noch anzumerken, daß Israel seinen Austritt aus der UN-Kulturorganisation Unesco bis Ende 2018 offiziell gemacht hat. Ein Außenamtssprecher begründete die Entscheidung mit "systematischen Angriffen" auf den jüdischen Staat und "Versuchen, die jüdische Geschichte vom Land Israel zu trennen". Die Unesco hatte in der Vergangenheit mehrfach Israel-kritische Resolutionen angenommen, woraufhin die israelische Regierung ihre Beitragszahlungen verringerte. Die USA haben ihre Zahlungen bereits 2011 unter Präsident Barack Obama eingestellt und wollen sich bis Ende 2018 ebenfalls ganz zurückziehen. Benjamin Netanjahu sprach von einer mutigen und moralisch richtigen Entscheidung der USA, "weil die Unesco zu einem absurden Theater geworden ist. Statt Geschichte zu bewahren, verdreht sie sie". Im Sommer hatte die Entscheidung, die Altstadt von Hebron zum palästinensischen Weltkulturerbe zu erklären, für Empörung in Israel gesorgt, wo die Anerkennung einer Kultur der Palästinenser offenbar als nicht hinnehmbar für israelische Ansprüche auf sämtliche besetzten Gebiete aufgefaßt wurde. Wenngleich die Unesco in erster Linie für die Verwaltung des Weltkulturerbes bekannt ist, besteht ihr Auftrag doch insbesondere darin, das wechselseitige Verständnis zwischen den Nationen zu fördern. [5] Daß sich die USA und Israel nun auch offiziell von diesem Anliegen verabschieden, mag wie eine Marginalie anmuten. Es zeugt aber seinerseits vom fatalen Drang zur Befeuerung apokalyptischer Verhältnisse, in denen sich diese Staatsführungen offenbar dank ihrer Waffengewalt die größten Chancen ausrechnen, am Ende aller Zeiten auf den Verwüstungen zu thronen wie die 144.000 Auserwählten an der Tafel des Herrn im Buch der Offenbarung.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/newsticker/news1/article171866710/Proteste-Zwei-Palaestinenser-bei-Zusammenstoessen-mit-Armee-im-Gazastreifen-getoetet.html

[2] http://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_82943382/-un-vollversammlung-verurteilt-donald-trumps-jerusalem-politik.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/un-resolution-warum-der-mikro-staat-nauru-mit-den-usa-stimmte-1.3803599

[4] http://www.deutschlandfunk.de/un-resolution-gesucht-neue-vermittler-fuer-nahost-konflikt.1766.de.html?

[5] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-12/unesco-israel-vereinte-nationen-austritt

23. Dezember 2017


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