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HERRSCHAFT/1414: Schlechte Noten für Bush lenken von seinen Erfolgen ab (SB)



Das stehende Wort vom "schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten" basiert auf einer Bewertungsgrundlage, die irreführender nicht sein könnte. Es unterschlägt die Errungenschaften, die in den Augen ihrer Nutznießer allemal für eine erfolgreiche Präsidentschaft sprechen. Das gilt auch für die zu Beginn des Terrorkriegs und der Eroberung des Iraks immens hohe Zustimmung, die Bush seitens der US-Bevölkerung erhielt. Seine pauschale Disqualifizierung soll davon ablenken, daß die Fortschritte, die Bush für die Machtentfaltung seines Amts, für das US-Kapital wie für die Globalhegemonie der USA erzielt hat, durch seinen Nachfolger nicht etwa aufgehoben, sondern ausgebaut werden.

Die wohl folgenschwerste Innovation seiner zwei Amtsperioden besteht in der Verabsolutierung des Terrorismusbegriffs zu einem Generalvorwand für jede Form staatlicher Ermächtigung und das unangefochtene Führen völkerrechtswidriger Kriege. Indem Bush die darin angelegte Dichotomie von Gut und Böse in neue Höhen der Deutungsmächtigkeit und in neue Formen der exekutiven Anwendbarkeit getrieben hat, hat er den autokratischen Charakter seines Amts zementiert und die Reichweite der Staatsgewalt nicht nur für die USA ausgeweitet. Als ob es keine dringender zu bewältigenden Gefahren und Bedrohungen, Nöte und Probleme für die Menschheit gäbe, hat er den Terrorismus zum zentralen Regulationsregime kapitalistischer Interessen ausgebaut und so die etablierte Klassenherrschaft gestärkt.

Indem Bush die geostrategische Expansion der USA mit dem Vorhaben der Demokratisierung legitimierte, hat er den herrschaftsförmigen Charakter der neoliberalen Doktrin in einen Demokratismus münden lassen, der demokratische Partizipation noch mehr als zuvor an den Einfluß hegemonialer gesellschaftlicher Kräfte bindet und demokratische Freiheiten als Ausdruck marktwirtschaftlicher Liberalisierung vulgarisiert. Dieser US-Präsident hat erheblich dazu beigetragen, daß das Verständnis für politische Herrschaft zugunsten einer kapitalismusaffinen Idealisierung der Demokratie trivialisiert und vom Wissen über den maßgeblichen Einfluß dominanter gesellschaftlicher Kräften und Wirkungen abgekoppelt wurde.

Bush war zudem erfolgreich damit, daß er die sogenannte politische Opposition in die meisten seiner umstrittenen und kritisierten politischen Entscheidungen einband. Die US-Demokraten haben sich durch ihre Zustimmung zu den Maßnahmen der Repression inklusive der Folter, zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak, zum präventiven Charakter der Bush-Doktrin, zu den die Reichen überproportional bevorteilenden Steuersenkungen, zum 700 Milliarden Dollar schweren Rettungsplan für die Wall Street und zum weiteren Abbau sozialer Sicherungssysteme in einem Ausmaß an die Agenda dieses Präsidenten gebunden, daß Obama, selbst wenn er es wollte, gar nicht so viel bewegen kann, als daß er sich davon befreien könnte.

Bei der allgemeinen Schmähung George W. Bushs wird rundheraus verkannt, in welchem Ausmaß seine Politik die Interessen der Herrschenden in den USA wie der EU spiegelt. Es ist schließlich kein Zufall, daß europäische Sicherheitsbehörden in großem Ausmaß mit dem Folterregime Washingtons kooperiert haben, anstatt sich ihren angeblichen Werten gemäß von vornherein entschieden dagegen zu verwahren, unter dem Vorwand des Terrorismus die Verschärfung der eigenen Ermittlungspraktiken voranzutreiben. Es ist kein Zufall, daß die Observation des einzelnen Bürgers nicht nur in den USA, sondern auch in der EU auf eine Weise vorangekommen ist, die George Orwells "1984" als antiquiert erscheinen läßt. Es ist kein Zufall, daß das Abwirtschaften des für die USA in besonderer Weise gültigen neoliberalen Akkumulationsregimes nicht etwa in eine Schwächung, sondern Stärkung der Herrschaft des Kapitals auch in der EU mündet. Es ist kein Zufall, daß der Krieg der NATO in Afghanistan als Transmissionsriemen zu einer Militarisierung der EU fungiert, obwohl gleichzeitig so getan wird, als lehne man die Brutalität des Vorgehens der US-Streitkräfte am Hindukusch ab. Es ist schließlich kein Zufall, daß die explizite Gutheißung des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen durch das Weiße Haus in Washington ohne Abstriche vom Bundeskanzleramt mitvollzogen wurde.

All diese Entwicklungen werden von einflußreichen Kräften unter den Funktions- und Kapitalmachteliten begrüßt. Problematisch sind lediglich die Legitimationsdefizite, die aus den offenliegenden Widersprüchen zwischen ethischem Anspruch und machtpolitischer Praxis resultieren. Um diese zu beheben, bietet sich an, das Ansehen des scheidenden US-Präsidenten zu mindern und seinen Nachfolger mit um so mehr Vorschußlorbeeren zu behängen. Als neues Gesicht US-amerikanischer Klassenherrschaft und Hegemonialpolitik wird Obama hier und da einige Modifikationen vornehmen, in großen Zügen jedoch die Leitlinien einer Politik befolgen, die sich nicht etwa George W. Bush ausgedacht hat, sondern als deren Sachwalter er aufs Schild gehoben wurde.

Mit diesem Präsidenten dankt der Sproß einer dynastischen Tradition der WASP-Eliten ab, die keineswegs vorhaben, ihre Macht künftig in die Hände von Menschen zu legen, die die Interessen derjenigen vertreten, die bislang Opfer rassistischer und imperialistischer Praktiken waren. Indem Barack Obama neue Glaubwürdigkeit für die USA als Kraft des Guten schafft, verleiht er dem Kampf gegen die Kräfte des Bösen neue Dynamik. Wie diese Chiffren machtpolitischer Praxis zu füllen sind, bedarf keiner weiteren Erörterung.

17. Januar 2009