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HERRSCHAFT/1415: Was hätte Martin Luther King Barack Obama geraten? (SB)



Seinen 80. Geburtstag hätte Martin Luther King jr. am 15. Januar feiern können, wenn seinem Leben nicht am 4. April 1968 gewaltsam ein Ende bereitet worden wäre. Bislang ist es den US-Behörden gelungen, alle Belege zu unterdrücken, die das Komplott des FBI, das dem Attentat auf King zahlreichen Indizien und Zeugenaussagen zufolge zugrundeliegt, verifizieren könnten. Der als pazifistischer Bürgerrechtler gefeierte Prediger hatte sich in den letzten Jahren seines Lebens mit zunehmender Schärfe gegen den Vietnamkrieg gewendet. King war kein Kommunist und Klassenkämpfer, er konnte jedoch nicht daran vorbeischauen, daß die Kriegführung Washingtons direkt mit der Benachteiligung und Unterdrückung der US-amerikanischen Schwarzen verknüpft war.

Schon am 4. April 1967 hatte King in seiner legendären Rede "Beyond Vietnam - A Time to Break Silence" [siehe dazu INFOPOOL-POLITIK-KOMMENTAR: FRIEDEN/0923] in der New Yorker Riverside Church seine These von den drei miteinander verbundenen Übeln formuliert:

"Das Problem des Rassismus, das Problem der ökonomischen Ausbeutung und das Problem des Krieges sind alle aneinander gekettet. Dies ist das dreifache Übel, das miteinander verbunden ist."

King ging es in zunehmendem Maße darum, den Sinn seiner Anhänger für die Bedeutung der internationalen Politik Washingtons und deren Rückwirkung auf die eigene Gesellschaft zu schärfen. Für ihn war der Vietnamkrieg ein Krieg gegen die Armen nicht nur in Südostasien, sondern auch den USA, da er ihnen Mittel entzog, die sie dringend benötigten. So wendete er sich am 4. Februar 1968 in seiner Geburtsstadt Atlanta, Georgia, in einer Predigt gegen jegliche Form nationaler Suprematie. Dabei übte er am eigenen Land besonders harsche Kritik, ein in der Hochzeit des Kalten Kriegs erheblicher Affront gegenüber den weißen Eliten. Ausgehend von der Bedrohung gegenseitiger nuklearer Massenvernichtung erklärte er:

"Es tut mir leid sagen zu müssen, daß die Nation, in der wir leben, der größte Übeltäter ist. Und ich werde dies auch in Zukunft zu Amerika sagen, weil ich dieses Land zu sehr liebe, als daß ich seine Tendenz ertragen könnte. Gott hat Amerika nicht aufgefordert, das zu tun, was es heute in der Welt tut. Gott hat Amerika nicht aufgefordert, sich in einem sinnlosen, ungerechten Krieg wie dem Krieg in Vietnam zu engagieren. Wir sind die Verbrecher in jenem Krieg. Wir haben mehr Kriegsverbrechen als beinahe jede andere Nation auf der Welt begangen, und ich werde dies weiterhin sagen. Und wir werden wegen unseres Stolzes und unserer Arroganz als Nation nicht damit aufhören."

King berief sich in dieser Predigt auf einen Jesus, der in Konflikt mit den herrschenden Kräften seines Landes stand und dessen angebliche Freunde ihn wegen seiner aufrührerischen Ansichten und Praktiken ans Messer lieferten. Zwei Monate später wurde er unter bis heute ungeklärten Bedingungen ermordet. Die Forderung, den Verlauf des Attentats aufgrund schwerwiegender Widersprüche zwischen der offiziellen Tatversion und der inzwischen eruierten Faktenlage neu aufzurollen, wurde bisher seitens aller US-Regierungen unterbunden.

Statt dessen hat man Martin Luther King einen der wenigen offiziellen Feiertage der USA gewidmet. Um sein sozialrevolutionäres Potential unter Kontrolle zu bekommen und seine historische Wirkung auf das Feld der Bürgerrechte zu beschränken, erhob man ihn zu einem nationalen Monument, auf das sich jeder berufen kann, der mit der US-Verfassung konform geht.

Bezeichnenderweise hat Barack Obama, der einen Tag nach dem Martin Luther King, Jr. Day seinen Amtseid als US-Präsident ablegen wird, den großen Schwarzenführer in seiner Siegesrede am 4. November 2008 nur indirekt als "Prediger aus Atlanta" erwähnt. Nimmt man nur Kings Worte zur Kriegführung seines Landes, dann ähneln diese sehr viel mehr denen Lawrence Wrights als denen Barack Obamas. Während der neue US-Präsident sich ein Kriegskabinett zusammengestellt hat, das Kontinuität zur Politik der Vorgängerregierung signalisiert, hat sein ehemaliger Pastor Wright, von dem sich Obama während des Wahlkampfs öffentlich lossagte, in seinen Predigten immer wieder ausgeführt, worin das Verwerfliche der US-amerikanischen Suprematie besteht [siehe dazu INFOPOOL-POLITIK-KOMMENTAR: KULTUR/0693].

Für Obama kann Martin Luther King jr. nur in dem gleichen, konformistischen Sinn ein positiver Bezugspunkt sein, wie er es für George W. Bush und Bill Clinton war. Die Ansichten, die dem Prediger in den letzten drei Jahren seines Lebens aus den negativen Erfahrungen erwuchsen, die er mit der geringen Wandlungsfähigkeit der US-Gesellschaft machte, sind im staatstragenden Sinne nicht repräsentationsfähig. Aufgrund der Hartnäckigkeit des weißen Rassismus, die King inbesondere anhand von haßerfüllten Reaktionen auf seine Person während Demonstrationen im Norden der USA erkannte, verlangte er gegenüber dem Journalisten David Halberstam im Frühjahr 1967 die "Rekonstruktion der gesamten Gesellschaft, eine Revolution der Werte". Er knüpfte damit an die bereits 1964 in seinem Buch "Why We Can't Wait" veröffentlichte Analyse zum Gründungsmythos der Vereinigten Staaten an:

"Unsere Nation wurde in einem Genozid geboren, als sie die Doktrin anerkannte, daß der originäre Amerikaner, der Indianer, eine niedrigere Rasse wäre. Noch bevor eine große Zahl von Negern an unseren Stränden anlandete, hatte die Wunde des Rassenhasses bereits die Kolonialgesellschaft entstellt. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Blut in Schlachten über rassische Suprematie vergossen. Wir sind vielleicht die einzige Nation, die im Rahmen nationaler Politik versucht hat, unsere indigene Bevölkerung auszurotten."

Wenn sich US-Bürger heute, wie einst in der Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren, auf Demonstrationen gegen die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak, gegen den Krieg Israels in Gaza auf den legendären Schwarzenführer berufen, dann stellen sie sich damit in eine Tradition, die sich zur offiziellen Geschichtspolitik der USA immer antagonistischer verhält. Barack Obama hat es von Anfang an mit politischen Widersprüchen zu tun, die den Honeymoon mit seinen schwarzen Anhängern schnell beenden und seine Karriere zu einem ganz normalen US-Präsidenten erheblich beschleunigen werden.

(Zitate aus dem Englischen in eigener Übersetzung)

19. Januar 2009