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HERRSCHAFT/1490: Sozialer Konflikt ... die große Unbekannte des Wahlkampfs (SB)



Die vielbeklagte Langeweile, von der der Bundestagswahlkampf gezeichnet war, ist Ausdruck eines Krisenmanagements, das sich vor allem des Mittels der Ausblendung des zentralen gesellschaftlichen Konflikts bedient. Nur deshalb hat die bereits nach der letzten Bundestagswahl erfolgte Konsolidierung der Regierungsmacht im Rahmen einer großen Koalition nicht zu Radikalisierungstendenzen geführt, sondern den Mehltau, der über dem Land liegt, noch dicker werden lassen. Diesen nicht zu durchdringen und die Verschärfung der sozialen Lage in der deutschen Gesellschaft ans Tageslicht zu zerren konnte nur unter Kollaboration der großen Medien gelingen.

Zentrale Kritikpunkte an der Arbeit der amtierenden Regierungskoalition wurden schlicht unterschlagen. Die durch ihre Steuer- und Lohnpolitik bewirkten Reallohnverluste der Arbeiter und Angestellten steht die massive Bevorteilung der Kapitaleigner gegenüber. Die Benachteiligung lohnabhängiger, erwerbsloser und erwerbsunfähiger Bürger hat die Binnennachfrage geschwächt, so daß die Bundesrepublik in der Weltwirtschaftskrise aufgrund ihrer starken Exportorientierung vor besonders großen Problemen steht. Zur erweiterten Verfügbarkeit sich zu jedem Preis verkaufender Lohnabhängiger wurde das Disziplinar- und Bezichtigungsregime Hartz 4 mit aller Demagogie durchgesetzt, zu der eine sozialchauvinistische Bourgeoisie fähig ist. Obwohl sich erwiesen hat, daß die Bereitstellung von Lohnarbeit bei weitem nicht in einem Ausmaß erfolgt, anhand dessen Erwerbslosen unterstellt werden könnte, aufgrund eigenen Versagens keine Stelle zu erhalten, wird gegen die Empfänger von Sozialtransfers polemisiert, während die Profiteure aus arbeitsfreien Einkommen, die angeblich ihr Geld arbeiten lassen, als "Leistungsträger" glorifiziert werden.

Von einer Erpressung des Staates durch die Banken, wie die Bundeskanzlerin behauptet, kann keine Rede sein. Der neoliberale Kurs der Wirtschaftspolitik wurde von der rot-grünen wie dieser Bundesregierung vorgegeben, indem zahlreiche Gesetze erlassen wurden, die die Liberalisierung des Finanzmarkts und einen Standortwettbewerb zu Lasten der Erwerbstätigen ermöglichten. Die unter Beteiligung der Bundesregierung auf dem G-20-Treffen in Pittsburgh zustandegekommene Einigung, erst im Laufe von zwei bis drei Jahren die Eigenkapitalanforderungen der Banken zu erhöhen, läßt erkennen, daß das finanzkapitalistische Akkumulationsmodell nach wie vor als Königsweg zur Krisenbewältigung mit der absehbaren Folge neuer Verwertungskrisen betrachtet wird. Die in den letzten Wochen erfolgten Entwarnungen, laut denen es wieder aufwärts geht, stehen im Widerspruch zu zahlreichen Expertisen, laut denen die Banken noch ein großes Ausmaß an faulen Krediten vor sich herschieben und Unwägbarkeiten etwa des Handels mit Finanzderivaten nach wie vor große Risiken in sich bergen.

Vor allem jedoch kann jedes neuerliche Wirtschaftswachstum nur auf stark geschrumpftem gesamtwirtschaftlichen Niveau erfolgen. Weil noch weniger Lohnarbeit benötigt wird, wird der Druck auf die Erwerbslosen weiter wachsen, ihre Versorgungsleistungen werden entweder durch direkte Kürzungen oder Verbrauchssteuererhöhungen reduziert werden. Die bereits angekündigten Verknappungen werden die sozialen Widersprüche in der Bundesrepublik und damit die Legitimationskrise der Politik weiter verschärfen.

Um eine solche handelt es sich in Anbetracht der Strategie der Koalitionsparteien, sich ohne die Thematisierung der sozialen Frage durchzulavieren und bei der Begünstigung ihrer Unterstützer in den Funktions- und Kapitaleliten weiter wie bisher zu verfahren. Ohne die Medien, die weder die Diagnose der Wirtschaftskrise noch die der sozialen Folgen so umfassend stellten, daß die Bundesregierung unter massiven Rechtfertigungsdruck geraten wäre, hätten die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister keinen Wahlkampf des Beschönigens und Aussitzens führen können. Daß die Bevölkerung nicht einmal die nur alle vier Jahre gegebene Gelegenheit nutzt, die Bundesregierung mit ihren Forderungen zu konfrontieren, ist im Falle der am meisten von Verarmung und Verelendung betroffenen Menschen auf die gelungene Strategie, sie systematisch zur Passivität zu verdammen, zurückzuführen. Wenn sie nicht ohnehin in Ermangelung finanzieller Mittel davon abgehalten werden, sich politisch zu engagieren, dann erleben sie im alltäglichen Umgang mit den Ämtern, daß das herrschende System effizient gegen politische Veränderungen, die ihre Lage deutlich verbesserten, abgeriegelt ist.

Die Linke, die als einzige Partei der im Bundestag vertretenen Parteien sozial relevante Forderungen erhebt, wurde von den großen Medien weitgehend ausgeblendet oder diffamiert. Wären die Programme zumindest der nicht durch die Sperrklausel ausgegrenzten Parteien mit der gebotenen Sachlichkeit öffentlich dargestellt und ihre Positionen auf gleichberechtigte Weise repräsentiert worden, dann hätte es am Wahlsonntag zu Verschiebungen im Machtgefüge kommen können, die bei aller parlamentarischen Integrität auch der Linken für die herrschenden Eliten nicht mehr akzeptabel gewesen wären. Die neudeutsch Perception Management genannte Formierung der öffentlichen Meinung ist angesichts der Austauschbarkeit der Positionen, die Regierungsparteien sowie FDP und Grüne aufweisen, unerläßlich, um die neoliberale Krisenbewältigung durch einen gesellschaftlichen Frieden zu deckeln, der angesichts der damit unterschlagenen Konflikte nur als verstetigte Schreckenstarre bezeichnet werden kann.

26. September 2009