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HERRSCHAFT/1500: Klimawandel - EU-Staaten lehnen Verantwortung ab (SB)



Im Dezember soll in Kopenhagen ein internationaler Kyoto-Nachfolgevertrag zu weltweiten Klimaschutzmaßnahmen, die tief in die Produktionsbedingungen und das Konsumverhalten der Menschen eingreifen müßten, um erfolgreich zu sein, beschlossen werden. Es geht um nicht weniger als die Begrenzung der Erderwärmung, indem die Emissionen von Treibhausgasen geregelt werden. Globaler Klimaschutz - ein menschheitsgeschichtlich einmaliger Vorgang.

Ein globaler Temperaturanstieg um maximal zwei Grad Celsius im Verhältnis zum vorindustriellen Zeitalter wird von Politikern, Wissenschaftlern und etablierten Nichtregierungsorganisationen als akzeptable Zielmarke betrachtet. Dieser Wert bedeutet jedoch für die Malediven, Andamanen und andere Inselstaaten flächendeckend landunter. Auch Bangladesh wird erhebliche Landflächen dem Meer überlassen müssen, das in den nächsten Jahrzehnten vermutlich um mehrere Dezimeter steigen wird - wenn es gut geht. Sollten natürliche Kippunkte in der Natur überschritten und sich selbst verstärkende Dynamiken in Gang gesetzt werden, rechnen Klimaexperten mit einem Meeresspiegelanstieg von mehr als einem, womöglich sogar mehr als zwei Metern bis Ende des Jahrhunderts.

Mit einem globalen Temperaturanstieg von "nur" zwei Grad Celsius werden Westeuropa, die USA, Japan und selbst das dürregeplagte Australien noch einigermaßen zurechtkommen. Nicht jedoch die ärmeren Länder in Afrika, Südostasien und Lateinamerika, die kleinen Inselstaaten und die Bewohner der Arktis. Was die "Staatengemeinschaft" als erstrebenswertes Klimaschutzziel ausweist, wird sie in schwere Bedrängnis bringen.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Das Zwei-Grad-Ziel dürfte gar nicht einzuhalten sein. Die Industriestaaten, die ihren relativen Wohlstand dadurch errungen haben, daß sie hemmungslos Treibhausgase in die Atmosphäre bliesen, nutzen die Klimaschutzverhandlungen in erster Linie, um ihre Vormachtstellung gegenüber den ärmeren Staaten abzusichern und diesen mutmaßliche Klimaschutzmaßnahmen aufzunötigen, die diese in wirtschaftliche Abhängigkeit bringen.

Dabei werden erwartungsgemäß auch Positionskämpfe innerhalb der Reihen der Reichen ausgetragen, doch verlieren diese nie ihre Prioritäten aus den Augen: Das die menschliche Physis vernichtende System der Kapitalakkumulation bleibt auch in multiplen Krisen (Nahrung, Klima, Energie, Finanzen und Wirtschaft, Rohstoffe) unangetastet. Sollen doch eine Milliarde Menschen hungern - die eigene Vorherrschaft darf nicht gefährdet werden. Notfalls ziehen sich die herrschenden Kräfte in klimatisch bevorteilte Regionen zurück und lassen sich dort durchs Militär schützen, während die Mehrheit der Menschen in überwachten, aber vernachlässigten Zonen ums individuelle Überleben kämpfen soll.

Auf dem am Freitag zu Ende gegangenen EU-Gipfel haben die 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen, den Entwicklungsländern bei Anpassungsstrategien zum Klimaschutz zu helfen. Das wird dann als Entgegenkommen verkauft! Doch genau anders herum wird ein Schuh daraus: Die 27 Staats- und Regierungschefs haben sich darauf geeinigt, daß sie ihre Verantwortung für die Treibhausgasemissionen nur zum kleinen Teil übernehmen und den Rest auf andere abwälzen wollen. Mit drei ausgearbeiteten Szenarien in der Tasche wollen die EU-Vertreter nach Kopenhagen reisen und "mal sehen", zu welchen Zugeständnissen die anderen Teilnehmer bereit sind.

Die Bezeichnung "Klimakonferenz" für das Treffen in der dänischen Hauptstadt täuscht, faktisch handelt es sich um eine Konferenz zur Absicherung der Globalhegemonie des Westens. Das werden China, Indien und andere Schwellenländer nicht mit sich machen lassen. Die Kopenhagenkonferenz wird genauso scheitern wie die Versuche der reichen Staaten, mittels der Doha-Runde der Welthandelsorganisation ihre wirtschaftliche Dominanz tiefer zu verankern.

30. Oktober 2009