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HERRSCHAFT/1505: Opposition ist kein "Mist"... Neubeginn der SPD kann nicht überzeugen (SB)



Der Versuch des 83jährigen SPD-Politikers Erhard Eppler, seine Partei wieder links zu verorten, mündete erwartungsgemäß in einem Bekenntnis zur politischen Mitte. Unter Anknüpfung an den neuen Vorsitzenden Sigmar Gabriel verkündete Eppler in Dresden, die Zeitungen könnten zehn Mal schreiben, die SPD habe einen Linksruck vollzogen, tatsächlich wäre die Partei "dann genau in der Mitte unserer Gesellschaft" angekommen. Eppler zitierte zwar das vor 50 Jahren verabschiedete Godesberger Programm mit der Absicht heran, die damals erfolgte Abkehr vom Marxismus müsse nun zur Besinnung auf genuine sozialdemokratische Werte beitragen. Mit dieser historischen Referenz hat er jedoch vor allem auf die Absicht der SPD verwiesen, einmal mehr mit symbolpolitischen Manövern den Anschein einer Glaubwürdigkeit zu erwecken, die ausschließlich dem Interesse an neuen Machtoptionen geschuldet ist.

Die von dem geschiedenen Parteichef Franz Müntefering ausgegebene Devise "Opposition ist Mist" gilt nach wie vor und unterminiert alle ernstzunehmenden Ansprüche auf die Repräsentation der von der eigenen Politik ausgebooteten Anhänger. Die von diversen Rednern auf dem Dresdner Parteitag erklärte Absicht, man müsse wieder etwas für die Schwächeren der Gesellschaft tun, erklärt sich aus dem Zerfall der traditionellen Industriearbeiterschaft, die in der BRD zu einem Gutteil der SPD folgte. Der Übergang vom Fordismus zum flexiblen Kapitalismus war im Kern der Zerschlagung des Faktors Arbeit als organisiertes Klasseninteresse gewidmet. Nur durch die Entmachtung der Arbeiterschaft als kampfstarke gesellschaftliche Kraft konnten die Verwertungsbedingungen in der Krise der traditionellen industriellen Güterproduktion weiterhin auf eine Profitrate ausgerichtet werden, die die Stellung der Kapitalmacht nicht nur sicherte, sondern ausbaute.

Als die SPD 1959 auf die soziale Marktwirtschaft eingeschworen wurde, stand der durch den Systemantagonismus erforderlich gewordene Klassenkompromiß in voller Blüte. Die Entsorgung sozialistischer Zielsetzungen erfolgte im Klima des ideologischen Antikommunismus mit Zustimmung einer materiell weitgehend zufriedengestellten westdeutsche Arbeiterschaft. Wo Widerspruch dennoch nicht ausblieb, mündete er in die Bildung der außerparlamentarischen Opposition. Nur so konnte die SPD zur Regierungspartei aufsteigen und dies in einer sozialliberalen Koalition mehrere Legislaturperioden bleiben. Mit der Vertiefung der Mitte der siebziger Jahre eingesetzten Krise des Kapitals und dem Ende der Blockkonfrontation versuchte die SPD, diese Stellung unter schrittweisem Abschwören rudimentärer sozialdemokratischer Positionen zurückzugewinnen. Nach der Ära Helmut Kohls schreckte man auch vor imperialistischen Kriegen und dem neoliberalen Strukturwandel, der Anfang der achtziger Jahre in der angloamerikanischen Hemisphäre seinen Anfang genommen hatte, nicht mehr zurück.

Der mit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders beschleunigte Niedergang der SPD als glaubwürdige politische Stimme all derjenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben oder nicht einmal dies können, war das Ergebnis eines politischen Kalküls, dem parteipolitische Machtinteressen und persönliche Karriereambitionen zugrundelagen. Die Entstehung der Linkspartei war die logische Folge des Anspruchs der SPD auf ein opportunistisches Hegemonialstreben, das mit dem Godesberger Programm zwar nicht seinen Ausgangspunkt genommen hat, das sich jedoch vor 50 Jahren mit zuvor ungekannter Eindeutigkeit der gerade noch durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs diskreditierten kapitalistischen Klassenherrschaft andiente.

Wenn Erhard Eppler als Veteran von Godesberg heute positiv auf diese Zäsur Bezug nimmt, dann tut er damit die Meinung kund, daß der ältesten Partei Deutschlands durch den Verlust ihrer traditionellen Klientel nichts als politischer Opportunismus bleibt, wenn sie ihre Krise überwinden will. Der Erhalt des Status einer Volkspartei und das Wiedererlangen der Regierungsmacht auf Bundesebene soll nicht durch ernstzunehmendes Engagement im sich verschärfenden Sozialkampf erfolgen, das eine zu große Polarisierung und damit Verluste unter traditionellen Unterstützern der SPD zur Folge hätte, sondern durch das Angebot geringfügiger Linderungen des sozialfeindlichen Kurses der schwarz-gelben Bundesregierung. Die SPD läßt sich von dem selbstverschuldeten Aufstieg der Linken nach rechts treiben, anstatt durch offensive Besinnung auf sozialistische Werte verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Ohne eine Oppositionsarbeit, die sich nicht am Wellenschlag herrschender Ideologien orientiert, sondern auf Prinzipien gründet, deren emanzipatorischer Charakter immer unbestritten war, wird keine Verläßlichkeit begründet, die dem Wähler glaubhaft vermittelt, daß die erklärten Ziele auch nach einem Wahlsieg Gültigkeit besitzen.

Opposition ist kein "Mist", sondern ein essentieller Aktivposten demokratischer Willensbildung, mit dem eine Partei zumindest theoretisch über die systemkonforme Teilhaberschaft hinauswachsen könnte, die ihr im Rahmen parlamentarischer Kompromisse abverlangt werden. Wenn es keine Gewähr dafür gibt, daß die Partei, die man wählt, weil sie die Kriegführung der NATO grundsätzlich ablehnt, dieser eines Tages zustimmt, dann muß man sich nicht darüber wundern, daß immer weniger Bürger dieses System durch ihre Stimmabgabe legitimieren wollen. Wer parlamentarische Opposition nicht als Brückenkopf basisdemokratischer Bewegungen im Lager des hierarchischen Kapitalismus verstehen will, mit dem sich die politische Willensbildung an den nominellen Souverän zurückbinden läßt, sondern als unfreiwillig bezogenen Wartestand vor der Rückkehr an die Pfründe der Regierungsmacht erleidet, der schreibt den autoritären Charakter des realpolitischen Durchregierens fort, der der SPD von der eigenen Basis angelastet wird. Godesberg ist für Sozialdemokraten kein Objekt historischer Betrachtung, es ist ein Paradigma strategischer Reorientierung, das zu kritisieren einen glaubwürdigen Neubeginn ermöglichte. Davon war in Dresden nichts zu bemerken.

16. November 2009