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HERRSCHAFT/1516: Fit fürs Amt ... Bartsch opfern, radikale Linke ausgrenzen (SB)



Im Streit um den Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, geht es nicht nur um dessen Loyalität gegenüber Parteichef Oskar Lafontaine. Diese wurde aus Gründen infragegestellt, die sich überprüfen lassen und dementsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Bei den sogenannten Personalquerelen geht es um Grundsätze linker Politik, die nicht erst, aber besonders nach der Bundestagswahl deutliche Aufweichungserscheinungen gezeigt haben. Der Erfolg an der Wahlurne treibt viele Politiker der Linken in die Sicherheit einer Konsenspolitik, bei der sie sich nicht mit unbequemen Forderungen als Außenseiter exponieren müssen. Der von ihnen praktizierte und gepredigte Reformismus bindet potentiell systemantagonistische Kräfte ein und verwandelt sie in Sachwalter einer Bestandssicherung, die sich mit Hilfe linker Symbolpolitik als Befriedungsinstrument kapitalistischer Herrschaft andient.

Ihnen gegenüber stehen Politiker, die sozialistische Grundpositionen wie die Verstaatlichung bestimmter Produktionsmittel, das strikte Nein zu imperialistischen Kriegen oder eine Politik der offenen Grenzen für Migranten und Flüchtlinge nicht preisgeben wollen. Die Bruchlinien innerhalb der Partei stehen unter erheblicher Spannung, und das nicht nur aufgrund der aufgeschobenen Programmdebatte, die der Linken ermöglichte, Sammelbecken für ein breites Spektrum politisch ganz unterschiedlicher Gruppen zu werden. Die Widersprüche werden durch eine gesellschaftliche und politische Entwicklung forciert, die sich immer unverhohlener an sozialdarwinistischen und machtpolitischen Kriterien orientiert.

Wer in der schwarz-gelben Republik, in der auch die politische Opposition der SPD und Grünen kapitalismuskonforme Sozial- und Umweltpolitik, Ressourcenkriege und Neokolonialismus unterstützen, überleben will, sieht sich frühzeitig nach einer gutdotierten Funktion im administrativen Getriebe dieser Gesellschaftsmaschine um. Wer von links aus in den Parlamentarismus einsteigt, dem empfiehlt sich zu diesem Zweck die Gartenschaukel zwischen ideologischem Anspruch und praktischer Politik, um zielsicher auf dem Hochsitz des "Ja, aber ..." anzukommen, wo sich die Früchte bescheidener Ambivalenz ernten lassen, ohne dabei naß zu werden.

Fraktionschef Gregor Gysi kommt angesichts der gegebenen Kräfteverhältnisse innerhalb seiner Partei nicht umhin, Bartsch auf dem Altar einer inneren Einigung zu opfern, die allerdings über die Ausgrenzung der in der Partei verbliebenen radikalen Linken erfolgen soll. Der von ihm als "permanentes strategisches Dilemma" (SZ, 11.01.2010) ausgewiesene Streit zwischen sogenannten Pragmatikern und Fundamentaloppositionellen soll sich laut Gysi auf der Fraktionsklausur der Bundestags-Linken in Berlin auf die Fragen zuspitzen: "Wo beginnt der Opportunismus, wenn ich mich an einer Regierung beteilige? Und wo beginnt der Opportunismus, wenn ich mich nicht beteilige, nur um es etwas bequemer zu haben?"

Beide Fragen sind rhetorischer Art und appellieren an die opportunistische Intelligenz des Publikums. Die erste Frage ist, wenn man linke Grundwerte ernst nimmt, keine, sondern ein verklausuliertes Angebot zum Kompromiß, sprich des Ausverkaufs dessen, für das man seinen Wählern und sich selbst gegenüber angetreten ist. Die zweite Frage nimmt die Antwort vorweg, weil sie die Weigerung, sich an inakzeptabler Regierungspolitik zu beteiligen, als Bequemlichkeit und damit Verantwortungslosigkeit geißelt. Gysi bedient sich der Argumentation des politischen Gegners, der die gesellschaftliche Produktivkraft prinzipientreuer linker Opposition mit der Behauptung niedermacht, man wolle keine Verantwortung übernehmen, weil man dann nicht mehr populistisch agieren könne.

Wenn Gysi in Berlin feststellt: "Vereiniger brauchen wir, nicht Spalter oder Besserwisser", dann braucht man nicht lange nachzudenken um zu wissen, welcher Kategorie sich radikale Linke innerhalb der Linken zuordnen sollen. Vereinigung um jeden Preis heißt Aufgabe eines inhaltlichen Profils, dessen gesellschaftsveränderndes Potential aus der Unbescheidenheit ungebrochener Streitbarkeit erwächst. Weniger als das ist in Zeiten, in denen jeder Tag neue menschliche Katastrophen gebiert, die unter anderen gesellschaftlichen Umständen vermeidbar wären, zu wenig.

11. Januar 2009