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HERRSCHAFT/1537: Horst Köhler an zu geringer Unterstützung deutscher Kriegführung gescheitert (SB)



Der Rücktritt Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten kam überraschend, entbehrt aber nicht der Folgerichtigkeit des Fehltritts, Einblick in die Interna machtpolitischer Realpolitik gewährt zu haben. Auch wenn Köhler seine Äußerungen in einem Interview, das Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur am 22. Mai ausstrahlten, als mißverstanden darstellt, ist der Schaden, den er mit ihnen angerichtet hat, nicht zu leugnen. Zwar tritt der die Flucht nach vorne an, wenn er sich darüber beklagt, daß die sich daran entzündende Kritik "jeder Rechtfertigung" entbehre und den "notwendigen Respekt für mein Amt vermissen" lasse, doch scheint er zu der Einschätzung gelangt zu sein, daß ihn das einmal Gesagte immer wieder einholen wird.

Ein Rücktritt wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die angebliche Unterstellung, der Bundespräsident "befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären" (http://www.bundespraesident.de/), nicht einen harten Kern verfassungsrechtlicher Wahrheit enthielte. Zweifellos fühlte sich der ehemalige Staatschef berechtigt, in einem politischen Umfeld, in dem über die Rechtsbindung der Auslandseinsätze der Bundeswehr kaum noch debattiert wird, sondern sich eine Praxis Orwellscher Begriffsverkehrung herausgebildet hat, mit der der Begriff der Landesverteidigung auf einen angeblich präventiven militärischen Interventionismus in aller Welt angewendet wird, Klartext zu reden. Die paradoxe Tragik seines Vorstoßes besteht darin, daß er mit dem Eingeständnis imperialistischer Interessenpolitik vor allem den Gegnern der deutschen Kriegführung in Afghanistan Argumente liefert, während die Funktionseliten in Politik und Medien anstrengend darum bemüht sind, die ihr ureigenstes Interesse exponierende Klarstellung durch verharmlosende Beschwichtigungen wieder in den Status quo ante irreführender Verneblung zurückzuführen.

Köhler fiel einem Widerspruch zwischen machtpolitischem Interesse und symbolpolitischer Legitimation zum Opfer, wie er nicht nur in diesem Bereich der Regierungspolitik gang und gäbe ist. Die Fassade demokratischer Egalität und grundrechtlicher Gleichheit in einem von systemischen Antagonismen belasteten Staat aufrechtzuerhalten ist Kernaufgabe politischer Arbeit in Regierung und Parlament. Die für das störungsarme Funktionieren der herrschenden Verwertungsordnung erforderlichen sozialen Bindekräfte stehen mit der beanspruchten Kohärenz ihrer ideologischen Grundlegung in einem unlösbaren Konflikt. Fundamentale soziale Widersprüche durch in sich gebrochene Legitimationskonstrukte wie das des selbstregulativen Marktes, einer allgemeinen Wohlstand fördernden Überlebenskonkurrenz, eines menschliche Interessen berücksichtigenden Kapitalverhältnisses oder eben der bewaffneten Friedenserzwingung verdaulich zu machen erfordert einen stetigen Überschuß an der Bereitschaft, sehenden Auges Inakzeptables zu akzeptieren.

Es ist kein Zufall, sondern hat Methode, wenn an die Oberfläche des politischen Betriebs drängende Konflikte vorzugsweise als Vermittlungsproblem ausgewiesen werden, anstatt sich den originären Forderungen der Bevölkerung zu stellen. Die neun Tage umfassende Entwicklung vom Interview an, das Köhler auf dem Rückflug von seinem Blitzbesuch bei den deutschen Truppen in Afghanistan gegeben hat, bis zur heutigen Erklärung seines Rücktritts dokumentiert das so langsam wie unaufhaltsame Anschwellen eines PR-Desasters. Es begann mit dem Versuch des ehemaligen Bundespräsidenten, der Bevölkerung den Nutzen deutscher Kriegführung auf handgreifliche Weise greifbar zu machen und so die mangelhafte, da nicht durch breite Zustimmung quittierte Vermittlung deutscher Kriegsgründe zu optimieren. Der von Köhler verlangte breite gesellschaftliche Diskurs krankte jedoch von Anfang an an der Vorwegnahme des von ihm verlangten Ergebnisses einer stärkeren Unterstützung deutscher Kriegführung. Der ehemalige Bundespräsident hat sich mit der Annahme, eine Art imperialistischen Konsens unter der Bevölkerung stiften zu können, schlicht verkalkuliert.

Diese Einschätzung scheint jedenfalls in den Redaktionen der großen Zeitungen und Sender vorgeherrscht zu haben, blieb das Interview doch ganze fünf Tage lang unkommentiert. Erst am 27. Mai wurde es überhaupt, initiiert durch die Rückmeldungen empörter Bürger und die alternative Berichterstattung im Internet, auf breiter Ebene wahrgenommen. Allerdings brachte der von Köhler beabsichtigte Diskurs die kriegstragenden Politiker und Journalisten in die Verlegenheit, die von ihnen vorgeschützten Kriegsgründe in Anbetracht seiner Eröffnung nun defensiv rechtfertigen zu müssen. Sicherlich hätte Köhler die von ihm ausgelöste Erregung auch aussitzen können, doch scheint er zu dem Schluß gelangt zu sein, daß ihn die bis zu rechtlichen Schritten reichenden Konsequenzen seiner Äußerungen weiter verfolgen würden, zumal dann, wenn der Krieg in Afghanistan den absehbaren Verlauf einer anwachsenden Katastrophe nimmt.

Allein die nicht selten die Grenze zur Peinlichkeit tangierenden Rechtfertigungsversuche der Politiker, die versuchten, Köhlers Worte zu entschärfen, sprechen dafür, daß der Schaden im Innern des Legitimationsapparats größer ist, als er auf den ersten Blick erscheint. Ob es nach Köhlers Rücktritt gelingt, die schon mit der rot-grünen Bundesregierung begonnene "Normalisierung" des Verhältnisses der Bundesbürger zur Kriegführung ihres Landes zu einem für die politischen und militärischen Akteure befriedigenden Abschluß zu bringen, ist mit diesem Eklat um einiges fragwürdiger geworden.

Kommentierung des Schattenblicks seit dem Tag des Interviews mit Horst Köhler:

22. Mai
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1430.html

24. Mai
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1431.html

25. Mai
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1393.html

27. Mai
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1432.html

28. Mai
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1666.html

31. Mai 2010