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HERRSCHAFT/1562: US-Bürger wählen ihre Schlächter selber (SB)



Als Barack Obama vor zwei Jahren zum Präsidenten der USA gewählt wurde, übertrafen sich europäische Kommentatoren im Lob über die nun vollends widerlegte Überwindung des Rassismus in der US-Gesellschaft. Sie kündigten eine Abkehr von den Verbrechen der Bush-Administration an und schwärmten von einer neuen Ära transatlantischer Beziehungen. Die sozialen Bedingungen der US-Bevölkerung sollten sich verbessern, ein neuer Geist des Miteinanders sollte in der US-Gesellschaft Einzug halten.

Die Hoffnungen und Erwartungen, die Obama geschürt hatte, wurden von dem künftigen Präsidenten schon vor seinem Wahlsieg zu Grabe getragen. Das Abrücken von den Positionen des sogenannten Change vollzog sich langsam, aber unüberhörbar. Nach seinem Einzug ins Weiße Haus wurde um so schneller deutlich, daß niemand an die Spitze des ökonomisch und militärisch größten Staates der Welt gelangt, der die Interessen der Herrschenden nicht zuverlässig vertritt.

Obamas Zwei-Jahres-Bilanz ist von einem drastischen sozialen Niedergang, von der massiven Aufstockung der in Afghanistan kämpfenden US-Truppen sowie der um ein Mehrfaches zugenommenen Drohnenangriffe auf dem Gebiet Pakistans, vom Verzicht auf die Strafverfolgung der Kriegsverbrecher in der Bush-Regierung, der Aufrechterhaltung der wichtigsten von seinem Vorgänger verabschiedeten Ermächtigungsgesetze und einer generellen Rücksichtnahme auf Kapitalinteressen bei anwachsender Schädigung der von diesen betroffenen Bevölkerung gezeichnet. Im wesentlichen schrieb er die bestehenden Verhältnisse fort, was auch auf das Krisenmanagement zutrifft, mit dem er einen unmittelbaren Crash der US-Wirtschaft verhinderte. Radikale Schritte, mit denen er den angekündigten Wechsel zumindest in Angriff hätte nehmen können, blieben aus, was angesichts der Eigendynamik eines Regierungsystems, das keineswegs nur von den Entscheidungen bestimmt wird, die der Bewohner des Weißen Hauses trifft, nicht wirklich erstaunen kann.

Die in Obama gesetzten Erwartungen waren Produkt zweier Amtszeiten, in denen Bush und Cheney den Globalen Krieg gegen den Terrorismus zum zentralen Paradigma ihrer Regierungsführung erklärt hatten. Obama war das neue, unverbrauchte Gesicht, das zur Sanierung des ramponierten Ansehens der USA in der Welt und zur Behebung des Legitimationverlusts der Regierung vor der eigenen Bevölkerung benötigt wurde. Die ihn alimentierenden Kräfte unter den US-Eliten sind von nichts anderem ausgegangen als davon, daß er diesen Zweck erfüllt und so die Durchsetzung ihrer Interessen fortschreibt.

Da Obama nie darauf aus war, die traditionelle Hausmacht der Vereinigten Staaten entschieden herauszufordern, hat er sich für die republikanische Tea Party angreifbar gemacht. Um deren uramerikanischen Freiheitsmythos immun gegen jede Kapitalismuskritik zu machen, reicht das denkbar dümmste Zerrbild vom Sozialismus aus. Gerade weil die Forderungen der Tea Party-Bewegung - gegen eine starke Zentralregierung in Washington, gegen staatliche Sozialtransfers, gegen die Besteuerung des Kapitals, gegen Klimaschutz, gegen kulturellen Liberalismus, gegen Abrüstung, gegen Immigration und Muslime - kaum in größerem Widerspruch zu den Interessen materiell unterprivilegierter US-Bürger stehen könnten, produziert diese angebliche Grassroots-Bewegung einen Überschuß an Haß. Fokussiert auf einen schwarzen Präsidenten von teilweise muslimischer Herkunft hat sich die Ideologie der Tea Party als ein Erfolgsrezept erwiesen, das die soziale Spaltung vertieft und die aggressive Kriegführung schürt.

So hat das Zwei-Parteien-System der USA einmal mehr bewiesen, daß es den US-Bürgern nur die Wahl zwischen Sachwaltern einer Eigentümerklasse läßt, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, die Dominanz ihrer Klientel zu sichern. Mit Parteispenden von 4,2 Milliarden Dollar und weiteren Milliarden an Werbeausgaben wurde bei den Kongreßwahlen dafür gesorgt, daß der US-Senat ein Klub von Millionären bleibt und im Abgeordnetenhaus Abstimmungsverhältnisse herrschen, die sozialfreundliche und friedenssichernde Gesetze wirksam verhindern. Die Entwicklung der Reichtumskonzentration in den Händen einiger weniger Personen und Familien dokumentiert einen drastischen Anstieg des Einflusses der US-Kapitalmacht, deren Anteil am allgemeinen Vermögen größer ist als in jedem anderen Land der Welt. Die sozialen Vergleichsindikatoren belegen, daß jenes Sechstel der US-Bevölkerung, das offiziell unter der Armutsgrenze lebt, eine im Durchschnitt fünf Jahre geringere Lebenserwartung als die Reichen in Kauf nehmen muß. Das Elend, unter dem immer mehr US-Bürger leiden, ist von ganz materieller, nötigender und schmerzender Art. Es ist nur zu verständlich, daß diejenigen, die sich dagegen in von Privatarmeen beschützten Gated Communities abschotten, alles dafür tun, daß die Betroffenen nicht zu gemeinsamer Sprache, Stimme und Aktion finden.

Es ist zu einfach, den Wahlerfolg der Republikaner mit dem Versagen Obamas zu erklären, auch wenn es zum Teil zutrifft. Es ist unzureichend, die Haßkampagne der Tea Party dafür verantwortlich zu machen, auch wenn sie zweifellos ihren Zweck erfüllt hat. Der desolate Zustand der US-Gesellschaft ist ein exemplarisches Beispiel für die negativen Folgen des Verzichts auf eine Klassenanalyse, die die materiellen Widersprüche zum Anlaß ihrer Überwindung nimmt. Er dokumentiert die verheerenden Auswirkungen einer moralischen Demagogie, die die ureigensten Interessen der Menschen gegen sie selbst kehrt. Er macht deutlich, daß die Krise des politischen Systems eben darin liegt, der Bevölkerung mit dem Wechselspiel in ihrem Herrschaftsinteresse wesensgleicher Parteien vorzugaukeln, nichts gegen das ihr bereitete Elend unternehmen zu können.

3. November 2010