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HERRSCHAFT/1585: Israels Führung quälen ägyptische Alpträume (SB)



Mit Argusaugen verfolgen israelische Führungskreise die Umwälzungen im Nachbarland Ägypten, die durchaus geeignet sein könnten, die in Jahrzehnten ausgebaute Vorherrschaft Israels im Nahen Osten zu erschüttern. Das Regime Hosni Mubaraks hatte als Vasall der USA den bellizistischen und expansionistischen Ambitionen Israels den Rücken freigehalten und sich an der Blockade des Gazastreifens beteiligt. Mit seinen fast 80 Millionen Einwohnern, einer bedeutenden Ökonomie und nicht zuletzt der Kontrolle des Suezkanals nahm Ägypten als Verbündeter eine Schlüsselstellung ein, die für die Ewigkeit geschmiedet zu sein schien. Der ebenso unvorhergesehene wie rasante Sturz Mubaraks muß die vom absoluten Primat einer regionalen Sicherheitsarchitektur zu eigenen Gunsten durchdrungene israelische Regierungspolitik bis ins Mark getroffen haben.

In Ägypten und anderen arabischen Ländern sind Kräfte am Werk, die sich dem Verfügungsanspruch der USA, der europäischen Mächte und Israels in einem Ausmaß widersetzen könnten, das in einer Kettenreaktion sicher geglaubte Bastionen der Kollaboration zum Einsturz bringt. In Diktaturen vermeintlich sicher verwahrt und zur Ohnmacht verdammt, erhebt eine junge Generation ihr Haupt, die den Verrat der ägyptischen Machthaber an den Palästinensern ebenso verabscheut wie sie die Kumpanei mit Israel in Frage stellt.

Zudem hat die Erhebung im Nachbarland auch die soziale Frage auf die Tagesordnung gesetzt und die Forderung erhoben, dem massenhaften Elend ein Ende zu machen und die Lebensverhältnisse spürbar zu verbessern. Auch diese Bewegung muß die israelische Führung fürchten, deren schlimmster Alptraum ein Schulterschluß der Unterdrückten und Ausgebeuteten beider Länder sein dürfte. Eine nationalistische und rassistische Doktrin zur Proklamation eigener Suprematie würde zur Makulatur, siedelten die Opfer dieses herrschaftsbegründenden Konstrukts den Frontverlauf zwischen Freund und Feind dort an, wo ihn ihre erbärmlichen Existenzbedingungen nahelegen.

Kann man Ägypten als soziales Pulverfaß charakterisieren, so gilt das gleichermaßen für Israel. Jugendarbeitslosigkeit, schwindende Perspektiven und Teuerung verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung, während sich die immer weiter nach rechts rückende Regierung verbliebener demokratischer Standards entledigt. Die politische Führung gilt überdies als ausgesprochen versiert wenn es gilt, eigene Pfründe zu mehren. Daraus erwächst eine Gemengelage, die durchaus an ägyptische Verhältnisse erinnert.

Vor wenigen Tagen hat der israelische Gewerkschaftsverband Histadrut den Arbeitskampf im öffentlichen Dienst sowie in einigen Sektoren der Privatwirtschaft ausgerufen und damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, einen Generalstreik anzukündigen. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Forderungen an die Regierung sind fundamentaler Natur, geht es doch um eine sofortige Anhebung des Mindestlohns und eine Senkung der dramatisch gestiegenen Preise für Brot, Wasser, Treibstoff sowie Häuser und Wohnungen. Da Histadrut auf eine lange Geschichte der Befriedung und Eindämmung von Arbeitskämpfen zugunsten des zionistischen Projekts zurückblicken kann, muß man die Drohung mit dem Generalstreik wohl als Alarmsignal an die Adresse der politischen Führung auffassen, die zugespitzte soziale Lage zu entschärfen, um eine Explosion zu verhindern. [1]

Premierminister Netanjahu weiß die Zeichen zu deuten, wobei ihn zweifellos der unvermeidliche Blick ins südliche Nachbarland anspornt, und kündigt eine Reihe von Maßnahmen an, die einer möglichen Erhebung das Wasser abgraben könnte. So sollen der Mindestlohn um monatlich 122 Dollar angehoben, die Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln um zehn Prozent verbilligt und eine kürzlich eingeführte Besteuerung von Kraftstoffen zurückgenommen werden.

Unterdessen hat WikiLeaks auch an diesem Schauplatz turbulenter Veränderung noch manches zu Tage gefördert, was man ohnehin vermuten konnte. Wie aus auf diesem Wege veröffentlichten US-Depeschen hervorgeht, favorisiert Israel als Nachfolger Mubaraks den ägyptischen Geheimdienstchef Omar Suleiman. Mit ihm hat man in der Vergangenheit insbesondere bei der Unterdrückung der Palästinenser ausgezeichnet zusammengearbeitet. Einem Zeitungsbericht zufolge hat Netanjahu in einem Telefongespräch Suleiman angeboten, der israelische Geheimdienst könne verschiedene Operationen durchführen, um den Demonstrationen ein Ende zu machen.

In der Öffentlichkeit warnte Netanjahu unermüdlich vor einem Sturz Mubaraks, dem nur das Chaos, die Machtübernahme der Moslembruderschaft und eine islamische Revolution wie im Iran folgen könnten. Die Ägypter würden das Friedensabkommen von Camp David annullieren und in Israel einmarschieren. Der Premier teilte dem Parlament mit, daß man mit Blick auf mögliche Veränderungen in Ägypten bereit sein müsse, die Macht des Staates Israel durchzusetzen. Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums unterstrich, daß eine fundamentale Veränderung der ägyptischen Regierung eine "Revolution der israelischen Sicherheitsdoktrin" nach sich ziehen könne. Das Abkommen von Camp David sei eine bedeutende strategische Komponente, weil sie den IDF (Israel Defence Forces) erlaube, sich mit anderen Schauplätzen zu befassen.

Der Friedensschluß mit Ägypten erlaubte es den israelischen Streitkräften, ihre Präsenz im Süden radikal zu reduzieren, und war damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für die explizite Annektion Ostjerusalems 1980 und der syrischen Golan-Höhen 1981. Er gestattete zudem, die Reservistenzeit zu verkürzen und die Militärübungen auf Taktiken für die Konfrontation mit Palästinenserunruhen und Guerillaangriffen umzustellen. Das Regime Mubaraks sorgte zugleich dafür, daß Krisensituationen wie die zweite palästinensische Intifada (2000-2005), der zweite Libanonkrieg (2006) und der Gazakrieg (2008-2009) keine umfassenderen regionalen Feindseligkeiten zur Folge hatten. [2] Hinzu kommen geregelte Handelsbeziehungen, die freie Passage durch den Suezkanal, das Rote Meer und die angrenzenden Wasserstraßen sowie weitere Vorteile einer Israel gewogenen ägyptischen Regierung.

Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß die westliche Allianz jedem ägyptischen Politiker, der bei einer Neuordnung der Verhältnisse seines Landes eine Rolle spielen will, einen Schwur auf den Friedensvertrag mit Israel abverlangt. Gleichermaßen muß man damit rechnen, daß die israelische Führung Interventionspläne für den Fall einer Entwicklung im Nachbarland wälzt, die ihre ägyptischen Alpträume Wirklichkeit werden läßt.

Anmerkungen:

[1] Israel staggered by Egypt protests, social tensions at home (11.02.11)
World Socialist Web Site

[2] Eingeschränkte Souveränität. Analyse. Israel und der Westen wollen freie Entscheidung Ägyptens über seine Außenpolitik verhindern (11.02.11)
junge Welt

12. Februar 2011