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HERRSCHAFT/1604: Arktis schmilzt - doch Staatengemeinschaft um Sicherung ihrer Pfründe bemüht (SB)



Plötzlich ist er wieder da, der Klimawandel. Er war zwar nicht verschwunden, aber die Berichterstattung darüber. Das arktische Eis schmilzt schneller, als sich die Mehrheit der Wissenschaftler zu Beginn des vorigen Jahrzehnts hat vorstellen können; bis zum Jahr 2100 werde der Meeresspiegel voraussichtlich um 0,90 bis 1,60 Meter steigen, berichteten Experten des Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP), die diese Woche zu einer Konferenz in Kopenhagen zusammengekommen waren. Millionen Menschen, die in Küstengebieten oder auf flachen Inseln leben, droht die Vertreibung.

Seit der an der globalen Wirtschafts- und Hegemoniekonkurrenz der internationalen Staatengemeinschaft mit den Industriestaaten als Führungsgruppe gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember 2009 ist das Thema Erderwärmung in die zweite Reihe gerückt und mit ihr das Schicksal der zukünftigen Klimaflüchtlinge. Doch trotz der Mediendominanz der Aufstände in der arabischen Welt, des Libyenkriegs der NATO, des Fukushima-GAU in Japan und der Tötung Osama bin Ladens sollte man nicht der Täuschung erliegen, daß die herrschenden Kräfte die absehbare klimatische Entwicklung und ihre destabilisierenden Folgen für den über Herrschaft und ihre Beteiligung gesicherten gesellschaftlichen Zusammenhalt vergessen haben.

Der Klimawandel multipliziert die Naturgewalten, konstatieren die Geostrategen in Brüssel, Washington und anderen Weltmetropolen. Nicht als Gegenentwurf, sondern Spielart der gleichen herrschaftsförmigen Richtung wird der Klimawandel von einigen sogar als Chance gedeutet. Da belauern sich in der rohstoffreichen Arktis schon heute die führenden Militärmächte mit großem Argwohn und achten darauf, daß niemand eine Vorteilsposition erringt, die ihm nicht wieder genommen werden kann. So erntete Rußland barsche Entrüstung seitens des Westens, als es vor einigen Jahren in einer Art Husarenstück tief auf dem Meeresboden am Nordpol seine Fahne aus Platin aufstellte und damit den Besitzanspruch reklamierte.

Aber machen wir uns nichts vor: Der Klimawandel ist zuvorderst ein soziales Problem und kann nicht über diese oder jene "grüne" Technologie gelöst werden. Die Regierungsvertreter, die die Klimakonferenz von Kopenhagen scheitern ließen, werden jedenfalls nicht zu den Menschen zählen, die vor dem Meer fliehen müssen und nicht wissen wohin. Eingedenk der rasanten Entwicklung, nach der selbst Worst-case-Szenarien, die vor nicht einmal zehn Jahren aufgestellt wurden, bereits absehbar von der Wirklichkeit überholt werden, besteht möglicherweise nicht einmal mehr mit einem Systemwandel, sondern nur noch mit einem radikalen Bruch mit den bestehenden Verhältnissen die geringe Chance, das Ausmaß der klimatischen Veränderungen abzumildern. Dazu müßten die gesellschaftlichen Verhältnisse jedoch so gestaltet werden, daß sie nicht gegen die Menschen in Front gebracht werden. Danach sieht es ganz und gar nicht aus. Politiker, Medienvertreter und zivilgesellschaftliche Kräfte diskutieren zur Zeit mit eindeutiger Stoßrichtung darüber, daß es rechtens von den USA sei, in Pakistan einzudringen und dort mehrere Menschen umzubringen.

Hier findet ein Wertewandel statt bzw. hat längst stattgefunden, der alle Menschen betrifft, auch diejenigen, die in Zukunft vor dem steigenden Meeresspiegel oder Unwettern fliehen und Schutz auf "fremdem" Territorium suchen müssen. Der Klimawandel fungiert nicht nur als Multiplikator natürlicher Prozesse, sondern auch des gesellschaftlichen Gegeneinanders.

5. Mai 2011