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HERRSCHAFT/1618: Unverzeihlicher Angriff auf Staatsräson - arrivierte Linke gegen "junge Welt" (SB)



Einmal mehr haben die Schmuddelkinder von der jungen Welt gezeigt, daß es in diesem Land noch eine Stimme des unmoderierten Dissenses gibt, schon hagelt es Proteste bis hin zu Boykottforderungen. Mit ihnen zu spielen haben uns unsere Eltern schon vor langer Zeit gewarnt, nun ist es Zeit, ernst zu machen und ihnen seitens der Partei Die Linke jede Unterstützung zu entziehen. Unter dem Banner "Freiheit und Sozialismus" [1] versammeln sich mehr als 200 Mitgliederinnen und Mitglieder der Partei, um endlich das Tischtuch zwischen arrivierter Linker und linksradikaler Presse zu zerschneiden.

Der Tropfen, der das Faß angeblich zum Überlaufen brachte, war das Titelblatt der jungen Welt vom 13. August 2011 [2]. 50 Jahre Mauerbau sollte für ganz Deutschland heißen, die Freiheit des Kapitals und all seiner Nutznießer einmal mehr mit einem geschichtspolitischen Weihefest inklusive Schweigeminute hochleben zu lassen. Selbstverständlich sind Mauern, wo immer sie stehen, einzureißen, selbstverständlich gehören Waffen auf den Schrott. Warum also muß eine humanistische Verpflichtung eigens anhand der Dämonisierung eines seit über 20 Jahren verschwundenen Staates bekräftigt werden? Weil die Realität des kapitalistischen Weltsystems eine ganz andere ist. Grenzen trennen die Menschen nach wie vor voneinander, und sie werden von denjenigen gutgeheißen, die an diesem Gedenktag die in jedem einzelnen Fall zu beklagenden Toten an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze zum Xten Triumphgesang auf ein Deutschland instrumentalisieren, das an globaler Ausbeutung und Unterdrückung in nicht geringem Ausmaß teilhat.

Die Aushebelung des Asylrechts und der Ausbau der Festung Europa, die tausende Menschen elendig vor ihren Toren verrecken läßt, sind ebenso Anlaß für die geschichtspolitisch verordnete Generalamnesie wie das soziale Elend eines Gesellschaftssystems, dessen Freiheiten in Anspruch zu nehmen denjenigen vorbehalten bleibt, die sie sich leisten können. Der brutale Zweck jeder Mauer, Menschen voneinander zu trennen, findet im Gewaltverhältnis einer neofeudalen Sozialhierarchie, in der Menschen nach sozialrassistischen Kriterien ein- und ausgeschlossen werden, seine adäquate Entsprechung. Die blutige Grenze zwischen Mexiko und den USA wie die Apartheidsmauer auf palästinensischem Gebiet sind weitere Beispiele für die staatliche Praxis, unter dem Anspruch der Grenzsicherung zu verhindern, daß das soziale Aufbegehren ohne Ansehen nationaler, ethnischer und religiöser Herkunft seine Stimme erhebt. Wo krasses Elend und satter Überfluß aufeinanderprallen, erweist sich, daß der Frieden dieser Eigentumsordnung auf sozialem Krieg errichtet wurde.

Die in neokolonialistischen Kriegen ganz unverstellt durchgesetzte, in globalen Wertschöpfungsketten prozessierte, in staatlicher Administration institutionalisierte und zivilgesellschaftlich legitimierte Gewalt dieser Ordnung ins Blickfeld eines von nationalistischer Restauration berauschten Publikums zu rücken, ist das Verdienst der Provokation, die sich die junge Welt mit dieser Titelseite leistete. Die angeführten Gründe für die Danksagung an die vor dem Brandenburger Tor postierten Vertreter einer Betriebskampfgruppe zu widerlegen wäre eine produktive Zurückweisung dieses Angriffs auf die doktrinär vereinheitlichte Sprachregelung der deutschen Massenmedien und Funktionsträger gewesen. Während der Dank "für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe" die ernstgemeinten Kritikpunkte am Stand kapitalistischer Vergesellschaftung auf kontraproduktive Weise zynisch überspitzt, bleiben die Kritikerinnen und Kritiker der jungen Welt den Beleg für die Verwerflichkeit des angeblichen Eklats ansonsten schuldig. Wo der totalitarismustheoretisch aufgerüstete Gesinnungsverdacht des Stalinismusvorwurfs dafür herhalten muß, eine linke Tageszeitung in ihrer ganzen Vielfalt abzuservieren, scheint man sich vor allem für ein verdienstvolles Amt bei der herrschaftsförmigen Regulation virulenter sozialer Widersprüche empfehlen zu wollen.

Der dabei angeschlagene Ton ist symptomatisch für den unversöhnlichen Charakter des Machtkampfes, der in der Linkspartei um sich gegriffen hat und sich nur notdürftig als Ringen um die politische Positionierung der Gesamtpartei tarnen kann. Wenn die Vizevorsitzende der Emanzipatorischen Linken, Katja Kipping, kategorisch erklärt, "dass die 'junge Welt' auf Veranstaltungen und Festen der Linken nichts zu suchen und zu finden hat" [2], dann richtet sich dieser Ausschluß eines der wenigen linken Blätter der Republik auch gegen diejenigen Parteimitglieder, die immer noch linksradikale Forderungen erheben, während führende Kreise der PDL um die Anerkennung als für die Befriedung herrschender Verhältnisse unverzichtbare parlamentarische Kraft buhlen. So schwer man sich damit tun mag, daß in der jungen Welt auch einst staatstragende Kräfte der DDR inklusive ihres Repressionsapparats zu Wort kommen, so unverzichtbar ist dieser offene Diskurs zur Analyse begangener Fehler und zur Bestimmung linker Positionen, deren demokratischer Charakter nicht durch den unreflektierten Umgang mit liberaler und marktwirtschaftlicher Freiheitslyrik kontaminiert ist.

Die Frage, wie sich Linke zu einer staatstragenden Symbol- und Geschichtspolitik verhalten sollte, die historische Gewaltverhältnisse auf eklatante Weise nivelliert, um sich an einem Epochenbruch vor über zwanzig Jahren schadlos zu halten, der Not und Elend in aller Welt massiv ausgeweitet hat, beantwortete die Redaktion der jungen Welt auf so konträre Weise, daß drastische Reaktionen nicht ausbleiben konnten. Der selbstgerechte Furor, mit dem diese unabhängige Tageszeitung niedergemacht wird, während die Mehrheitsmedien wiederholt aus der PDL heraus für den Kampf gegen die Parteilinke instrumentalisiert wurden, belegt, wie groß der Ärger über Wortmeldungen ist, die die deutsche Staatsräson an empfindlicher Stelle treffen. So wird der Affront zum Anlaß genommen, nicht nur eine mißliebige Tageszeitung, sondern auch die radikaleren Mitgliederinnen und Mitglieder sowie Strömungen der PDL, denen sie eine Stimme über die Partei hinaus gibt, endgültig auszugrenzen.

Man möchte sich nicht mehr mit den Kommunismus- und Antisemitismusvorwürfen herumschlagen, mit denen bürgerliche Medien und Parteien die PDL vor sich hertreiben, sondern einem Politprofessionalismus frönen, der zu den PR-technisch einfach nicht vorzeigbaren Schlacken ganz und gar unromantischer sozialer Kämpfe ein Verhältnis klinischer Sterilität unterhält. Linke Staatskritik auch am Beispiel der DDR zu entwickeln ist zweifellos nicht minder vonnöten wie eine Kapitalismuskritik, die dem in aller Welt aufbrechenden sozialen Widerstand Richtung und Stimme gibt. Wenn jedoch identitäre Abgrenzungsprobleme, als Ideologiekritik getarnte Staatsaffirmation und humanitärer Wertepositivismus selbst den entschiedenen Protest gegen die Angriffe der NATO auf Libyen verhindern, um nur ein Beispiel für keineswegs mehrheitsfähige, in der Sache ganz und gar begründete und deshalb um so dringlicher zu beziehende Gegenpositionen zu nennen, dann kann die arrivierte Linke weniger denn je in den Verdacht geraten, herrschende Verhältnisse auf eine Weise in Frage stellen zu wollen, die Wirkung zeigt.

Fußnote:

[1] http://www.freiheit-und-sozialismus.de/

[2] http://rotstehtunsgut.de/2011/08/15/linkspartei-mitglieder-rufen-zum-boykott-der-jungen-welt-auf/

18. August 2011