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HERRSCHAFT/1621: Berliner Linkspartei ... was eine kämpferische Linke nicht braucht (SB)



Zweifellos wird es Stimmen geben, die die fortwährenden Verluste der Berliner Linkspartei bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus auf eine angeblich immer noch unzureichende Integration in den politischen Mainstream schieben werden. Das Anprangern angeblich ewig gestriger Sozialisten und notorischer antikommunistischer Gesinnungsverdacht demaskieren sich jedoch gerade in Berlin als Pfeifen im Walde einer sozialen Konfrontation, in der die Linkspartei die ihr historisch zukommende Aufgabe mit aller Kraft ignoriert, um sich statt dessen als Steigbügelhalterin herrschender Kräfte zu empfehlen. Kein Wunder, daß sie die Unterstützung derjenigen verliert, die ihre originäre Anhängerschaft bilden, wenn sie von der SPD ununterscheidbar wird. Das Heer der angeblich Unproduktiven und Überflüssigen, soziale Bewegungen, deren Zorn noch nicht an grünkapitalistischem NGO-Professionalismus erstickt ist, Aktivisten, die sich der strikten Verteidigung demokratischer Grundrechte verschrieben haben, die in der Überwindung des Kapitalismus eine historische Notwendigkeit erkennen und die die aus der bürgerlichen Mitte erwachsende neue sozialrassistische Rechte nicht als unbedeutende Petitesse unterschätzen, all das sind potentielle Wähler der Linkspartei.

Nachdem die Linkspartei in Berlin ihre Wahlergebnisse nach einem Jahrzehnt Regierungsbeteiligung der PDS/PDL etwa halbiert hat, bietet sie ein hervorragendes Studienobjekt für die zerstörerische Wirkung desjenigen politischen Opportunismus, der ihr von bürgerlichen Politikern und Journalisten abverlangt wird, denen die Existenz einer in den Parlamenten vertretenen Linken links von der SPD niemals etwas anderes war als eine Bedrohung ihrer politischen Hegemonie. Das defensive Verhältnis führender Berliner PDL-Politiker zu den dieses Jahr mit systematischer Regelmäßigkeit gegen die Linkspartei ins Feld geführten Kampagnen, die nichts geringeres einforderten als die Unterwerfung unter die Staatsräson, legt beredtes Zeugnis davon ab, was unter der ihnen abverlangten und von ihnen selbst angestrebten "Regierungsfähigkeit" zu verstehen ist.

Eine Dekade lang verzichtete die Linkspartei in Berlin darauf, das ganze Gewicht ihrer Prinzipien gegen die Durchsetzung von Privatisierung und Sozialabbau einzusetzen. Entlarvend für den wachsweichen Charakter der sogenannten "Regierungsverantwortung", deren Funktionsträger nichts Schlimmeres als den Verlust ihres Amtes auszustehen hätten, wenn sie einmal die von ihnen erwartete Sicherung bestehender Verhältnisse verweigerten, sind die abwägenden und vermittelnden Nichtpositionen, die dieser Epoche das Zeugnis linken Einknickens ausstellen. Die Argumente der Verfechter einer Fundamentalopposition, die linke Politik unverwechselbar machte und zur Schaffung einer kampfstarken Anhängerschaft führte, hingegen haben sich auf eine Weise bewahrheitet, die der weiteren Verbürgerlichung der PDL eigentlich einen Riegel vorschieben müßte. Wenn die Linkspartei nicht einmal in drei Jahren der offenkundigen Krise des Kapitalismus einen nennenswerten Zuwachs in der Bevölkerung erhält, um sich statt dessen von den Herolden eines abgestandenen Antikommunismus ins Bockshorn einer inhaltlich leicht zu widerlegenden Demagogie treiben zu lassen, dann sollte die Karriere des Berliner Landesverbandes zu einer Mehrheitsbeschafferin der SPD ein Zeichen der Besinnung auf die streitbare Qualität unverbrüchlicher demokratischer, sozialistischer und internationalistischer Positionen setzen.

Ansonsten bleibt Menschen, die der PDL trotz der Relevanz der bislang stets verifizierten Parlamentarismuskritik der außerparlamentarischen Opposition der 1960er Jahre eine Chance gegeben haben, nichts anderes übrig als ihre Kräfte in soziale Bewegungen einzubringen, die sich ganz gezielt von politischen Parteien fernhalten. Die Linke in der Linken stark zu machen ist allemal sinnvoll, um auf diesem Wege Ressourcen für die politische Arbeit auch nicht der Partei zugehöriger Gruppen und Organisationen freizuhalten. Wenn die Lektion aus der Berliner Regierungsbeteiligung jedoch lauten sollte, den prinzipientreuen Teil der Parteimitglieder weiter zu marginalisieren und noch mehr um die Anerkennung der politischen Mitte zu buhlen, was nicht zuletzt anhand des Ergebnisses der laufenden Programmdebatte sichtbar werden wird, dann wird sich konstatieren lassen, daß die vier Jahre alte Partei die Grünen auf der Rutschbahn in die systemopportune Komfortzone mit mehrfacher Geschwindigkeit überholt hat.

18. September 2011