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HERRSCHAFT/1625: Regulation der Wirtschaftskrise drängt Klimaschutzpolitik in zweite Reihe (SB)



Die verzweifelten Bemühungen der Europäischen Union um die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise lassen vergessen, daß jene potentiell desaströsen Entwicklungen, die unter dem Begriff "Klimawandel" subsumiert werden, weiterhin ungebrochen ablaufen. Noch vor wenigen Jahren galt die globale Erwärmung als vorderste Bedrohung der Menschheit, inzwischen haben kurzfristig drängendere Gefahren diesen Platz eingenommen.

Die weitgehend als gescheitert anzusehende UN-Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember 2009, auf der sich die internationale Staatengemeinschaft auf ein Nachfolgeprogramm für das wenig wirksame Kyoto-Protokoll einigen wollte, markiert einen Schnittpunkt in der internationalen Klimaschutzpolitik. Dort hatten die Entwicklungsländer vergeblich versucht, die wirtschaftlich stärkeren Staaten einerseits zur finanziellen und technologischen Unterstützung im Kampf gegen die Folgen der Erderwärmung und andererseits zu signifikanten Maßnahmen eigener Treibhausgasreduzierungen zu bewegen. Die Gruppe der Schwellenländer wiederum vertrat mit Verweis auf die historische Verantwortung der Industriestaaten für die globale Erwärmung die Position, daß ungeachtet der absoluten Menge der von ihr selbst erzeugten Treibhausgase sie weiterhin keinem verpflichtenden Klimaschutz unterworfen werden dürfe. Die Wirtschaftsmächte indessen, zweifellos hauptverantwortlich für den wachsenden anthropogenen Klimawandel, erwiesen sich als noch sturer. Sie haben ihre Privilegien verteidigt und sich keine Zugeständnisse abringen lassen, die ihre Vorteile annäherungsweise in Frage gestellt hätten, und sei es auch nur durch die Beteiligung anderer an der Aufteilung der Beute.

Die internationalen Klimaschutzbemühungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls sind am Boden zerstört, die krisenhafte Wirtschaftsentwicklung der jüngeren Zeit forciert diese Entwicklung noch. Begleitet wird der Niedergang von kriminellen Entwicklungen, zu denen es kommen konnte, weil der Schwerpunkt der UN-Klimaschutzpolitik auf marktwirtschaftlichen Instrumenten liegt. Wo aber die Voraussetzungen für legalisierten Raub und Ausbeutung geschaffen werden, indem das Streben nach Profit und die Akkumulation von Kapital begünstigt wird, konnte es nicht ausbleiben, daß auch illegale Formen der Bereicherung stattfinden.

So wurden in Honduras binnen vierzehn Monaten 23 Bauern womöglich deshalb umgebracht, weil sie sich gegen die Enteignung ihres Landes im Zuge des CO2-Zertifikathandels der Europäischen Union (ETS - emissions trading scheme) zur Wehr gesetzt hatten. [1] In Uganda wurden laut einem Oxfam-Bericht in den letzten Jahren mehr als 20.000 Einwohner von ihrem Land vertrieben, weil eine britische Firma darauf eine Plantage errichten will. [2] Vertreibungen und Verdrängungen, selbst Folter und Mord, werden auch aus Ländern wie Äthiopien berichtet. [3] Mal ist der Bezug zum Klimaschutz unmittelbar gegeben, wenn auf dem Land Bäume gepflanzt werden, die Kohlenstoff binden sollen, und mal mittelbar, wenn auf der Fläche Pflanzen für vermeintlich klimafreundlichen Biosprit angebaut werden.

Darüber hinaus ist das ETS seit Jahren Opfer teils umfangreichster Betrügereien und Cyber-Diebstählen, woraufhin schon mal vorübergehend der Handel ausgesetzt wurde. [4] Abgesehen davon haben die Stromkonzerne und andere Industriezweige, die in das ETS eingebunden sind, anfangs so viele Zertifikate geschenkt bekommen, daß sie zu keiner CO2-Emissionsreduzierung verpflichtet waren und statt dessen einen riesigen Reibach machten. [5]

Die Leidtragenden der gescheiterten Klimaschutzpolitik sind die gleichen, gegen deren Lebens- und Überlebensvoraussetzungen die Finanz- und Wirtschaftskrise reguliert wird: die Armen, Chancenlosen und Marginalisierten, ob sie in Lateinamerika, Ostafrika, Griechenland oder inmitten der wohlhabenden westlichen Metropolen - und doch weitgehend von ihnen ausgegrenzt - leben. Die Klimaverhandlungen scheitern zu lassen, können sich dagegen nur privilegierte Menschen leisten, die glauben, daß sie nicht von den verheerenden Folgen ihrer Entscheidung getroffen werden.

Rückblickend betrachtet erscheint die von tiefen Zerwürfnissen und unvereinbaren Interessengegensätzen bestimmte Klimakonferenz von Kopenhagen als Vorbote der aktuellen Wirtschaftskrise. Der Versuch der politischen Entscheidungsträger, den immensen Druck aufgrund der gewaltigen Finanzströme, die stets nach Anlagemöglichkeiten suchend um den Globus jagen, durch die Inwertsetzung von treibhausgaswirksamen Luftbestandteilen wie Kohlendioxid oder Methan abzudämpfen, indem Handel mit ihrer Reduzierung betrieben wird, ist nicht deshalb fehlgeschlagen, weil die Klimapolitiker es prinzipiell abgelehnt hätten (nachdem bereits vor langer Zeit Boden, Wasser, Pflanzen und Tieren mit einem Wert belegt und dem Besitzstand unterworfen wurden), nun auch noch die Atemluft handelbar zu machen, sondern weil man sich nicht über die Aufteilung der lukrativen Beute einigen konnte. Zudem mußten auf der Klimakonferenz von Kopenhagen Entscheidungen zur Stabilisierung der globalen Durchschnittstemperatur getroffen werden, deren Folgen für die Beteiligten nicht berechenbar waren; also ließen sie die Finger davon.

Noch größeren Unwägbarkeiten begegnen wir auch bei der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Unter deren Eindruck beschwören die Regierungschefs Stabilität. Dadurch soll die gesellschaftliche Ordnung auf die nächst höhere Stufe der administrativen Verfügungsgewalt gehievt werden - jedoch nicht, damit die Lebens- und Überlebensvoraussetzungen aller Menschen gesichert werden, sondern um das Verhältnis von Reichtum gegenüber Armut zu stabilisieren und die Privilegien der Wenigen gegenüber der zur bloßen Verfügungsmasse erklärten Mehrheit abzusichern.


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Fußnoten:

[1] http://www.guardian.co.uk/environment/2011/oct/03/eu-carbon-credits-murders-honduras

[2] http://www.nytimes.com/2011/09/22/world/africa/in-scramble-for-land-oxfam-says-ugandans-were-pushed-out.html?_r=3&scp=3&sq=uganda&st=cse

[3] http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/intv0004.html

[4] http://www.guardian.co.uk/environment/2011/jan/23/carbon-trading-scheme-security-delay

[5] http://www.eurosolar.de/de/images/stories/pdf/SZA%202-08%20Ziehm,%20Emssion.pdf

4. Oktober 2011