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HERRSCHAFT/1641: "Wehrhafte Demokratie" ... mit machiavellistischen Mitteln Hegemonie sichern (SB)



Über die Beobachtung der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei mit denjenigen zu debattieren, die dies gutheißen, müßte eigentlich die Unversöhnlichkeit der Apologeten der wehrhaften Demokratie mit den Vertretern einer sozialistischen Gesellschaft zutage fördern. Dem ist keineswegs so, vielmehr eifert man im Bundestag darum, wer als der bessere Sachwalter von Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie reüssieren kann. Der machtpolitische Kern des Affronts, die Parlamentarier der Linksfraktion durch den Inlandsgeheimdienst beobachten zu lassen, kommt nicht zur Sprache, weil das Gewaltverhältnis zwischen Kapital und Arbeitsgesellschaft auf der einen und Arbeit und Selbstbestimmung auf der anderen nicht verhandelbar ist. So haltlos die Argumente des Bundesinnnenministers Hans-Peter Friedrich sein mögen, mit denen er die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz legitimiert, so unwiderlegbar sind sie als Imperativ der Vormachtstellung bürgerlicher Eliten.

Es ist ein Leichtes, den demagogischen Charakter des Anwurfs, linke Parlamentarier würden gegenüber den Regierungen Syriens und Irans Solidarität bekunden oder mit Fidel Castro einem ausgemachten Bösewicht huldigen, inhaltlich zu kontern. Allein die große Nähe, die Unionspolitiker jahrzehntelang zu Militärdiktatoren in aller Welt unterhielten, ohne dabei einer möglichen Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt zu werden, belegt den Willkürcharakter der von ihnen gegen die Linke angelegten Maßstäbe für eine korrekte politische Gesinnung. Während es den Unterzeichnern des skandalisierten Aufrufs [1] an keiner Stelle um die Unterstützung der Machthaber in Damaskus und Teheran ging, haben sich Politiker und Industrielle der BRD immer wieder diktatorischer Regimes in aller Welt angedient, deren Mordbilanz als keineswegs abträglich für die Interessen des deutschen Kapitals angesehen wurde. Linke Parlamentarier warnen vor dem Ausbrechen eines verheerenden Krieges im Nahen und Mittleren Osten und pochen auf das Recht auf Selbstbestimmung der davon möglicherweise betroffenen Bevölkerungen, und gerade das wird ihnen zur Last gelegt.

Sie gehen nicht konform mit den Interessen des deutschen Imperialismus, und sie bedrohen die Hegemonie einer Kapitalmacht, deren Nutznießer auf Kosten ganzer europäischer Bevölkerungen saniert werden. Die Widerlegung der Unterstellungen, mit denen die Linkspartei unter dem Vorwand der Verfassungswidrigkeit als politisch unzuverlässig gebrandmarkt wird, gelingt so weit, als ihre Parlamentarier die Normen des Grundgesetzes zu ihren Gunsten auslegen. Sie muß dort scheitern, wo Die Linke Machtinteressen berührt, die sich an keine Regeln gebunden fühlen, sondern sie selbstherrlich überschreiten, um sie zu ihren Gunsten zu transformieren. So wurde mit der Beteiligung der Bundeswehr am Jugoslawienkrieg nicht etwa der völkerrechtswidrige Charakter dieser Aggression in den Mittelpunkt der politischen Debatte gestellt, sondern Politiker und Juristen propagierten erfolgreich die Anpassung des internationalen Rechts an die veränderten Gegebenheiten der geostrategischen Lage.

"Might makes right" sagen Amerikaner an so einer Stelle lapidar und erinnern daran, daß Recht nicht nur die kodifizierte Form historisch-gesellschaftlicher Zivilisierung ist, sondern Recht zu haben schlicht bedeutet, der Stärkere zu sein. Eine im Bundestag vertretene Fraktion, die die Verstaatlichung der Banken fordert, muß sich über Schläge unter die Gürtellinie nicht wundern. Ginge es nach dem objektiven Interesse des Gros der Bundesbürger, dann wäre die Programmatik der Linken dazu geeignet, dieser Partei bei Bundestagswahlen die absolute Mehrheit zu verschaffen. Allein dieses Gedankenspiel läßt ahnen, daß dies nur zu erreichen wäre, wenn die Linke das Erbe der SPD anträte, was nicht wenige ihrer Mitglieder wollen.

Unter Maßgabe der Ziele ihres Parteiprogramms und des entschiedenen Willens, diese tatsächlich umzusetzen, würde ein solcher Wahlerfolg jedoch mit allen Mitteln bis hin zum Parteiverbot verhindert werden. De facto hat man es bereits mit dem Versuch zu tun, den Anfängen zu wehren, wenn Die Linke unter vornehmlicher Nutzung angeblicher Gesinnungsdelikte geschädigt wird, während über ihre Forderungen, die die Aufhebung des zentralen sozialen Konflikts dieser Gesellschaft betreffen, geschwiegen wird. Diese stellen nicht de jure, aber de facto Angriffe auf das herrschende Kartell aus Staat und Kapital dar und sollen über die Inkriminierung linker Positionen abgewehrt werden. Unter Verweis auf Gesetze und gerichtliche Urteile wird legalistisch gegen Die Linke argumentiert, um mißliebige politische Forderungen zu eliminieren, die noch so sehr im Rahmen verfassungsrechtlicher Möglichkeiten stehen können, um doch an herrschenden Gewaltverhältnissen zu scheitern.

Die Beispiele dafür, wie die Übernahme der Staatsmacht durch sozialistische Parteien oder das Initiieren grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen durch sozialistische Regierungen mit geheimdienstlichen, militärischen, finanzpolitischen und propagandistischen Mitteln torpediert wurde, sind so zahlreich, wie die Beispiele für den gelungenen Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft im kapitalistischen Weltsystem hinter den Erwartungen ihrer demokratischen Realisierung zurückbleiben. Das Scheitern der realsozialistischen Staatenwelt ist neben dem Problem ihrer gesellschaftlichen Hierarchien äußerem Druck wie innerer Subversion geschuldet. Diesen unvollendeten, da den Niedergang der realsozialistischen Staatenwelt mit der Beseitigung jeglichen sozialen Widerstands verwechselnden Sieg zu besiegeln ist Anlaß genug, jeden Verdacht auf sozialistische oder kommunistische Gesinnung mit Exekutivgewalt zu bedrohen.

Union, SPD, FDP und Grüne sind sich der Angreifbarkeit und des Legitimationsverlustes der Politik, für die sie stehen, allemal bewußt. Wenn aus ihren Reihen vereinzelt gegen die Überwachung linker Abgeordneter votiert wird, dann vor allem zugunsten der Stärkung eines Parlamentarismus, der unter den Sachzwängen des technokratischen Krisenmanagements immer bedeutungsloser zu werden droht. Zudem läßt sich eine auf Abgeordnete wie Gregor Gysi oder Petra Pau begrenzte Fürsprache zur Schwächung einer Linken nutzen, deren radikalere Mitglieder und Strömungen für die Angreifbarkeit der Gesamtpartei verantwortlich gemacht werden können. Läßt man die Skandalisierung linker Politik in Medien und Politik seit einem Jahr Revue passieren, dann wirkt es keineswegs abwegig, eine konzertierte Aktion zur Zerschlagung dieser mißliebigen politischen Kraft zu vermuten.

Zweifellos sind sich die Funktionäre und Abgeordneten der Linken des Drahtseilakts zwischen rechtsaffirmativer Praxis und systemüberwindender Zielvorstellung bewußt. Sich auf den Wortlaut des Grundgesetzes zu berufen ist allemal indiziert, um dem politischen Gegner den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Dies jedoch mit realer Verfügungsgewalt zu verwechseln wäre von einer Naivität, die den gegen sie gerichteten Verdacht, ein unausgelotetes politisches Risiko darzustellen, auf ganz andere, den Mangel an machiavellistischem Denken betreffende Weise wahr werden ließe. So unbestimmt das Extremismuskonstrukt als Ausgrenzungsdispositiv der politischen Mitte inhaltlich ist, so zuverlässig legitimiert es autoritäre und repressive Staatspraktiken. Die bei der Rechtfertigung der geheimdienstlichen Beobachtung der Linken immer wieder angeführte Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus ist der beste Beleg für die opportunistische Beliebigkeit der qualitativen Bestimmung des sogenannten Extremismus. Wer nicht dazu bereit ist, autoritär "durchzuregieren", wie es im europäischen Krisenmanagement zur Regel wird, wer keinen Pakt mit dem Kapital schließen will, wer die systematische Durchführung rassistischer Meuchelmorde mit bloßen Diskussionen über Fragen der Militanz nicht gleichsetzen will, wer sozialrassistische Suprematie nicht mit sozialem Widerstand in eine totalitarismustheoretische Gleichung pressen will, der hat einfach nicht das Zeug dazu, Regierungsverantwortung in Deutschland zu übernehmen.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1444.html

26. Januar 2012