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HERRSCHAFT/1649: Auf Gauck ist Verlaß ... antidemokratisches Krisenmanagement (SB)



Symbolisch aufgeladene Staatsakte erfreuen sich desto größerer Beliebtheit, je mehr die krisenhafte Entwicklung die Legitimation staatlicher Herrschaft in Frage stellt. Ein Bundespräsident mag, bis auf Ausnahmesituationen, keine exekutiven Befugnisse haben, als Personifikation einer Staatsgewalt, deren Handlungsfähigkeit im Getriebe globaler Kapitalverwertung akut in Frage gestellt zu sein scheint, wird schon der protokollarische Charakter seines Amtes mit Sinngehalt und Bedeutungszuschreibung überhöht. Wo die vielzitierten Leitbilder Freiheit und Demokratie vor allem in ihrer Negation durch die Praxis der Herrschaftsicherung in Erscheinung treten, tut ihre Bekräftigung allemal Not. Daß sich diese Leitbilder des Verfassungsstaates in der politischen Rhetorik des neuen Bundespräsidenten Gauck auf ein zivilreligiöses Bekenntnis zur "Freiheit" reduzieren, zeigt, daß dieser Gottesmann verstanden hat, was von ihm erwartet wird. Je vieldeutiger und unbestimmter der Gehalt dieses Begriffs, desto bereitwilliger läßt er sich vor den Karren machtpolitischer Interessen spannen und als Weichzeichner harscher Klassengegensätze nutzen.

Der Glorifizierung Gaucks in der bürgerlichen Presse geht die Einsicht in den erhöhten Legitimationsbedarf voraus. Die Funktions- und Kapitaleliten erwarten von seiner Präsidenschaft vor allem Krisenfestigkeit, also die Bereitschaft des Amtsinhabers, ihren politischen Manövern und Winkelzügen den Nimbus der Unverzichtbarkeit auch unpopulärer und harter Entscheidungen zu verleihen. Und da steht allerhand an, wie das Rotieren der Regierungen um die Finanz- und Staatschuldenkrise der letzten Monate beweist. Die in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal bereits vollzogene Vertiefung der Enteignung, Verelendung und Ausbeutung macht vor den westeuropäischen Metropolengesellschaften nicht halt und bedarf der um so stärkeren Zurichtung der Bevölkerungen auf die Alternativlosigkeit dieser Politik.

Die einseitige Beschuldigung der Regierung Syriens als maßgebliche Gewaltakteurin und Alleinschuldige für die bürgerkriegsartige Entwicklung im Land ist nach dem Überfall der NATO auf Libyen und der Zerstörung seiner gesellschaftlichen Kohäsion unschwer als Kriegsvorbereitung zu dechiffrieren. Selbst wenn die Bundesrepublik an dieser Intervention nicht teilhätte, könnte sie sich der Unterstützung eines Angriffs auf den Iran, wenn dieser von Israel ausgehen sollte, nicht entziehen. Währenddessen entwickeln sich die USA, denen sich jede Bundesregierung stets auf besondere Weise verpflichtet fühlt, immer mehr zu einer autoritären Despotie, betrachtet man nur die Ermächtigung des Präsidenten zur Ermordung eigener Staatsbürger im Ausland aufgrund bloßer Geheimdienstinformationen, die unbegrenzte Administrativhaft in Guantanamo und das grausame Wegsperren Zehntausender Gefangener in den Betonsärgen der Hochsicherheitsgefängnisse.

Um die Krisen des Peak Oil, des Klimawandels, des Wassermangels, des Hungers, der medizinischen Unterversorgung und kulturellen Verarmung nicht eigens ins Verhältnis zur Negation zivilgesellschaftlicher Selbstbestimmung zu setzen ist zumindest so viel klar, daß die nächsten Jahre der Bevölkerung der Bundesrepublik materielle Einschnitte und Verluste an persönlicher Selbstbestimmung bescheren werden, wie sie die Nachkriegsgenerationen noch nicht erlebt haben. Mit diesen Maßnahmen wird die Ära im Vergleich zu anderen Weltregionen immer noch verfügbarer Versorgungssicherheit für einen Großteil der Bevölkerung vollends beendet, bislang selbstverständlich in Anspruch genommene Freiheiten werden in Privilegien einer durch Leistung oder Herkunft selektierten Meritokratie verwandelt. Von einem Joachim Gauck, dessen Glaubwürdigkeit vor allem auf dem ideologischen Antikommunismus des Stasiinquisitors, dem die totalitarismustheoretische Relativierung des NS-Regimes zur zweiten Natur geworden ist, beruht und der in allen herrschaftsrelevanten Belangen zuverlässig auf der Seite der Kapitalmacht und des nationalen Hegemoniestrebens steht, ist im Amt des Bundespräsidenten maximale Zuverlässigkeit bei der Durchsetzung erforderlich werdender Notstandsverordnungen und Ermächtigungsdekrete zu erwarten.

Dazu bedarf es keiner besonderen Präsidialmacht. Wenn die Parteien in Kernfragen der globalen Kriegführung, der sozialen Repression und des Ausbaus autokratischer Exekutivstrukturen auf EU-Ebene einen hegemonialen Block bilden, dann zieht die konstitutionelle Trias Präsident, Regierung, Parlament ohnehin an einem Strang. Das Votum von SPD und Grünen für einen Kandidaten der liberalkonservativen Regierungsparteien ist ein unmißverständliches Signal für ihre Bereitschaft, in diesen Fragen berechenbar zu agieren. Gleichzeitig hat Die Linke mit ihrer Konsenskandidatin Beate Klarsfeld den Anspruch weitgehend aufgegeben, diesen Entwicklungen auch über den parlamentarischen Betrieb hinaus mit Mobilisierung und Radikalisierung größerer Teile der Bevölkerung entgegenzutreten. Wo der soziale Widerstand innerhalb dieser Partei Bündnispartner besitzt, ist deren Handlungsfähigkeit durch die Opportunität staatsaffiner Beteiligungsinteressen stark beeinträchtigt.

In dem Aufruf "Demokratie statt Fiskalpakt" [1] der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG) [2] wird der Zusammenhang zwischen der "tiefen Strukturkrise des Kapitalismus" und der "autoritären Wende Europas" hergestellt: "Die Profitrate soll gesteigert werden - durch prekäre Arbeitsverhältnisse, Lohn- und Rentenkürzungen, Sozialabbau und Privatisierung. Die Folgen sind drastisch und was in Griechenland passiert, droht ganz Europa: Massenarbeitslosigkeit, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, zerfallende Gesundheitssysteme, die Zunahme psychischer Erkrankungen und eine sinkende Lebenserwartung." Die Autorinnen und Autoren des Aufrufs konstatieren, daß derartige Maßnahmen "nur autoritär durchgesetzt werden" können, und illustrieren dies mit zeitgeschichtlichen Beispielen für "Schockstrategien", für die der Fiskalpakt und das Gesetzespaket zur "Economic Governance" exemplarisch sind. Diese Herrschaftsstrategien begünstigen das Aufkommen "chauvinistischer und faschistischer Kräfte" in diversen Ländern der EU, wobei die Bundesregierung insbesondere dafür verantwortlich gemacht wird, "mit ihrer kompromisslosen Austeritätspolitik reaktionäre Krisenlösungen immer wahrscheinlicher" zu machen.

Dieser lesens- und unterzeichnenswerte Aufruf legt den Finger in die Wunde einer in linken Bewegungen kaum mehr geübten Herrschaftskritik. Gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen nicht auszuweichen, sondern sie konsequent anzugreifen, konfrontiert mit dem Problem einer Ohnmacht, die wie von selbst mit der Aussichtslosigkeit des Widerstands in eins gesetzt wird. Begreift man Gewalt jedoch als längst vollzogenes Scheitern jeglichen Anspruchs auf Befreiung, dann zeigt sich, daß passives Abwarten und bloßes Beobachten von dieser Ohnmacht nicht auszunehmen sind.

Fußnoten:

[1] http://www.demokratie-statt-fiskalpakt.org/

[2] http://www.akg-online.org/

18. März 2012