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HERRSCHAFT/1687: Urnengang inhaltsleer - Zahlenspiele und Stimmenschacher (SB)




Nach der Landtagswahl in Bayern haben Zahlenspiele den ohnehin inhaltsarmen Bundestagswahlkampf von den letzten Resten substantieller politischer Diskussionen entkleidet. Übrig bleibt das nackte Kalkül möglicher Prozentanteile sowie ein unverhohlenes Hauen und Stechen um die manipulierbarsten Portionen der Wählergunst, das einen an der Gültigkeit demokratischer Prinzipien beim Urnengang zweifeln ließe, hätte man denn Vertrauen in diese gesetzt. Allen voran die FDP, die soeben mit dem Verlust der Regierungsbeteiligung sowie aller Abgeordnetensitze im bayerischen Landtag das größtmögliche Fiasko erlebt hat, verbeißen sich Freidemokraten und Unionspolitiker in die Zweitstimmenkampagne, da die von ihnen favorisierte Fortsetzung der Regierungkoalition auf Bundesebene am seidenen Faden des Wiedereinzugs der Liberalen ins Berliner Parlament hängt.

Daß die FDP mit ihren rund drei Prozent derart an die Wahrnehmungsgrenze abgestürzt ist, bedroht die Zukunft der Partei und die Pfründe ihrer Politiker so akut, daß ihre ohnehin zerrüttete Selbstachtung dem puren Überlebenskampf geopfert wird. Nicht weil Programm und Personal der FDP überzeugen, sondern um sie mit allen Mitteln am Leben zu halten, buhlt ihre Führung massiv um Stimmen der Unionswähler. Parteichef Philipp Rösler läßt einen "Weckruf" erschallen, und "Spitzenmann" Rainer Brüderle verkündet, daß die FDP-Stimme eine Merkel-Stimme sei. Nur wer die Freidemokraten wähle, garantiere, daß die Kanzlerin im Amt bleiben könne.

Da es mit bloßem Anbiedern nicht getan ist, setzen die Liberalen auf folgendes fragwürdige Manöver: Sie haben in 80 kippeligen Wahlkreisen ihre Kandidaten ersucht, zur Wahl des örtlichen CDU-Kandidaten aufzufordern, damit dieser im Gegenzug die Zweitstimme der FDP "überläßt". Da das neue Wahlrecht die Zweitstimme stärkt, die allein über die Zahl der Bundestagsabgeordneten einer Partei entscheidet, während ein Erfolg bei den Erststimmen praktisch nur noch kosmetische Bedeutung beim Ausgleich der Überhangmandate hat, macht die Union dabei ein schlechtes Geschäft. Indessen spekuliert die FDP dreist darauf, daß manchem CDU-Kandidaten im Zweifel das Hemd seines persönlichen Fortkommens näher als der Rock der Gesamtpartei sein dürfte.

"Wir werben selbstbewusst um die Zweitstimme", kündigt Rösler an. Nun sollen die Großplakate der FDP mit dem Aufruf "Jetzt geht's ums Ganze - Zweitstimme FDP" überklebt werden. Für anrüchig hält man diese Finte nicht, sei doch ein gesplittetes Wahlverhalten nichts Neues, wie Brüderle erklärt. Die Kampagne werde "sportlich fair" verlaufen, fügt Rösler hinzu. Generalsekretär Patrick Döring bezeichnet es als "sehr klug", einen starken Kandidaten vor Ort von der Union zu unterstützen und mit der Zweitstimme die FDP wählen: "Kräfte bündeln und gemeinsam agieren - das ist nichts Neues."[1]

Bei der Union will man vordergründig von solchem Stimmenschacher nichts wissen. So betont CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, daß nicht Koalitionen, sondern Parteien gewählt würden und daher die Zweitstimme für die Union eine Stimme für Merkel sei. Auch der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, erteilt einer Zweitstimmenkampagne zugunsten der FDP eine Absage. Und was sagt die Kanzlerin selbst? Wohl wissend, daß ein knapper Wiedereinzug der FDP in den Bundestag ihre Rückversicherung ist, eine große Koalition mit der SPD abzuwenden, signalisiert sie wie üblich mit Andeutungen, wohin der Hase laufen soll. Hatte sie in ihren Wahlkampfreden bislang kein Wort über den kleineren Koalitionspartner verloren, so betont sie nun bei jedem Auftritt, daß sie die christlich-liberale Koalition fortsetzen wolle. Das grenzt zwar an eine Banalität, dürfte aber durchaus genügen, den vielzitierten Mitleidsbonus freizutreten, der die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde springen ließe.

Der engere Kreis der SPD-Parteiführung verständigt sich auf die dürftige Sprachregelung, daß Schwarz-Gelb unter dem Strich nicht mehr funktioniere und die Kanzlerin ohne Mehrheit dastehe. Das ist angesichts des mageren Zugewinns der Sozialdemokraten in Bayern, der schwächelnden Grünen und der erneut bekräftigten Absage an die Linkspartei allenfalls Zweckoptimismus, da nach dem jüngsten Debakel der FDP deren Chancen auf Bundesebene eher gestiegen als gesunken sind.

Für die Mehrheit der Bevölkerung spielt der Ausgang der Bundestagswahl ohnehin keine nennenswerte Rolle. Schenkt man Umfragen Glauben, sind die sozialen Verhältnisse das alles entscheidende Thema für die Wählerschaft, woran weder die NSA-Spionage unter deutscher Beteiligung oder der Krieg in Syrien, geschweige denn die diversen Affären namhafter Politiker etwas ändern. Man könnte natürlich Die Linke wählen, die doch immerhin ein ganzes Paket sozialer Forderungen auf den Tisch gelegt hat. Das enttäuschende Abschneiden der Linkspartei in Bayern ist zwar in der Größenordnung nicht auf die Bundestagswahl zu übertragen, gibt aber auch keinerlei Anlaß zur Erwartung, daß ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft in einer Partei, die der SPD im Wahlkampf unverhohlene Avancen macht, eine unterstützenswerte Alternative erkennen kann.

Daß die miserablen Lebensverhältnisse zahlreicher Bundesbürger den Sozialdemokraten und Grünen nicht weniger als Union und Liberalen zu verdanken sind, macht den Urnengang zu einer Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Die Krise dominiert wie ein düsteres Verhängnis alle Ängste, Hoffnungen und Perspektiven, so daß sich die Überlebensratio mehr denn je im verzweifelten Streben zu erschöpfen scheint, zu Lasten anderer davonzukommen. Solange deutsche Stärke in einem Meer anwachsenden Elends Rettung verspricht, gibt man im Zweifelsfall der relativen Armut im eigenen Land den Zuschlag vor dem bodenlosen Elend anderswo, selbst wenn man dabei über die Bordkante gestoßen zu werden droht.

Fußnote:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/zweitstimmenkampagne-wer-merkel-haben-will-waehlt-fdp-12576086.html

16. September 2013