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HERRSCHAFT/1691: Preis der "Regierungsfähigkeit" ... linke Geschichte entsorgen (SB)




"Überrascht und maßlos verärgert" [1] zeigen sich Gewerkschafter über die heute bekanntgegebene Entscheidung, daß der Technologiekonzern Siemens weltweit 15.000 Stellen streichen wird, davon 5000 in der Bundesrepublik. Eine hilflose, bestenfalls symbolpolitische Reaktion auf die allein von der Führung eines Unternehmens, dem die US-Bank JPMorgan Chase vorgerechnet hat, daß sie rund 30.000 Angestellte entlassen müßte, um ein börsenadäquates Produktivitätsprofil zu erreichen [2], zu verantwortende Rationalisierungsmaßnahme. Die Zahl der damit überflüssig Gemachten ist nach oben offen, und sie ist zu jenen 18.000 Siemens-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die bereits vor fünf Jahren in eine ungewisse Zukunft entlassen wurden, aufzuaddieren. Internationale Wettbewerbsfähigkeit geht den Kapitalinvestoren über alles, während die Ware Arbeitskraft als ein Brennstoff eingesetzt wird, der als bloße betriebswirtschaftliche Rechengröße frei von jenen menschlichen Schicksalen zu sein hat, über deren Wohl und Wehe seine Verkäuflichkeit befindet.

Einen Tag vor der Bundestagswahl hat Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestags für die Partei Die Linke, in einem Fernsehinterview [3] die Frage, ob sie auf andere Parteien vom linken Rand zugegangen sei, mit dem Argument abschlägig beschieden, daß sich einige dieser "trotzkistischen Splittergruppen (...) immer noch nicht von der Doktrin der Diktatur des Proletariats verabschiedet" hätten. Weder könne ein Avantgardeanspruch links sein, noch der Anspruch, den Menschen zu diktieren, was für sie gut ist, urteilte Pau pauschal über die namentlich genannten Parteien DKP, MLPD und PSG. Was die realpolitische Avantgarde der repräsentativen Demokratie in Hinsicht auf Bevormundung und Unterwerfung leistet, muß wohl auf einem anderen Blatt stehen.

Da sich in diesem Kreis allein die PSG (Partei für Soziale Gleichheit) explizit auf Leo Trotzki und die IV. Internationale beruft, ließ sie diesen Affront nicht unkommentiert und verfaßte eine Replik an Petra Pau, die auf der World Socialist Web Site (WSWS) nachzulesen ist [4]. Darin stellt die PSG die "Diktatur des Proletariats" in den Kontext einer Geschichte der Klassenkämpfe, die im wesentlichen auf der Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit der jeglichen Besitzes an den Produktionsmitteln enthobenen Arbeiterinnen und Arbeiter beruht. Unter anderem macht ihr Vertreter Ulrich Rippert geltend:

"Wichtige Teile des gesellschaftlichen Lebens sind selbst von formaler Demokratie völlig ausgeschlossen und lassen nicht die geringste demokratische Kontrolle und Mitwirkung der Bevölkerung zu. In den Chefetagen der großen Konzerne und Banken werden täglich Entscheidungen getroffen, die das Leben breiter Bevölkerungsschichten direkt und indirekt stark betreffen, aber sie unterliegen nicht der geringsten demokratischen Kontrolle oder auch nur Rechtfertigung." [4]

Die Forderung der Partei besteht mithin in der "Enteignung der Banken und großen Konzerne" und der "Errichtung einer demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung", was allein dafür sorgen könne, daß "wirklich demokratische Verhältnisse geschaffen werden". Wie das Subjekt einer revolutionären Umwälzung dieser Art hinsichtlich des Problems, daß viele Lohnabhängige in der Bundesrepublik und die SPD-dominierten Gewerkschaften die nationale Standortlogik zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht haben, zu bestimmen wäre, ist für die Linke-Politikerin ohne Belang. Im Rückgriff auf ein antikommunistisches Standardargument steckt der Vorgriff auf die Teilhaberschaft an der Führung eines Staates, der als Sachwalter europäischer Kapitalinteressen all jene Praktiken und Ideologien hervorbringt, die mit der Etablierung privilegierter Herrschaft über eine zusehends neofeudal strukturierte Gesellschaft das erfüllt, was mit Klassenherrschaft seit jeher gemeint ist.

Über die Stichhaltigkeit und Zweckmäßigkeit des Begriffs der Arbeiterklasse in der systematisch atomisierten, keineswegs nur von direkten Kapitalinteressen, sondern innovativen Formen sozialer Kontrolle und staatlicher Verfügungsgewalt beherrschten Gesellschaft zu streiten, ist das eine. Als führende Vertreterin der einzigen Kraft im Parlamentarismus, die Antimilitaristen und Antikapitalisten noch eine gewisse Repräsentanz bietet, jede nach vorne gewandte und dabei im Grundsatz streitbar bleibende Weiterentwicklung linker Politik durch die Leugnung der eigenen Geschichte zu verhindern, das ganz andere. Kleine linke Parteien, unter denen die DKP auch noch den Schulterschluß mit der Partei Die Linke übt, vor dem Mikrofon eines Privatsenders der inquisitorischen Verurteilung ihrer wie der eigenen Geschichte zu unterwerfen, demonstriert schlaglichtartig das ganze Elend des Versuchs, unter der Kuratel des "ideellen Gesamtkapitalisten" regierungsfähig zu werden. Wenn der Arbeiterstolz eines "Siemensianers" auf die krude Realität globaler Verwertungsmaximen trifft und die Erkenntnis dämmert, daß das, was jahrzehntelang an eigenem Herzblut in das Unternehmen geflossen ist, im Brand ganz anderer Interessen aufgezehrt wurde, um nicht erst mit der Kündigung gegen die eigene Existenz gekehrt zu werden, dann ist die Folgenlosigkeit des dabei aufkommenden Zorns auch der staatspolitisch verdienstvollen Tätigkeit einer Petra Pau geschuldet.


Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/nachrichten/

[2] http://www.welt.de/wirtschaft/article120501694/Siemens-baut-weltweit-15-000-x-Stellen-ab.html

[3] http://www.n-tv.de/politik/Einer-trage-des-anderen-Last-article11388251.html

[4] http://www.wsws.org/de/articles/2013/09/27/ppau-s27.html

29. September 2013