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HERRSCHAFT/1695: Unterwerfungsinstrument Schuldendienst - Griechenland am langen Arm der Gläubiger (SB)




Obschon von großem Nutzen für die anstehenden Wahlen zum EU-Parlament, fällt der Jubel - "Griechenland feiert erfolgreiches Kapitalmarkt-Comeback" [1] - über die erste auf dem Finanzmarkt plazierte Staatsanleihe Griechenlands seit vier Jahren verhalten aus. So wird in einigen Pressekommentaren an die hohe Arbeitslosigkeit von rund 27 Prozent erinnert, an die seit vier Jahren von 120 auf 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegene Staatsverschuldung und das 2013 noch bei 13 Prozent liegende Haushaltsdefizit. Weit weniger Beachtung in den Leitmedien findet die tiefe soziale Krise einer Bevölkerung, deren Lebensqualität in fast allen Indices auf das Niveau eines Landes unterhalb der Schwelle zum Industriestaat gefallen ist.

In Anbetracht der Absicht der EU-Troika, den bislang mit 240 Milliarden Euro kreditierten Staat nicht scheitern zu lassen, kann es nicht erstaunen, daß eine mit 4,75 Prozent verzinste Staatsanleihe mit fünf Jahren Laufzeit auf großes Interesse der Finanzmarktakteure trifft. Zu vermuten, die Großanleger aus dem Dunstkreis kapitalstarker Pensionsfonds und risikofreudiger Hedge-Fonds könnten Einwand gegen eine staatliche Schuldengarantie erheben, die den ureigenen Primat selbstregulativer Märkte dementiert, könnte der Realität nicht ferner sein. Das aufgrund seiner nur zu einem kleinen Teil auf der Wertschöpfung durch produktive Arbeit basierende Kapital ist, wie auch die 20 Milliarden Euro schweren Gebote für die mit 3 Milliarden Euro bezifferte griechische Staatsanleihe zeigen, vehement auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Ließe sich mit diesem Geld keine oberhalb der Inflationsrate liegende Rendite am Finanzmarkt erzielen, dann schlüge sein dadurch hervortretender fiktiver Charakter so negativ zu Buche, daß er einen umfassenden Wertverfall auslösen könnte.

Die Athener Regierung verkauft ihre Rückkehr an den Kapitalmarkt als Zeichen einer "Gesundung", weil sie damit die Zustimmung zu den Spardiktaten und Strukturauflagen der Troika im Nachhinein als erfolgreichen Schritt hin zur Wiederherstellung fiskal- und wirtschaftspolitischer Unabhängigkeit legitimieren kann. Für die lohnarbeitende und versorgungsbedürftige Bevölkerung ist dies allerdings ein schwacher Trost, gelangt sie doch vom Regen einer staatsbürokratischen Austeritätspolitik in die Traufe einer marktwirtschaftlichen Mangelordnung. Nach Maßgabe des auf Anweisung der Troika vollzogenen neoliberalen Strukturwandels, der die Gewährleistung angemessener Lebensverhältnisse für angeblich unproduktive Menschen ausschließt, wird die angestrebte Wettbewerbsfähigkeit den sozialen Notstand weiter verfestigen. Wer nicht zur kleinen Gruppe der Krisengewinner gehört und wie ein Phönix aus der Asche aufersteht, wird im Strohfeuer spekulativer Akkumulation auf das nicht weiter entflammbare Endprodukt dieses Brandes reduziert und bleibt auf der Strecke nie zureichender Existenzsicherung.

Gemeint sind all diejenigen Menschen, deren Arbeitskraft dem verordneten Streben nach Wettbewerbsfähigkeit auf Weltmarktniveau nicht standhält, so daß sie im besten Fall als lohndrückende Reservearmee gesellschaftliche Verwendung finden. Was in der Bundesrepublik am Beispiel des Hartz-IV-Regimes vorexerziert wurde, findet in Griechenland auf noch tieferem Elendsniveau als systematische Ausgrenzung von Millionen überflüssig gemachter Menschen in eine Mangelordnung statt, deren Belastbarkeit in einer realitätstauglichen Versuchsanordnung zu erforschen Sinn und Zweck der Einrichtung des "Krisenlabors Griechenland" [2] ist. Seine Konstitution ist das Ergebnis der politischen Strategie, den Wert des fiktiv gewordenen Kapitals zu erhalten, indem der Staat sein aus Steuern geschöpftes Einkommen zu seiner Deckung einsetzt, um den Bestand administrativer Verfügungsgewalt und kapitalistischer Herrschaft allen immer drastischer hervortretenden Widersprüchen zum Trotz zu sichern.

Indem die Troika die Alimentierung der griechischen Banken und Regierung von der Durchsetzung einer sozialökonomischen Schrumpfkur abhängig macht, unterwirft sie die griechische Bevölkerung einer betriebswirtschaftlichen Kostensenkung, die in Land und Leute investierende Anleger und Unternehmen in eine gewinnträchtigere Position manövriert. Der durch die Sparpolitik erzeugte Mangel ist keine notwendigerweise in Kauf zu nehmende Begleiterscheinung der zwecks Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit vollzogenen Rationalisierung der Arbeit. Das Versprechen auf eine Reichtumsproduktion, die allen zugute kommt, wenn sie nur die Durststrecke des Mangels durchhalten, fliegt schon durch den selektiven Charakter der sozialen Verelendung auf. Wieso sollte ein Gewaltverhältnis, das die Menschen zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zu fast jeder Bedingung zwingt, wenn sie nicht in den Abgrund totaler Verarmung stürzen wollen, durch seine erfolgreiche Durchsetzung und ökonomische Funktionsfähigkeit überwunden werden? So tritt der Schuldendienst, vermittelt über die fiskalpolitischen Diktate der Troika, als Verfügungsgewalt über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen in Erscheinung, was wiederum den Wert des Geldes in seiner gesellschaftlichen Form als Entzug von Lebenschancen und Zwang zur Unterwerfung negativ bestimmbar macht.

Indem man den frühzeitigen Konkurs überschuldeter Banken und Unternehmen durch staatliche Intervention verhinderte, wurde die Gefahr, daß die Menschen die dadurch in Frage gestellten Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf stellen, in deren Verstetigung und Vertiefung verwandelt. Verschärfte Ausbeutung und beschleunigte Privatisierung sind das Produkt einer vom marktwirtschaftlichen Schuld- in ein gesellschaftliches Rechtsverhältnis verwandelten Herrschaft der Gläubiger [3]. So können sie sich des Problems entledigen, daß ihr auf dem Finanzmarkt aufgehäuftes Geld längst jeder Deckung durch produktive Arbeit enthoben ist. Wo die industrielle Güterproduktion mangels zahlungskräftiger Nachfrage in Überproduktionskrisen gerät, werden durch die Rechtsordnung begründete Eigentumstitel auf Land und Immobilien oder immaterielle Güter wie Lizenzen und Patente zum Mittel weiterer Akkumulation.

Die Menschen in ein Korsett aus Zahlungsverpflichtungen zu zwängen, deren Nichteinhaltung ihnen einen vorzeitigen Tod durch Mangel an essentiellen Lebensmitteln und Versorgungsleistungen beschert, ist Sache des staatlichen Gewaltmonopols. Nur mit seiner Hilfe kann es gelingen, die nicht mehr zahlungsfähige Bevölkerung unter erheblichen Verlusten an ihrem Wohlbefinden am Boden zu halten, während Lohnarbeit verrichtende Menschen sich jeder Kostensenkung unterwerfen müssen und noch nicht dem Gemeinwesen entzogene Versorgungsstrukturen privaten Investoren übereignet werden. All dies wird gewährleistet durch eine Schuld, deren faktische Unbezahlbarkeit den Durchgriff äußerer Akteure auf eine Bevölkerung legitimiert, die diese dazu nicht ermächtigt hat und umso mehr zum Objekt ihrer Interessen wird.

Insofern ist die von der radikalen Linken Griechenlands erhobene Forderung, den Schuldendienst an institutionelle wie private Gläubiger generell zu verweigern, anstatt sich auf eine Streckung der Rückzahlungsfristen oder andere Modifikationen des Schuldenregimes einzulassen, von höchster Relevanz. In einer Wahl das politische Mandat zu erhalten, die Begleichung der aufgelaufenen Schulden aufzukündigen, hieße, die seitens der EU zugleich idealisierte wie ausgesetzte Demokratie vollständig in Anspruch zu nehmen. Mit diesem Votum im Rücken den Preis zu akzeptieren, für die Befreiung vom langen Arm der Schuldenknechtschaft wirtschaftlich weitgehend auf sich selbst gestellt zu sein, könnte grundlegende gesellschaftliche Veränderungen wie die Etablierung einer demokratisch organisierten Wirtschaftsplanung und sozial bestimmten Eigentumsordnung zur Folge haben.

Die Verfügungsgewalt der Gläubiger zu beenden, bedeutete nichts geringeres als gegenüber EU und NATO die Machtfrage zu stellen. Wie diese voraussichtlich beantwortet wird, ist ein Grund dafür, daß der dazu erforderlichen Mehrheit meist der Mut für einen solchen Schritt in Richtung Selbstbestimmung fehlt. Dennoch ist Griechenland aufgrund seiner linken und demokratischen Tradition unter den EU-Staaten vielleicht am meisten dazu geeignet, aus den Ruinen der kapitalistischen Globalisierung tatsächlich eine menschenfreundlichere Gesellschaft erstehen zu lassen.


Fußnoten:

[1] http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEEA3904520140410

[2] REZENSION/565: Detlef Hartmann, John Malamatinas - Krisenlabor Griechenland (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar565.html

[3] Wolfram Pfreundschuh: Diskussionen rund ums Geld, Teil IX: Die Aneignung der entwendeten Zeit
http://kulturkritik.net/index_allgem.php?code=pfrwol121

11. April 2014