Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1750: Trump zieht blank (SB)



Die klammheimliche Freude einiger sich der Linken zurechnender Aktivisten und Kommentatoren über das vermeintliche Umsteuern Donald Trumps in Sachen Rußland und NATO dürfte allmählich der Einsicht weichen, daß diese Rechnung ohne den Wirt eines Staatsinteresses gemacht wurde, aus dem der neue US-Präsident während des Wahlkampfes allerdings auch kein Hehl gemacht hat. Selbst wenn sich zwischen Washington und Moskau eine "Männerfreundschaft" anbahnen sollte, müßte daraus keineswegs eine wünschenswerte Entspannung in den internationalen Beziehungen resultieren. Trump wie Putin jedenfalls scheinen zu wissen, daß Staaten keine Freunde, sondern Interessen haben. Und was die vermeintliche Schwächung der NATO angeht, deren Bestand Trump im Wahlkampf für obsolet erklärte, so bekannte er sich laut seiner Besucherin, der britischen Premierministerin Theresa May, "zu 100 Prozent" zur Nordatlantischen Vertragsorganisation.

Sich in den Konflikten zwischen Staaten, zumal wenn es sich um atomar hochgerüstete Akteure mit weit ausgreifenden Hegemonialansprüchen handelt, auf eine Seite zu stellen ist Sache jener Kapital- und Funktionseliten, die sich etwas davon versprechen können. Warum sollten herrschaftskritische Menschen, ganz nach Maßgabe parlamentarischer Demokratien, die ein begrenztes Sortiment von Stellvertreterpolitik im Angebot haben, unter diesem zu wählen vor allem den Zweck der grundsätzlichen Zustimmung zu dieser Form staatlicher Verfügungsgewalt erfüllt, sich überhaupt gouvernementalen Funktionträgern andienen, die allein dem Ziel verpflichtet sind, ihre Bevölkerung auf die kapitalistische Arbeitsgesellschaft zuzurichten und in die Waagschale zwischenimperialistischer Konkurrenzkämpfe zu werfen?

Wenn heute die gleichen Leute, die meinten, mit Hillary Clinton auf ein sicheres Ticket zur Fortsetzung gewohnter Verhältnisse zu setzen, gegen den Autokraten im Weißen Haus und für ein vermeintlich besseres Amerika auf die Straße gehen, dann ist schon aufgrund der inneren Gebrochenheit dieses Protestes zu vermuten, daß er der massiven Repression, zu deren Ausübung ein Trump allemal willens und fähig ist, kaum gewachsen sein wird. Was haben liberale Funktionseliten, die sich zu Wortführern des Widerstandes gegen Trump aufschwingen, mit dem stimm- und gesichtslosen Elend zu tun, dessen Aufstand sie ebenso fürchten, wie es die politische Konkurrenz tut? Was wollen sie damit erreichen, angesichts der Entlassung der kommissarischen Justizministerin durch Trump über die Gefährdung einer Gewaltenteilung zu klagen, deren Checks and Balances zum eigenen Vorteil zu nutzen stets das Privileg ihrer Klasse war? In der sozialen Realität ziehen Exekutive, Judikative und Legislative fast immer am gleichen Strang der durch diese Verfassungsorgane quasi institutionalisierten Herrschaft alter Gelddynastien und unternehmerischer Monopolgewalt, anders wäre die auf liberalen Marktprinzipien basierende privatwirtschafliche Eigentumsordnung der Vereinigten Staaten nicht durchzusetzen.

Trump zieht blank, wie es einem nationalistischen Volkstribun, der die Massen begeisterte, indem er ein Parteiestablishment attackierte, das seinesgleichen stets Mittel zum Zweck war, gebührt. Ihn als erratischen Chaoten oder ignoranten Underdog gering zu schätzen geht am aggressiven Charakter der exekutiven Machtfülle, über die er gebietet, vorbei. Der Unternehmer, der seinen geschäftlichen Erfolg der aus Land- und Immobilienbesitz erwirtschafteten Grundrente zu verdanken hat und der mit dieser nur in geringem Maße produktiver Arbeit bedürfenden Akkumulation den Kapitalismus in seiner neofeudalen Gestalt nicht besser repräsentieren könnte, ist sich seiner Ziele sicherlich sehr bewußt. Das trifft auf viele der Menschen, die ihn aus der Ohnmacht ihrer desolaten Situation heraus gewählt haben, um die Strukturen, unter denen sie leiden, wenigstens irgendwie erschüttern zu können, eher nicht zu. Zweifellos aber stehen mächtige Interessengruppen hinter ihm, und sei es, daß sie nach anfänglicher Ablehnung seiner Person nun auf den rollenden Zug aufspringen.

Die Hoffnung, daß sich administrative oder juristische Strukturen Trumps politischer Willkür widersetzen, ist allerdings noch haltloser, als auf die Durchhaltefähigkeit der jetzt noch massenhaften Proteste zu bauen. Der Opportunismus sich bietender Gelegenheiten wird auch durch einen Trump bedient, der sich dieser machiavellistischen Herrschaftstechnik schon ganz instinktiv gewahr sein dürfte. Warum sollten die Beamten in den Regierungsbehörden der US-Bundesstaaten, in den Landes- und Bundesgerichten wie in den Ministerien Washingtons ihre zweite, bürokratische Natur plötzlich vergessen und hochgradige persönliche Risiken eingehen? Die hierzulande viel zu wenig in Anspruch genommene Möglichkeit einer Fundamentalopposition, die sich nicht durch Zweckbündnisse und befristete Allianzen in ihrem prinzipiellen Widerstand schwächen läßt, verkörpert auch in den USA die aussichtsreichste Möglichkeit, einem Trump oder anderen Autokraten Paroli zu bieten.

31. Januar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang