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HERRSCHAFT/1785: Friedlos - über den Tod hinaus ... (SB)



Die 28jährige Sophia war Mitglied der Jusos und in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Reisen sollte allen Menschen möglich sein, war die feste Überzeugung der Aktivistin, die selber häufig trampte. Zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtling zu unterscheiden und Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit dementsprechend einzuschränken lehnte sie aus guten, humanen Gründen ab. Mehrmals hatte sie auf der griechischen Insel Lesbos die Flüchtlingshilfsorganisation No Border Kitchen unterstützt. Sie war nicht nur Verfechterin der Willkommenskultur der Refugees welcome-Bewegung, sondern setzte sich aktiv für flüchtende Menschen ein, nicht zuletzt dadurch, daß sie in Anspruch nahm, woran es anderen Menschen nicht fehlen sollte.

Nachdem die junge Frau Mitte Juni verschwand und inzwischen ihre Leiche im Baskenland aufgefunden wurde, hat sich der Verdacht verdichtet, daß sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Ermittelt wird gegen den Fahrer eines LKWs, in den sie einstieg und der über ein marokkanisches Kennzeichen verfügen soll. Er ist zur Zeit in Spanien inhaftiert und soll an die deutsche Justiz ausgeliefert werden [1].

Die Familie der Verstorbenen hat sich von Anfang an dagegen gewendet, daß Sophias Tod Anlaß für rassistischen Haß gibt, das hätte die Verstorbene keineswegs gewollt. Dennoch brach auf rechten Online Medien eine Hetzkampagne los, und die Angehörigen der Verstorbenen erhalten auf sozialen Medien Haßmails und Drohungen. Ihr Bruder wurde unter anderem als "Judensau" beschimpft, Kommentare wie "Sie hat nichts Besseres verdient" oder "Hoffentlich wirst du auch noch weggemessert" sind keine Seltenheit [2]. Indem die Familie das soziale Engagement Sophias schützt und bewahrt, rückt sie selbst in den Fokus einer rechten Bewegung, deren Existenz allein dazu Anlaß gibt, die Verstorbene und ihre Familie mit allen Mitteln gegen rassistische Anwürfe zu verteidigen. Bei alledem wird vergessen, daß die hauptsächliche Gefahr für Frauen, körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein, von Ehen und Beziehungen und der kleinfamiliären Zurichtung auf Anpassung und Unterwerfung ausgeht.

Was los ist mit Menschen, denen in solch tragischer Situation nichts besseres einfällt als die Trauer der Betroffenen mit ihrem Haß zu vergiften, ist keine Frage, die sich wirklich stellt. Das Klima im Sommer 2018 ist feindseliger denn je, und wieder einmal geraten diejenigen unter die Räder der neuen "Volksgemeinschaft", die sich am schlechtesten wehren können. In einem Land, in dem das parteipolitische Christentum die Regierungsmehrheit bildet und dort immer ungehemmter jener Lesart von Nächstenliebe den Zuschlag gibt, laut der damit die räumlich am nächsten gelegen lebenden Menschen, keineswegs aber unterschiedslos alle gemeint seien, müssen sich sozial deklassierte Minderheiten aller Art warm anziehen. Der sich bei jeder noch so kleinen Gelegenheit, in der das Fremde Anlaß gibt, all das aufkochen zu lassen, was man schon seit langem in den Gulli spülen wollte, breitmachende Rassismus ist seinerseits kein Minderheitenphänomen, sondern, wie insbesondere die Regierungspartei CSU zeigt, politisch hegemonial geworden.

Die Unfähigkeit, Menschen, deren Lebensweise von der eigenen abweicht, anders denn als Bedrohung der eigenen Identität wahrnehmen zu können verweist darauf, daß die Identifikation mit Staat und Nation die Antithese des anderen nicht nur hervorbringt, sondern für die Konstitution eigener Zugehörigkeit unentbehrlich macht. Der latente Bürgerkrieg, den zu beschwören und zu schüren der tiefere Zweck der Lautsprecher des vermeintlichen "Volkstodes" oder "großen Austausches" ist, bedarf keiner schwerwiegenden Voraussetzungen zu seinem manifesten Ausbruch, wie etwa die grausamen Ereignisse im kollabierenden Jugoslawien gezeigt haben. Wird die Erwerbs- und Versorgungslage so eng, daß sie wortwörtlich ins eigene Fleisch schneidet, dann bedarf es nur geringer Anstöße, um die Gewalt sozialdarwinistischer Konkurrenz- und Verteilungskämpfe zu entfesseln.

Mit diesem Tod und Zerstörung bringenden Potential kokettieren die rechtsradikalen Feinde jeglicher Abweichung der von ihnen gesetzten Zugehörigkeitsnorm. Bei der Flüchtlingsabwehr, zu deren Durchsetzung nun wieder Lager errichtet werden sollen, geht es um weit mehr als die rechte Halluzination von der "Reinheit des Volkskörpers" suggeriert. Sie ist Ausdruck eines Hauens und Stechens, dessen Akteure bewährter wie neuer Feindbilder bedürfen, um sich frei davon zu halten, sich selbst die Schwäche existentieller Flüchtigkeit einzugestehen. Das neugeschaffene Heimatministerium meint, "unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche" schützen zu müssen. Wer die Weißwurst nicht ehrt, macht sich bereits subversiver Umtriebe verdächtig. Kein Wunder, daß TierrechtsaktivistInnen demnächst härter angefaßt werden, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, die dieses Ausschlußkriterium des als Bundesinnenminister über entsprechende Gewaltmittel verfügenden Heimatschützers Seehofer nahelegen.

Wesentliches Merkmal solcher Feindbilder ist die Position der Stärke, aus der heraus sie reanimiert oder konstruiert werden. Auf der Kommandohöhe des imperialistischen Staates ist die Wahrscheinlichkeit, zu den Siegern zu gehören, groß. Gleiches gilt nicht für Flüchtlinge, deren Länder durch die kriegerischen Machtprojektionen der EU und USA erschüttert werden, ohne daß ihnen ein entsprechender Anspruch auf "Heimatschutz" zugestanden würde. Dementsprechend schwerwiegend und folgenreich sind die Wagnisse verschärfter Repression und aggressiver Kriegführung, die die Protagonisten von Staat und Nation eingehen, um den eigenen Besitzstand zu sichern, für alle Menschen, die die Armutsschwelle nicht deutlich überschritten haben und sich auch sonst als wertvolle Mitglieder der "Volksgemeinschaft" qualifizieren.


Fußnoten:

[1] https://www.tz.de/welt/vermisste-tramperin-sophia-l-ist-tot-wann-wird-tatverdaechtige-nach-deutschland-ueberstellt-zr-9962702.html

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/335149.der-m

8. Juli 2018


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