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HERRSCHAFT/1851: Frauenfeindlichkeit - konfliktverstärkt ... (SB)



Die 30jährige Iranerin Sahar Khodayari hatte versucht, als Mann verkleidet ein Spiel ihrer Lieblingsmannschaft in der iranischen Fußballiga, Esteghlal, zu besuchen und war dabei von der Polizei entdeckt und verhaftet worden. Nach drei Tagen in Untersuchungshaft wurde sie freigelassen, aber unter Anklage gestellt. Als sie erfuhr, daß ihr eine sechsmonatige Haftstrafe drohte, setzte sie sich vor dem Gerichtsgebäude in Brand. Am 9. September starb sie in einem Teheraner Krankenhaus.

Zweifellos hat Khodayari mit ihrem Freitod gegen das seit 40 Jahren währende Stadionverbot für Frauen protestiert, doch ist das nur Ausdruck des größeren Problems der massiven Benachteiligung von Frauen im Iran durch das klerikale Patriarchat. Obwohl geostrategisch Kontrahenten, können sich Revolutionsführer Ali Khamenei und US-Präsident Donald Trump als Sachwalter maskuliner Suprematie die Hände reichen. Durch die Anfeindung und Ausgrenzung des Irans werden ausschließlich diejenigen Kräfte im Land gestärkt, die die staatliche Unterdrückung von Frauen und anderen nicht heterosexuellen Minderheiten aufrechterhalten. Bezeichnenderweise wird kaum darüber nachgedacht, daß die stets auch Freiheit und Menschenrechte beanspruchende Politik der wirtschaftlichen und militärischen Intervention in den Nahen und Mittleren Osten das Gegenteil dessen erreicht, was die moralische Überposition der Staaten, die sie betreiben, glauben macht.

So hat die Belagerung und Eroberung des Irak den Frauen im Land Jahrzehnte härtester Lebensbedingungen beschert. Hundertausende von ihnen verloren in den 1990er Jahren Kinder, die an vermeidbaren gesundheitlichen Problemen starben, weil das UN-Totalembargo den Nachschub an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung fast vollständig unterband. Verantwortlich für dieses Embargo, das nach dem sogenannten Golfkrieg 1991 verhängt worden war und erst mit der Eroberung des Landes durch die USA und ihre Verbündeten 2003 endete, waren in erster Linie die USA und Großbritannien. Seine Durchsetzung wurde aber auch von der deutschen Bundesregierung, so etwa von dem grünen Außenminister Joseph Fischer, gutgeheißen. Er ist später in eine langjährige berufliche Zusammenarbeit mit seiner Kollegin, US-Außenministerin Madeleine Albright, eingetreten. Sie war für die Aushungerung des Irak an führender Stelle verantwortlich und hat die Frage, ob sich diese Politik angesichts des sanktionsbedingten Todes von 500.000 Babies gelohnt habe, ausdrücklich bejaht.

Heute müssen Frauen im Irak in weiten Teilen des Landes wieder verschleiert auf die Straße gehen, wenn sie sich nicht in Gefahr bringen wollen. Die mehrjährige Besetzung durch die US-Streitkräfte hat ein Trümmerfeld hinterlassen und eine Zivilgesellschaft zerschlagen, die Frauen einmal weitgehende Rechte zugestanden hat. Nicht viel anders als in Afghanistan, wo unter der kurzen Zeit einer sozialistischen Regierung Frauenrechte zumindest vom Anspruch her weitreichend verwirklicht worden waren, hat die Kriegführung imperialistischer Akteure dafür gesorgt, daß die Machtstellung der Männer im Haus wie auf der Straße nicht in Frage gestellt werden kann, ohne schwerwiegende Konsequenzen zu provozieren. 18 Jahre Kriegsbeteiligung der Bundeswehr in Afghanistan hat den Menschen dort so gut wie keine sozialen Fortschritte beschert, werden Frauen und Kinder doch bis heute der Gefahr ausgesetzt, bei einem Anschlag der Taliban oder bei Bombenangriffen der internationalen Besatzungstruppen ums Leben zu kommen.

Die humanitäre Katastrophe im Jemen ist vor allem Saudi-Arabien geschuldet, das fest an der Seite der NATO-Staaten steht und den Iran im repressiven Ausmaß seines frauenfeindlichen Klerikalfaschismus noch einmal überholt. Das Blut an den Fingern eines jedes in die Kriege der Region verstrickten Akteurs wird dort am grausamsten vergossen, wo die Menschen schon in Friedenszeiten Opfer patriarchaler Dominanz sind, ihr also im Krieg um so zahlreicher zum Opfer fallen. Das hat weniger mit der Religion des Islam als den Interessen der jeweiligen Machthaber und Oligarchen zu tun, die die angeblichen Verteidiger des christlichen Abendlandes hofieren, um es nicht mit der befreienden Kraft zu tun zu bekommen, die aus über Jahrhunderten angesammelter revolutionärer Energie erwächst.

Wo Frauenrechte aus eigener Kraft verwirklicht werden, wie von den Kurdinnen in der Türkei und im nordsyrischen Rojava mit großer Tatkraft und Begeisterung vorgelebt, ist die Bundesregierung mit an Bord, um das in Frage gestellte Patriarchat zu reinstallieren. Die kurdische Befreiungsbewegung wird in Deutschland politisch verfolgt und in ihren Wohngebieten durch die Unterstützung des Erdogan-Regimes aus Berlin und durch deutsche Waffen in Lebensgefahr gebracht. Angela Merkel als Bundekanzlerin und Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin sind für diese Entwicklung mitverantwortlich, so daß das Lob auf die hohe politische Stellung dieser Frauen nichts als Symbolpolitik ist, von der das Männerregime am meisten profitiert, das ihnen applaudiert. In einem sind sich nicht nur Trump und Khamenei einig - Frauen und andere nicht heterosexuelle Minderheiten sollen bestenfalls geduldet werden, keinesfalls aber einmal die Verfügungsgewalt über als männlich identifizierte Domänen und Praktiken erlangen.

15. September 2019


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