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HERRSCHAFT/1854: Extinction Rebellion - der Amtsweg wird nicht reichen ... (SB)



Was sollte die Regierung eines Nationalstaates veranlassen, die ihr Geschäft zu Lasten der Lohnabhängigenklasse im eigenen Land wie den strukturellen Defiziten anderer Staaten betreibt, das universale Problem der Klimakatastrophe so ernst zu nehmen, wie es aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse erforderlich wäre? Warum sollte eine auf Kapitalakkumulation abonnierte Gesellschaftsordnung, deren Streitkräfte ein Vielfaches dessen an Rohstoffen und Energie verschlingen, was für konventionelle Klimaschutzpolitik eingesetzt wird, darauf verzichten, ihr Kerninteresse schlußendlich mit kriegerischer Gewalt durchzusetzen und damit alle Bestrebungen zur Eindämmung des Klimwandels scheitern zu lassen? Warum sollten ihre EntscheidungsträgerInnen aufgrund eines bloßen Sachzwanges zu der Erkenntnis gelangen, daß der auf Aneignung und Ausbeutung festgelegte Stoffwechsel mit der Natur eben das hervorbringt, was - dementsprechend aussichtslos - mit den gleichen Mitteln bekämpft werden soll?

Die herrschenden politischen Instanzen aufzufordern, der Bevölkerung die Wahrheit über den Klimawandel mitzuteilen und den Klimanotstand zu erklären, um ihre Entscheidungsgewalt schließlich einer BürgerInnenversammlung nachzuordnen, die alles rückgängig macht, was eine Klimakatastrophe auslösen wird, mag auf den ersten Blick überzeugen und erklärt den Zulauf, den die Bewegung Extinction Rebellion (XR) hat. Dabei wird die so gestellte Machtfrage dadurch unterlaufen, daß bei Blockadeaktionen von vornherein eng mit der Polizei und den Behörden zusammengearbeitet wird. Als seien die AktivistInnen in der Lage, die gegen sie eingesetzten BeamtInnen praktisch auf ihre Seite zu ziehen, wird auf die Überzeugungkraft eines scheinbaren Naturzwanges gebaut, die heute kaum mehr verfängt als zu Beginn der internationalen Klimaschutzpolitik.

Diese Wahrheit steht wie ein Elefant mitten im Raum und ist etwa durch die Klimagesetzgebung der Bundesrepublik unschwer zu dokumentieren. Niemand sollte sich der Konformitätsplattitüde unterwerfen, daß politische Forderungen nur dann erhoben werden können, wenn ihre Einlösung im Bereich realpolitischer Machbarkeit angesiedelt ist. Die Latte so hoch zu legen, wie es XR tut, ohne entschiedene Herrschaftskritik und Systemopposition zu üben, sondern statt dessen eine explizit auch gegen links gerichtete und daher vermeintlich mehrheitsfähige Middle of the road-Ideologie zu propagieren, taugt vielleicht gerade noch dazu, unter der Latte hindurchzugehen, nicht aber sie zu überspringen.

Die Bundesregierung zur Ansprechpartnerin zu machen und von ihr zu verlangen, den Kern ihrer Exekutivgewalt, das staatliche Gewaltmonopol, in die Hände einer informellen basisdemokratischen Versammlung zu legen, kann, wenn dem nicht ohnehin ein anderes Kalkül zugrundeliegt, kaum anders denn als gefährlich naiv bezeichnet werden. Der von XR angetretene Kampf müßte aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen des Klimawandels sozialrevolutionär geführt werden. Ohne Umwälzung der herrschenden Eigentums- und Produktionsverhältnisse wird keine Reduktion destruktiven Verbrauches erfolgen, die nicht Gefahr läuft, einen mit quasi faschistischen Mitteln erzwungenen Gegenentwurf zu begünstigen. Wer mit Notstandsrhetorik an die staatliche Verfügungsgewalt appelliert, begibt sich auf den schmalen Grat einer Ermächtigungslogik, von dem in autoritäre Formen der Ermächtigung abzustürzen nicht unwahrscheinlich ist. Ohne fundamentale Kritik an kapitalistischer Vergesellschaftung zu leisten droht sich zu reproduzieren, was die Destruktivität gesellschaftlicher Naturverhältnisse erst hervorgebracht hat. In einer solchen Entwicklung werden emanzipatorische Ansätze zu einer internationalistischen und kosmopolitischen Bewegung gegen Naturzerstörung und Klimakatastrophe kaum einen Platz finden.

Wer es ernst meint mit dem öffentlichen Protest und vorhat, seinen Forderungen mit einer Massenbewegung Nachdruck zu verleihen, kann sich nicht mit Appellen an die falschen Gesprächspartner aufhalten. Wenn aus der zwischen dem Appell an Stellvertreterpolitik und Ruf nach Basisdemokratie klaffenden Lücke gruslige, in blutrote und tiefschwarze Farbsymbolik getauchte Figuren in wallenden Gewändern hervortreten, die an mittelalterliche Bildwelten von Angst und Verzweiflung getriebener Menschen auf der Flucht vor Pest und Krieg anknüpfen, dann wird damit nicht unbedingt ein Zeichen gegen Ignoranz und Desinteresse gesetzt. Die Logik apokalyptischer Bewegungen, daß allein die Aussicht auf das vermeintlich nahende Ende die Menschen dazu veranlasse, über ihren Schatten zu springen, hat häufig genug zu gegenteiligen Reaktionen geführt. Wer keinen Rückfall in die Ohnmacht christlicher Erlösungshoffnung und die Brutalität sozialdarwinistischer Überlebenskämpfe provozieren will, tut gut daran, auf das Interesse an solidarischer kollektiver Zusammenarbeit zu bauen. Eine Linke, die darin den Fundus ihrer politischen Handlungsfähigkeit verortet, hätte eigentlich das größte Potential dazu, eine radikal sozialökologische und ökosozialistische Massenbewegung zu initiieren.

10. Oktober 2019


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