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HERRSCHAFT/1863: Thüringen - fehlender Kampfgeist ... (SB)



"Die Linke verhindern" - was sich CDU, FDP und AfD vor der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten am Mittwoch auf die Fahnen geschrieben haben, taugt im Nachhinein noch zur Rechtfertigung des vermeintlichen Dammbruches, mit Hilfe einer Fraktion, die bisher rechtsaußen liegengelassen wurde, den Kandidaten einer Partei der sogenannten Mitte ins höchste Landesamt Thüringens zu hieven. Der Zweck heiligt die Mittel, nur wird in diesem Spiel eine bloße Attrappe jenes politischen Lagers zum Buhmann aufgebaut, das aus Sicht vieler UnionspolitikerInnen angeblich mit der AfD in eins zu setzen sei. "Ramelow verhindern" wäre mithin eine notwendige Parole der linken Linken, um die Scharade um eine angeblich linke Regierung in Erfurt auf den Abfallhaufen opportunistischer Wahlbündnisse zu werfen. Nichts schadet linker Glaubwürdigkeit im Kampf gegen rassistische Ausgrenzung, patriarchale Anmaßung, imperialistische Kriege und nationalchauvinistische Restauration mehr als eine Neuauflage paternalistischer Politik vom Schlage eines lodengrünen Kretschmann.

Dafür, daß in der bürgerlichen Mitte zusammenkommt, was zusammengehört, ist der zu maßgeblichen Teilen aus Abschwören und dem Verspeisen fetter Kröten bestehende Kurs der Thüringer Linkspartei mitverantwortlich. Indem sie unwidersprochen den Popanz einer Linken mimt, an der das bislang noch unbesiegelte, aber bereits höchst aktive Bündnis aus CDU, FDP und AfD seine ideologischen Unwuchten abschleifen kann, ist sie der Produktion des totalitarismustheoretischen Generalvorwandes links gleich rechts nicht wirksam entgegengetreten. Der schlichte Hütchenspielertrick, mit dem die sogenannte politische Mitte die denkbar größten ideologischen Gegensätze in der Gleichung extremistischer Verfassungsfeindlichkeit aufgehen läßt, kann nur dadurch widerlegt werden, daß die emanzipatorischen Ziele der Linken sich antagonistisch zur AfD wie zu den Parteien der sogenannten Mitte positionieren. Erst dann zeigte sich, wie fadenscheinig die extremismusideologische Nivellierungsstrategie der als StaatschützerInnen und ParlamentarierInnen in Personalunion auftretenden DemagogInnen der sogenannten Mitte ist.

Nur mit Hilfe einer Linken, deren politische Konturen im parlamentarischen Zweckbündnis Rot-Rot-Grün so amorph geworden sind, daß sie im Legitimationsgetriebe der herrschenden Wirtschafts- und Eigentumsordnung keinen Bremsklotz mehr darstellt, konnten zwei Parteien, die zumindest nach außen hin Stein und Bein darauf geschworen haben, niemals mit der AfD zu koalieren oder sich auch nur von ihren Abgeordneten abhängig zu machen, die parlamentarische Reservearmee der Neuen Rechten für sich erschließen. Parallelen zu ziehen zum Aufstieg der NSDAP und der Verkennung nationalkonservativer Kreise, sich den böhmischen Gefreiten dienstbar machen und bei erstbester Gelegenheit wieder entsorgen zu können, erübrigt sich insofern, als die Schwüre der CDU und FDP auch dem historischen Wissen um das Versagen der bürgerlichen und linken Parteien bei der Abwehr des deutschen Faschismus geschuldet sind. Wird dieser Sachverhalt aktiv ignoriert, dann haben die Nachfahren der Steigbügelhalter Hitlers auf jeden Fall nicht vor, einen Pakt mit der aus den eigenen Reihen hervorgegangenen Neuen Rechten auf Dauer auszuschließen.

Das hektische Manövrieren bei der Schadensbegrenzung spricht Bände. Je lauter die Bekenntnisse zur Unvereinbarkeit eigener Positionen mit denen der AfD, desto zwingender wird, wie im Asylrecht exemplarisch vorexerziert, deren inhaltliche Angleichung zur vorgeblichen Eindämmung der rechten Konkurrenz. Für die unaufhaltsam wirkende Rechtsdrift gibt es objektive Gründe, die in der aus sich selbst heraus nicht zu überwindenden Krisenkonjunktur des Kapitalismus und der Eskalation seiner Destruktivität in den gesellschaftlichen Naturververhältnissen begründet liegen. In der, aus Sicht des Erhaltes menschlicher Lebensvoraussetzungen, drohenden Finalität der Klimakrise wird der Konkurrenzkampf um verbliebene Rohstoffe und Landflächen absehbar härter werden. Die Funktionsweise einer universale Menschenrechte zumindest formal anerkennenden und klassengesellschaftliche Widersprüche institutionell moderierenden Gesellschaftsordnung ist dadurch massiv in Frage gestellt, wie die Hinwendung immer größerer Teile Bevölkerung zu autoritärer Staatlichkeit und nationalistischer Restauration belegt.

Es bedarf nur des Zuziehens einiger Stellschrauben der allgemeinen Versorgung und Überlebenssicherung, um der Bereitschaft zur Durchsetzung sozialdarwinistischer Prinzipien in Politik und Gesellschaft freie Bahn zu geben. Es geht ans Eingemachte, an die Substanz sozialer Reproduktion, das wissen arm und prekär lebende Menschen schon lange, und absturzgefährdete BürgerInnen fürchten nichts mehr als das. Gerade deshalb sind neofaschistische Tendenzen so gefährlich, gerade deshalb kokettiert das arrivierte Bürgertum mit antidemokratischen und strukturell gewalttätigen Formen der Herrschaftssicherung.

7. Februar 2020


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