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PROPAGANDA/1319: Schuß vor den Bug notorischer Chávez-Kritiker (SB)



Die Phalanx notorischer Chávez-Kritiker in Venezuela wie auch im Ausland ist konsterniert. Zu deutlich fällt das Votum im Referendum über die Wiederwahl der Amtsträger aus, als daß man den Standardvorwurf aus dem Ärmel ziehen könnte, das Ergebnis sei manipuliert. Und da man die klare Mehrheitsentscheidung der Venezolaner schlechterdings nicht ignorieren kann, ohne das eigene Demokratieverständnis vollends abzuwirtschaften, setzt es säuerliche Nörgeleien, nebulöse Andeutungen und sinistre Verdächtigungen.

Überdies attestiert eine Heerschar internationaler Wahlbeobachter einen friedlichen und störungsfreien Urnengang, an dem nichts zu beanstanden sei. Das sieht der spanischen EU-Abgeordnete Luis Herrero natürlich anders, den man zuvor des Landes verwiesen hatte. Der rechtskonservative Politiker war von der christdemokratischen Partei Copei als "Wahlbeobachter" eingeladen worden und hatte Chávez zwei Tage vor der Abstimmung als "Diktator" beschimpft sowie Manipulationen am Ergebnis der Abstimmung vorhergesagt. Daraufhin rief die Wahlbehörde CNE die Regierung dazu auf, den Spanier auszuweisen, der gegen das Gebot der Neutralität eines ausländischen Beobachters verstoßen habe.

Vor Provokationen jenseits der Grenze geltender Gesetze schreckte auch der extrem regierungskritische Fernsehsender Globovisión nicht zurück, der am Tag der Volksabstimmung eine Pressekonferenz von Vertretern oppositioneller Jugendgruppen live übertrug. Ganz abgesehen davon, daß diese Gruppierungen für eine Reihe politischer Gewalttaten in den vergangenen Wochen verantwortlich gemacht werden, sind Wahlkampagnen während der Abstimmung verboten. Sind das die unabhängigen Medien, die hierzulande so gern zitiert werden, wenn man objektive Berichterstattung aus einem Land vorgaukeln will, in dem die Pressefreiheit angeblich bedroht ist, obwohl die Medien mehrheitlich in Händen der Regierungsgegner sind?

Erstaunlicherweise wirft man der venezolanischen Regierung vor, sie habe nichts unversucht gelassen, um möglichst viele Menschen zum Urnengang zu bewegen und tatsächlich von der hohen Wahlbeteiligung profitiert. Die anhaltende Mobilisierungskraft des "Chavismus" ist den Kritikern offenbar ein solcher Dorn im Auge, daß sie das Engagement der Bürger zu einem Resultat von Verführung erklären. Wenn sich die Menschen einmischen, wird es den Verfechtern einer parlamentarischen Demokratie, die ihren Geschäften lieber ungestört nachgeht, eben doch zu bunt.

Als sich Helmut Kohl nach 16 Jahren und vier aufeinanderfolgenden Amtszeiten 1998 erneut für das Amt des Regierungschefs bewarb, sah darin niemand ein grundsätzliches Problem. Eine Beschränkung der Amtszeit des Bundeskanzlers existiert in Deutschland nicht - doch wer wollte uns auch mit Venezuela in einen Topf werfen! Schließlich braut sich dort "ein gefährliches Gemisch" zusammen, da sich "eine wankende Wirtschaft in der Hand eines zuweilen launigen Populisten" befindet, der sich "durch Sondervollmachten, Vetternwirtschaft und Militärkontrolle mit einer unheimlichen Machtfülle ausgestattet hat", wie die Neue Osnabrücker Zeitung (16.02.09) befindet.

Noch heftiger zieht die FAZ (16.02.09) vom Leder, welche die Europäer daran erinnert, daß ihnen Hugo Chávez nicht egal sein kann. Spätestens seit "seinem Flirt mit Ahmadinedschah" und dem wachsenden "Einfluß der Hamas in dieser Weltgegend" sei höchste Wachsamkeit geboten, zumal der venezolanische Staatschef "eine massive Aufrüstung seiner Streitkräfte" betreibe. "Wofür? Sucht er Krieg mit seinen Nachbarn Kolumbien oder Brasilien - oder würde er sich gern einen Teil von Guyana einverleiben?" Wenn es ums Geld gehe, sei Chávez sowieso schon der Führer der lateinamerikanischen Linken, "denn er finanziert und unterstützt alle - Kuba, Bolivien, Nicaragua, Paraguay und Ecuador. (...) Keiner legt sich mit Chávez an. (...) Es heißt dann häufig, man wolle sich nicht einmischen in die inneren Angelegenheiten eines Landes, aber wahrscheinlich ist mehr Feigheit und Angst im Spiel."

War das etwa ein Vorwurf an die Adresse Barack Obamas, der mit Blick auf das Referendum in Venezuela etwas von Nichteinmischung gesagt haben soll? Wenn die Amerikaner derzeit genug andere Sorgen haben, um auch noch weiter auf Hugo Chávez einzuprügeln, fühlen sich deutsche Zeitungsschreiber augenblicklich berufen, in die Bresche zu springen und Interventionismus zu predigen. Was die Venezolaner gerade in Form des Referendums dazu gesagt haben, ist schließlich nicht von Belang - woher sollten sie auch wissen, was richtige Demokratie ist!

17. Februar 2009