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PROPAGANDA/1384: Denunziation tut not ... gestern wie heute (SB)



Noch vor wenigen Wochen war die Welt des Landesbeauftragen für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Gerhard Ruden, in Ordnung. Auf seine Initiative hin sollte ein Lehrer-Seminar der Landeszentrale für politische Bildung zum "Diktaturenvergleich als Methode der Extremismusforschung" stattfinden, um das heftig gestritten wurde. Einmal mehr sollten NS-Diktatur und SED-Herrschaft gleichgesetzt werden, um letztere mit der massenmörderischen Bilanz ersterer zu delegitimieren. Die CDU, der Ruden angehört, machte mit SPD und FDP geschichtspolitisch Front gegen die Partei Die Linke, die sich diese Gleichsetzung mit dem üblichen Ergebnis, Fleisch vom totalitären Fleische zu sein, verboten hatte.

Vor wenigen Tagen allerdings platzte eine Nachricht in die antikommunistische Normalität, nach der nichts mehr so war wie zuvor. Der 63jährige CDU-Politiker, der einst das Bürgerkomitee zur MfS-Auflösung in Magdeburg mitbegründete und gegenüber ehemaligen SED-Funktionären stets eine besonders unversöhnliche Haltung an den Tag legte, geriet in den Verdacht, mit der Stasi kollaboriert zu haben. Bei einem Verhör durch Beamte des Minsteriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) hatte er 1968 einen Freund mit der Aussage belastet, er habe "Uneinsichtigkeit gegenüber Maßnahmen der DDR" gezeigt. Zudem bezichtigte er ihn, das Verbot des Empfangens westlicher Sender durchbrochen zu haben. Schließlich unterstellte er seinem Opfer, eine Flucht in die BRD geplant zu haben, was dem Mann ein Strafmaß von fünf Jahren Haft bescherte (Neues Deutschland, 01.04.2010).

Daß das Opfer Rudens nach zwei Jahren Gefängnis von der Bundesrepublik freigekauft wurde, mindert Rudens Verantwortung für dessen Schicksal nicht. Der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt konnte den reichlich eintreffenden Rücktrittsforderungen denn auch nicht lange standhalten. Ruden verabschiedete sich mit einer formalen Entschuldigung für "mißverständliche" Äußerungen, die alles im Nebel der Verkennung seiner Person beließ, also keinesfalls als Entschuldigung gewertet werden kann, und stilisierte sich zur verfolgten Unschuld, indem er erklärte: "Keiner kann aus der heutigen Situation der Freiheit ermessen, was es bedeutete, der Stasi ausgeliefert zu sein" (Neues Deutschland, 01.04.2010).

So oder so, schuld ist am Ende allein der untergegangene Staat. Wer aufrecht opponierte, wurde unterdrückt, wer opportunistisch manövrierte, ebenfalls. Sich in einem ideologischen Kontext als Opfer darzustellen, der dies honoriert, neigt dazu, frühere Gewaltverhältnisse zu Lasten der kritischen Analyse heutiger zu verabsolutieren. Wer wie Ruden unterstellt, daß die Bürger der DDR sogar wider der eigenen Überzeugung zur Denunziation genötigt wurden, sprich um Leib und Leben fürchten mußten, wenn sie nicht zu Lasten anderer aussagten, der eignet sich allerdings in besonderer Weise als Nachlaßverwalter des DDR-Geheimdienstes. Schließlich verfügt die Birthler-Behörde über den Datenfundus des MfS und ist, wenn man die Folgen betrachtet, die sich aus der gezielten politischen Verwertung dieser Unterlagen ergeben haben, zu einer Art virtuellen Geheimdienst geworden, der sich zugunsten neuer Herren gegen seine früheren Auftragegeber gekehrt hat.

Wie sich an der fortdauernden Verdammung der DDR als Hort des Bösen zeigt, besteht an Denunziation nach wie vor Bedarf. Wenn ein CDU-Politiker unter neuer Flagge fortsetzt, was er früher schon gemacht hat, dann löst sich die vermeintliche Widersprüchlichkeit dieses Tuns aus seiner Perspektive in nichts auf. Ihm geht es ja nur darum, sich mit dem jeweils Stärkeren zu arrangieren. Damit ist das Wesen des zeitgemäßen Menschentypus recht genau beschrieben, lebt die marktwirtschaftliche Konkurrenz doch davon, daß der homo oeconomicus frühzeitig Hit oder Niete erkennt und dementsprechende Arrangements trifft.

Wer sich windschnittig in die herrschenden Verhältnisse einzufügen versteht, und sei es zum Preis des Verrats sogenannter Freundschaft, dem mangelt es nicht an Anpassungsbereitschaft und Überlebensinstinkt. Eben diese Eigenschaften werden vom gültigen Herrschaftsparadigma als besonders erstrebenswert eingestuft, so daß das Scheitern Rudens lediglich dem Bruch mit der ideologischen Zurichtung, die er als Stasi-Beauftragter repräsentierte, geschuldet ist. Als Mensch wie Politiker wäre er weiterhin für wichtige Ämter verwendungsfähig, hätte der Kapitalismus nicht ein Legitimationsdefizit, für das die DDR auch noch 20 Jahre nach ihrem Ende herhalten muß.

2. April 2010