Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1420: Wer nicht dazugehören soll ... Friedrich beantwortet die Machtfrage (SB)



Die Frage, wer zu Deutschland gehört und wer nicht, ist nicht nur für Muslimas und Muslime bedeutsam. Sie bekommen die programmatische Ansage des neuen Innenministers Hans-Peter Friedrich zwar in erster Linie als Ausgrenzungsaffront zu spüren, sind jedoch nur mittelbare Ziele dieses Anspruchs auf deutschnationale Definitionsgewalt. Nicht die Frage, wer dazugehört und wer nicht, ist relevant, sondern wer darüber entscheidet, wie die Bevölkerung der Bundesrepublik zusammengesetzt ist. Exemplarisch vorgeführt am ökonomisch selektiven Charakter der Einwanderungspolitik wird jedem in der Bundesrepublik lebenden Menschen mitgeteilt, daß die Frage seiner Verwertungstauglichkeit dem prinzipiellen Anspruch auf gleichberechtigtes Dasein vorgeordnet ist.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Regierungspolitiker meinen, über hierzulande lebende Menschen urteilen zu können, hebelt das grundgesetzliche Gleichheitsgebot im Ansatz aus und stellt das Existenzrecht aller in Frage, die in diesem Staat an den Rand gedrängt werden, denen die Stimme genommen wird und die materiellen Lebenschancen vorenthalten werden. Was Friedrich im Schwange der virulenten Islamfeindlichkeit als leitkulturelle Suprematie ins Feld führt, meint nichts anderes als die Übersetzung des Sarrazinschen Sozialrassismus auf regierungspolitische Handlungsgewalt. Der Anspruch auf Zugehörigkeit zum staatlichen und gesellschaftlichen Gemeinwesen soll sich nicht mehr aus humanistischen Grundsätzen ergeben, ja er soll nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft als konstitutionelle Grundlage haben. Wenn die religiöse oder weltanschauliche Gesinnung über die Inanspruchnahme vollständiger Bürger- und Menschenrechte entscheidet, dann gilt dies erst recht für den individuellen Beitrag zur ökonomischen Produktivität der Volkswirtschaft.

Nicht umsonst werden hierzulande Kapitaleigner und nicht Arbeiter als "Leistungsträger" hofiert und mit fiskalischen und anderen Begünstigungen bei Laune gehalten, während Erwerbsabhängige Reallohnverluste und prekäre Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen. Die Klassenspaltung wird mit kulturalistischer Stigmatisierung vertieft, weil der zentrale Konflikt zwischen Kapital und Arbeit auf diesem Feld am wirksamsten zu Lasten letzterer ausgetragen werden kann. Die vielfältige Zusammensetzung der Klasse der lohnabhängig Beschäftigten ist den Herrschenden keineswegs unwillkommen, solange ihre Mitglieder mit rassistischer Feindseligkeit gegeneinander gehetzt werden können. Es gilt, die Konkurrenz nicht nur zwischen ihnen und den Erwerbslosen zu schüren, sondern quer durch die ohnehin von Leiharbeit und anderen Formen von Mittellosigkeit bedrohter Jobsklaverei zerklüftete Arbeitswelt Frontlinien der Gegenseitigkeit einzuziehen, die die Kampffähigkeit der Arbeiterschaft noch weiter schwächen, als sie es ohnehin schon ist.

Selbst wenn die Ansage des neuen Innenministers einem dumpfen Ressentiment gegen alles Fremde entsprungen sein sollte, so wissen seinesgleichen doch sehr gut, daß die Strategie des Teilens und Herrschens nicht notgedrungen an diesem Feindbild aufgezäumt werden muß, sondern die Sicherung ihrer Interessen zahlreiche Vexierbilder verwerflicher Gesinnung und charakterlicher Verderbtheit hervorbringen kann. Entscheidend für die Massenwirksamkeit dieser Galerien menschlichen Scheiterns, bevölkert mit Übergewichtigen, Rauchern, Suchtkranken, Sexualtätern, Sozialschmarotzern, Sektierern oder Diktatoren, sind nicht das Elend und die Gewalt, für die diese Ikonen des Bösen vermeintlich verantwortlich zeichnen. Im herrschaftstechnischen Sinne nützlich sind sie durch die Unversöhnlichkeit des Konsenses der besseren Menschen, nur zum Preis bedingungsloser Unterwerfung zu verzeihen, ansonsten aber mit aller Konsequenz zu maßregeln und zu strafen. In dieser Mehrheitsmeinung geht rückstandslos auf, was an akkumulierter Feindseligkeit in den Kollektiven familiärer, nachbarschaftlicher, besitzbürgerlicher wie nationaler Vergewisserung nur darauf wartet, in Zeiten schwerwiegender krisenhafter Umbrüche mit der Vehemenz bürgerkriegsartiger Eskalation gegeneinander gerichtet zu werden.

Der bürgerliche Anspruch auf Teilhaberschaft meint aus der Sicht des neoliberalen Kapitalismus in erster Linie, vom Wirtschaftsstandort Deutschland zu profitieren, was wiederum die Einspeisung aller verwertbaren Ressourcen in seine Produktivität bedeutet. Wenn Friedrich "den Islam" als nicht zugehörig diffamiert, so gilt dies, wie die jüngste Dämonisierung jeglicher positiven Bezugnahme auf den Begriff des Kommunismus gezeigt hat, erst Recht für sozialistische und kommunistische Formen der Vergesellschaftung. Eine sozial egalitäre Gesellschaft gründet nicht auf Maximen des Teilens und Ausgrenzens, sie bedarf sinnvoller solidarischer und kollektiver Praxis. Dieser wären religiöse und weltanschauliche Fragen so sehr nachgeordnet, wie sie im sozial zutiefst zerrissenen Deutschland zur Unterdrückung der Frage nach lebens- und liebenswertem Zusammenhalt mißbraucht werden.

6. März 2011