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PROPAGANDA/1430: Selektive Berichterstattung ... medialer Geleitschutz für NATO-Bomben (SB)



Die Kriegspresse macht es sich immer leichter. Die am 1. Juli vor einer großen Zahl von AnhängerInnen in Audioform übertragene Rede Muammar al Gaddafis wurde mit leichtem Federstrich in zahlreichen deutschen Gazetten als "wirr" disqualifiziert, nicht allerdings ohne ihr eine weitere Rechtfertigung der NATO-Aggression zu entnehmen. Gaddafi drohe den Europäern mit Anschlägen für den Fall, daß die NATO sich nicht zurückziehe, meldete etwa Zeit Online [1]. Daß es im Anriß zu diesem Artikel heißt: "In seiner jüngsten Ansprache sagte er nun, sein Volk werde 'wie Heuschrecken' über Europa herfallen", macht diese angebliche Bastion journalistischer Seriosität nicht eben vertrauenswürdiger, wird hier doch eine Drohung als Ankündigung ausgegeben. Die auf einem Zitat der britischen BBC beruhende Berichterstattung erweckt den Eindruck, Gaddafi schüre systematisch die Rachsucht seiner AnhängerInnen.

Das geht jedoch selbst aus der BBC-Meldung nicht hervor, derzufolge Gaddafi sagte, daß die Bevölkerung Libyens "in der Lage ist, diese Schlacht eines Tages (...) nach Europa zu tragen, um eure Häuser, Büros, Familien, die legitime militärische Ziele werden würden, so wie ihr unsere Häuser angegriffen habt". ("These people [the Libyans] are able to one day take this battle [...] to Europe, to target your homes, offices, families, which would become legitimate military targets, like you have targeted our homes" [2]. Er fährt fort: "Wenn wir uns dazu entscheiden, dann sind wir in der Lage, wie Heuschrecken, wie Bienen nach Europa zu kommen. Wir raten euch zum Rückzug, bevor ein Desaster über euch kommt". ("If we decide to, we are able to move to Europe like locusts, like bees. We advise you to retreat before you are dealt a disaster" [2].

So weit, so wirr, meinen deutsche Medien, die es sich sparen, Gaddafis Rede im vollständigen Wortlaut wiederzugeben. Was immer von dieser Rede auf deutsch oder englisch verfügbar zu sein scheint, erbringt nichts anderes, als daß die bloße Möglichkeit einer solchen Vergeltung in Aussicht gestellt wird. Das ist in Anbetracht der Parteinahme der NATO auf der Seite der Rebellen, ihrer Anerkennung als legitime Regierung Libyens und ihrer Bewaffnung durch Frankreich eine Reaktion auf der Ebene der Aggressoren. Ginge es diesen tatsächlich um den Schutz der Zivilbevölkerung, dann hätten sie die diversen Verhandlungsangebote Gaddafis und Dritter wie der Afrikanischen Union wahrgenommen, anstatt den noch vor kurzem in westlichen Hauptstädten hofierten Libyer per Internationalem Strafgerichtshof zu kriminalisieren und jegliche diplomatische Lösung an die Voraussetzung seines Rücktritts zu binden.

Für Verhandlungen sei es ein bißchen spät, erklärte beispielsweise die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland. Gaddafi sei mehr und mehr isoliert, seine Tage seien gezählt und es sei Zeit für ihn zu gehen [3]. Ungeachtet solcher strikten Absagen an eine Beilegung des Waffengangs auf diplomatischem Wege scheint die libysche Regierung sehr wohl mit den Rebellen zu verhandeln. Wie Gaddafis Tochter Aisha gegenüber dem Nachrichtenkanal France 2 berichtete, gebe es direkte und indirekte Gespräche. Man sei sogar bereit, "mit dem Teufel zu verhandeln, um das Vergießen libyschen Bluts zu stoppen" [4].

Es war schon immer ein beliebtes Mittel kriegführender Akteure, den Gegner zu dämonisieren, um ihm genau das zuzufügen, was man ihm als Absicht unterstellt und was als vermeintlicher Beweis seiner Bosheit, Heimtücke oder Hinterlist herhalten muß. Den Nato-Bomben sind bereits Hunderte Libyer zum Opfer gefallen, während besagte "Heuschrecken" und "Bienen" bestenfalls auf eine Drohkulisse hinauslaufen, wie man sie vor dem Irakkrieg zu errichten behauptete. Indem die Rede Gaddafis, die Anlaß zu spektakulären Schlagzeilen gab, den europäischen Lesern in einer verläßlichen Übersetzung vorenthalten wird, demonstriert die Kriegspresse nicht nur die suggestive Macht ihrer Selektivität. Sie zeigt auch, wie sehr sie ihrem Publikum mißtraut, könnte es doch Schlußfolgerungen ziehen, die den angeblich gerechten Charakter dieser Aggression in Frage stellen.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-07/gadhafi-rede-europa

[2] http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-13997322

[3] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/angebot.html

[4] http://feb17.info/news/muammar-gaddafi-is-negotiating-with-libya-rebels-his-daughter-says/

5. Juli 2011