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PROPAGANDA/1447: Am Beispiel Broder ... der (gar nicht so) diskrete Chauvinismus der Bourgeoisie (SB)



Henryk M. Broder ist nicht irgendein Blogger. Der Journalist und Publizist wurde 2007 mit der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises in einen illustren Kreis besonders verdienstvoller deutschprachiger Autoren aufgenommen. Sein Bestseller "Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken" gilt vielen Bundesbürgern als Meilenstein zeit- und gesellschaftskritischer Essayistik, mit dem zehnteiligen TV-Format "Entweder Broder - Die Deutschland-Safari" versuchte die ARD, an seine Popularität anzuknüpfen, und Broders langjährige Tätigkeit als Spiegel-Autor unterstreicht seine Bedeutung als meinungsbildende Stimme im deutschen Journalismus. Was seine Bewunderer als Mut zur messerscharfen Analyse gesellschaftlicher Mißstände feiern, gilt seinen Kritikern als polemische Verunglimpfung muslimischer Minderheiten und linker Bewegungen. Das Initiieren von Kontroversen ist sein Markenzeichen, und daß er dabei persönlich verletzend werden kann, hat schon zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt. Sein Ruf als sogenannter Islamkritiker geht über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus und hat auch den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik erreicht, der in seinem Pamphlet "2083: A European Declaration of Independence" aus seinen Veröffentlichungen zitierte.

Unter den auf der Webseite "Achse des Guten" schreibenden Bloggern ist Broder der bekannteste Name, dennoch scheinen seine dort veröffentlichten Texte nicht die gleiche Breitenwirkung zu entfalten wie etwa ein mit seinem Namen gezeichneter Artikel im Spiegel. Ob er dies dadurch zu ändern gedenkt, in der Blogosphäre besonders heftig zuzulangen, oder ob er dies tut, weil der informelle Charakter des Bloggens nicht den gleichen Stellenwert in der öffentlichen Rezeption hat wie ein Zeitungsartikel, bleibt der Spekulation überlassen. Wie gering die Bereitschaft in einem gesellschaftlichen Klima, in dem vom herrschenden politischen Konsens abweichende Positionen linker Abgeordneter notorisch als Gesinnungsdelikte skandalisiert werden, ist, nämliches mit neokonservativen, ihr liberales Legitimationskorsett kulturkämpferisch aufsprengenden Wortführern vom Schlage Broders zu tun, belegt ein mit homophobem Ressentiment spielender Erguß jüngeren Datums aus seiner Feder.

Unter dem Titel "Schickt die Referenten in die wohl verdienten Renten!" [1] fuhr Broder am 18. Januar 2012 auf der Achse des Guten einen Angriff auf Tsafrir Cohen, der für die insbesondere um die Linderung gesundheitlicher Probleme notleidender Bevölkerungsgruppen bemühten Menschenrechtsorganisation medico international als Referent für Palästina und Israel aktiv ist. Einleitend schildert er seine persönliche Begegnung mit dem jungen Israeli und hebt dabei dessen Schwulsein hervor, wobei er zwecks späterer Pointierung nicht vergißt zu erwähnen, daß er den Schwulenguide "Berlin von hinten - The ultimate gay guide to Berlin" mitverfaßt hat.

Broder erhielt seit diesem Kontakt Rundmails von Cohen, in denen dieser zur Unterstützung der Arbeit medicos in Palästina aufrief. Anlaß dafür, diesen Sachverhalt in einem Beitrag zu würdigen, ist eine Mail, in der Cohen gegen die bis zur Folter und gewaltsamen Anschlägen reichende Unterdrückung der palästinensischen Zivilbevölkerung durch die von Fatah und Hamas gebildeten Regierungen protestiert. Davon betroffen war auch ein Mitarbeiter der medico-Partnerorganisation Al Mezan in Gaza.

Dies nun findet Broder "seltsam", habe Cohen doch früher immer nur Menschenrechtsverletzungen der Israelis angeprangert. Nun auch einmal gegen die von Palästinensern gegen die eigene Bevölkerung gerichtete Gewalt zu protestieren sei, so unterstellt Broder dem NGO-Aktivisten auf weniger ironische denn zynische Art und Weise, allein der Betroffenheit eines Kollegen geschuldet:

"Nun aber, da ein Mitarbeiter seiner Organisation angegriffen wurde, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es gibt auch 'Menschenrechtsverletzungen und zunehmende Repression der palästinensischen Autoritäten und bewaffneter Gruppen gegenüber der eigenen Bevölkerung'! Wie schrecklich! Wie konnte das nur passieren? Wo sich doch medico international und Hunderte anderer NGOs um die Not leidende Bevölkerung kümmern! Tag und Nacht, von vorne und von hinten." [1]

Selbst wenn es so wäre, daß es erst einer solchen Tat bedurft hätte, um die innerpalästinensische Repression anzuprangern, wäre das hämische Geifern über diese Inkonsequenz fehl am Platze. Staaten und Regierungen, die in Broders Weltsicht erst dann einen guten Job machen, wenn sie die angebliche Aggressivität des Islam entschieden bekämpfen, handeln vorzugweise gegen ihren erklärten humanitären Kodex, indem sie ihre Verbündeten je nach machtpolitischer Erfordernis mal als respektable Staatenlenker hofieren oder als blutrünstige Diktatoren verdammen. Moralische Kohärenz einzufordern, wo diese längst mit verheernden Folgen an den Meistbietenden verhökert wurde, ist signifikant für die Ambivalenz eines Liberalismus, der Freiheit und Demokratie nur nach Maßgabe eigener Interessen gutheißt.

Der Zeit-Autor Jörg Lau, der diese homophobe Attacke Broders am 26. Januar aufgriff, erinnert in seinem Blog [2] daran, daß medico durchaus schon auf die Repressalien hingewiesen hat, mit denen palästinensische Regierungen die eigene Bevölkerung traktieren. Zwar hat die Intervention Laus, der sich bislang eher nicht als Kritiker Broders hervorgetan hat, fast 250 Leserkommentare zur Folge gehabt, doch scheinen große Zeitungen, die - wie etwa Die Welt - Broder selbst zu ihren Autoren zählen, wenig Neigung zu haben, diesen Affront auf die gleiche Weise zu skandalisieren wie etwa eine Grußadresse linker Politiker an Fidel Castro. Dabei greift Broder unter Bezugnahme auf Spiegel Online ein Thema auf, das den auf die Diskreditierung der Palästina-Solidarität geeichten Blättern der Springer-Presse durchaus zupaß käme. Er nimmt die zweifellos kritikwürdige Rolle der NGO-Industrie in Konfliktgebieten auf die Spitze eines allerdings seinerseits weit hinter den Möglichkeiten, diese in den Kontext kriegerischer Hegemonialpolitik zu stellen, zurückbleibenden Kommentars von der Gehässigkeit eines Sozialrassisten, dem immer nur die anderen parasitäre Nutznießer herrschender Verhältnisse sind:

"Vom Designer-Sofa den Kampf der Palästinenser um Selbstbestimmung unterstützen, abends mit einer Bloody Mary auf das Wohl der Hamas anstoßen und zwischendurch Bettelbriefe nach Europa schreiben - was für ein Leben!

So lange dieses parasitäre Pack nicht von seinem 'Recht auf Rückkehr' Gebrauch macht, wird es keinen Frieden in Palästina geben. Bei Berio am Winterfeldtplatz sind noch ein paar Stellen frei."

Letzteres ist das Lokal, wo Broder gerne einmal eine Schokolade zu sich nimmt und dabei einst vom Kellner Tsafrir Cohen bedient wurde. Dieser soll nun, obwohl Broder mit keiner Zeile nachweist, daß das auf SPON entworfene Bild einer das Leben in Ramallah auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung genießenden NGO-Szene auch auf die Aktivisten von medico zutrifft, bitte schön wieder seinen Platz unter dem Servicepersonal einnehmen, um Herren wie ihn, die ihr Geld im Unterschied zu ihm mit harter Arbeit auf anständige Weise verdienen, zu umsorgen. Daß der Frieden in Palästina an der internationalen Alimentierung einer in ihrer ökonomischen Reproduktion stark eingeschränkten Bevölkerung scheitere, geht als sinistre Apologie des israelischen Siedlerkolonialismus um so genußvoller die Kehle der eigenen Suprematie hinunter.

Daß Broder Menschen, die ihm nicht genehme Positionen vertreten, vorzugsweise unterhalb der Gürtellinie attackiert, ist Ausdruck seiner argumentativen Schwäche und nicht so interessant, als daß es sich lohnte, häufiger darauf einzugehen. Für die massenmediale Konsensproduktion von Belang allerdings ist die Tatsache, daß er als Aushängeschild einer angeblich kritischen, liberale und bürgerliche Werte vertretenden Publizistik gehandelt wird, obwohl er sich immer wieder Ausfälle menschenverachtender Art leistet. Die moralische Verkommenheit einer bourgeoisen Meinungsführerschaft, die das politische Bewußtsein in diesem Land maßgeblich beeinflußt, steht denn auch in deutlichem Widerspruch zum Engagement jener NGOs, die noch nicht im Troß der humanitären Interventionisten reisen, um sich als Nutznießer imperialistischer Kriege bei der Befriedung der eroberten Gebiete zu verdingen. Sich als Israeli für Palästinenser zu engagieren ist, auch wenn SPON und Broder anderes glauben machen, eine in den Augen der israelischen Regierung mißliebige und von daher nicht gänzlich unriskante Arbeit. Man könnte auch sagen, daß die Häme, mit der Henryk M. Broder Tsafrir Cohen [4] überzieht, der beste Beleg für dessen Glaubwürdigkeit als Menschenrechtler ist.

Fußnoten:

[1] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/schickt_die_referenten_in_die_wohl_verdienten_renten/

[2] http://blog.zeit.de/joerglau/2012/01/24/die-achse-des-guten-gegen-schwule-parasiten_5375#comments

[3] http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,806718,00.html

[4] http://www.medico.de/themen/vernetztes-handeln/blogs/paradoxe-hoffnung/

27. Januar 2012