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PROPAGANDA/1454: Al Qaida wird gebraucht ... um sie andern auf den Hals zu hetzen! (SB)




Tagtäglich tönen die Buschtrommeln der Kriegspresse von dem grausamen Diktator in Syrien, der die Menschen schindet und lieber heute als morgen gestürzt werden müßte. Doch schleichen sich immer mehr Fehlfarben ein in die klare Schwarz-Weiß-Kontur, in der der Bürgerkrieg in Syrien gezeichnet ist. Die Rebellen, lange Zeit als bloße Opfer des Assad-Regimes und unterdrückte Kämpfer für Freiheit und Demokratie beklagt, scheinen zu einem Gutteil in der Wolle grün gefärbte Islamisten zu sein. Schlimmer noch, jüngsten Meldungen nach sei die US-Regierung darüber beunruhigt, daß Salafisten, wie mehrere Geheimdienste verlauten ließen, zu den am besten bewaffneten und finanzierten Rebellengruppen gehören. Salafisten ... sind das nicht jene Muslime, die jüngst in der Bundesrepublik zum Ziel großangelegter Razzias der Sicherheitsbehörden wurden, weil man sie terroristischer Ambitionen verdächtigt? Folgen Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft nicht gerade einem "Haßprediger" nach Ägypten, einem bloßen "Durchreiseland", von wo aus sie sich "in Terrorlager begeben oder an Kampfhandlungen in Konfliktgebieten teilnehmen" [1] könnten?

Wie soll der Konsument der Mehrheitsmedien eins und eins zusammenzählen, wenn ihm der Verfassungsschutz und die Infoelite am Ende doch nur den Verlust der ihm auf allen Kanälen verheißenen Orientierung beschert? Wer sind die Guten, wer die Bösen? Geraten nun diejenigen Syrer, die tatsächlich für eine freiere Gesellschaft kämpfen, vom Regen in die Traufe? Und warum nehmen USA und EU die militärischen Dienstleistungen Saudi-Arabiens und Katars in Anspruch, wenn deren Regierung Salafisten- und Al Qaida-Jihadis mit Waffen und Geld ausstatten?

Fragen über Fragen, auf die Menschen, die an einer widerspruchsfreien Darstellung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten interessiert sind, aus einem ganz anderen Grund als dem, daß Politik und Medien nicht in der Lage dazu wären, die Situation zu dechiffrieren, keine Antwort erhalten. Die große Unbekannte in den scheiternden Gleichungsoperationen ist das Eigeninteresse der NATO-Staaten an der Eskalation des Konflikts. Der in Damaskus angestrebte Regimewechsel läßt sich nicht so gut an, wie es deren Regierungen, als sie die syrische Demokratiebewegung mit ihren Hegemonialambitionen korrumpierten, anfangs erschien. Dabei blieb es nicht bei der Diskreditierung und Sanktionierung der Regierung Präsident Assads. Das bekannte Prozedere bunter Revolutionen führte zur militärischen Ausbildung und Aufrüstung der Rebellen und zur Beteiligung ausländischer Söldner an einem vermeintlichen Bürgerkrieg, dessen Internationalisierung man sich nun dadurch einzugestehen bequemt, daß immer häufiger das Wort "Stellvertreterkrieg" fällt.

Wo sich die Demokratiebewegung jegliche Intervention von außen verbot und dies zum Teil immer noch tut, sind längst Kräfte am Werk, die sich Menschenrechte und Schutzverantwortung auf die Fahnen schreiben, um ein Blutbad anzurichten, bei dem sie sich nicht einmal die Finger schmutzig zu machen brauchen. Daß die bewaffnete syrische Opposition von Anbeginn an jedes Angebot der syrischen Regierung auf eine politische Lösung in den Wind schlug, was von den NATO-Staaten insgesamt gutgeheißen wurde, und nun ganz offen die Intervention der NATO verlangt, indem sie eine Flugverbotszone fordert, sollte hinlänglich klar machen, daß diese Entwicklung nicht im Sinne einer Bevölkerung sein kann, die auf eine selbstbestimmte Entwicklung hofft.

Lauscht man den nicht etwa Haß - so etwas machen nur blindwütige Fanatiker - predigenden, sondern in der Selbstgefälligkeit ihrer Urteilskraft kalt den Vollzug des Umsturzes anmahnenden Experten in den Gazetten und Talk-Shows, dann steht die Entwicklung in Syrien längst im Fokus einer geopolitischen Großraumplanung, bei der der Einfluß Rußlands zurückgedrängt und die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran unterstützt werden sollen. Ersteres erfolgt maßgeblich über die als verantwortunglos gegeißelte "Blockadepolitik" Moskaus im UN-Sicherheitsrat, wobei mit humanitären Appellen vergessen gemacht wird, daß Rußland eigene Hegemonialinteressen hat, die aus interessenpolitischen Gründen Zug um Zug weiter in die Defensive gedrängt werden sollen. Letzteres folgt den Entwürfen neokonservativer US-Planer, die schon in den 1990er-Jahren eine Agenda der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens entworfen haben, die auch den Fall eines souveränen Syriens vorsah.

Nie war Stabilitätsexport - so einer der beliebten Euphemismen imperialistischer Politik - so wichtig wie heute, meint auch der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament, Elmar Brok. Dabei dürfe Rußland gerne mit an Bord sein, wenn Moskau nur endlich im Sicherheitsrat einlenke. Aber auch Saudi-Arabien wird von Brok umworben, könne man dessen Herrscher doch gewinnen, "wenn gewährleistet ist bei einer solchen Lösung in Syrien, daß die schiitische Linie von Iran über Teile des Irak und Alewiten und Hisbollah unterbrochen wird". Nämliche Lösung, da waren sich die Gäste der Diskussionssendung des Deutschlandfunks am 25. Juli einig, hat unter Ausschluß der amtierenden Regierung Syriens zu erfolgen. Nicht ob Assad fallen soll, sondern wie dies zu erfolgen hat beschäftigt Politiker und Journalisten dieser Tage, so daß man bei derartigen Gesprächsrunden den Eindruck gewinnen könnte, dort planten Generalstäbler und Sozialtechnokraten in trauter Runde den nächsten Krieg und die danach zu oktroyierende Ordnung.

Wer dagegen einzuwenden wagt, daß dies doch Sache der Syrer und nicht der Regierungen anderer Staaten sei, auf den fällt der gleiche Bannstrahl, mit dem der zweifellos despotische, aber nichtsdestoweniger von einem Gutteil der Bevölkerung Syriens unterstützte Bashar al Assad als Ausbund des Bösen verteufelt wird. Wie den imperialistischen Übergriff in die Tat umsetzen, ist die Frage, die den scheinbaren Widerspruch zwischen der islamfeindlichen Stigmatisierung von Salafisten im Binnenraum Deutschlands und der Unterstützung militanter Jihadis in Syrien in die höhere Ordnung hegemonialpolitischer Ratio hebt. Im eigenen Land will man sie nicht haben, aber wenn sie sich als Fußtruppen bei einem Umsturz anderswo einsetzen lassen, in dessen Gefolge dann ein neokolonialistisches Regime von NATO Gnaden die Sachwalterschaft eigener Interessen übernimmt, dann wird vieles möglich.

Und so dreht sich das Karussell westlicher Kriegspolitik einmal mehr um die Achse einer Herrschaftsicherung, für die allein das Ergebnis zählt. Wie wurde nach den Anschlägen des 11. September 2001 gejammert, daß die CIA mit den Mujahedin in Afghanistan die falschen Kantonisten gegen die sowjetischen Truppen im Land aufgerüstet habe. Heute scheint man wieder bereit, selbst Al Qaida mit an Bord zu nehmen, wenn es um die Sache der Guten geht, als die sich die westliche Wertegemeinschaft inszeniert. Wie Pepe Escobar berichtet [2], ist man im neokonservativen Lager sehr angetan von den militärischen Qualitäten Al Qaidas. Zwar empfiehlt Ed Husain, seines Zeichens Senior Fellow for Middle Eastern Studies im renommierten US-Think Tank Council on Foreign Relations, schon jetzt mit der Planung für den Tag zu beginnen, da man den Djinn aus der Lampe wieder in sie hineinbekommen muß. In seinem Beitrag dokumentiert er aber auch, daß man in der US-Administration keineswegs abgeneigt ist, sich vorerst seiner wertvollen Dienste zu versichern:

"Die syrischen Rebellen wären unvergleichbar schwächer heute, wenn sie nicht Al Qaida in ihren Reihen hätten. Im Großen und Ganzen sind die Bataillone der Freien Syrischen Armee (FSA) erschöpft, gespalten, chaotisch und ineffizient. Da sie sich vom Westen alleingelassen fühlen, sind die Rebellentruppen zusehends demoralisiert, wenn sie gegen das überlegene Waffenarsenal und die Professionalität der Streitkräfte des Assad-Regimes antreten. Al Qaida-Kämpfer hingegen könnten dabei helfen, die Moral zu verbessern. Der Zustrom der Jihadis sorgt für Disziplin, religiöse Inbrunst, Gefechtsfelderfahrung aus dem Irak, Gelder von sunnitischen Sympathisanten am Golf und, was am wichtigsten ist, tödliche Ergebnisse. Kurz gesagt, die FSA braucht Al Qaida jetzt". [3]

Kein Grund also, sich den Kopf zu zerbrechen über vermeintliche Ungereimtheiten in der Berichterstattung über den Krieg in Syrien. Es ist die alltägliche Scharade zwischen moralgetränkter Propaganda und realpolitischer Interessenpolitik, mit der die Menschen für dumm verkauft werden ... und sich in vielen Fällen, sonst könnte die mediale Kulissenschieberei nicht so wirkmächtig sein, auch für dumm verkaufen lassen.

Fußnoten:

[1] http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Salafisten-folgen-Hassprediger-nach-Aegypten-id21455606.html

[2] http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/NH10Ak04.html

[3] http://www.cfr.org/syria/al-qaedas-specter-syria/p28782

15. August 2012