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PROPAGANDA/1460: Tauschwert Moral - Anerkennung für Unterwerfung (SB)




Wer das Gute postuliert, setzt das Schlechte voraus. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will mit ihrer Jobcenter-Kampagne "Ich bin gut" Vorurteile gegen Erwerbslose beseitigen. Sie bedient sich dabei einer Moral, die suggeriert, nur derjenige Mensch könne "gut" sein, der sich für die Arbeitsgesellschaft so krumm macht, daß ihm die Unterwerfung als Glück erscheint und der aufrechte Gang zum Schrecken wird. Anerkennung gezollt wird für den vorauseilenden Gehorsam, sich unter fast allen Bedingungen und Umständen verwertbar zu machen. Das gelingt desto besser, wenn die Betroffenen in der Hackordnung sozialchauvinistischer Distinktion ganz unten sind, so daß mit höchst bescheidenen Mitteln neues Selbstwertgefühl geschaffen werden kann. Um der bei der Hamburger Werbeagentur Scholz & Friends in Auftrag gegebenen Imagekampagne "Ich bin gut" neuen Schub zu verleihen, ließt die BA eine Allensbach-Umfrage zu Vorurteilen gegenüber Hartz IV-Empfängern durchführen, deren Ergebnis erwartungsgemäß ausfiel:

"Die von der BA in Auftrag gegebene Erhebung zeigt, dass 57 Prozent der Deutschen denken, Hartz IV-Empfänger wären bei der Arbeitsuche zu wählerisch, ebenso viele halten sie für schlecht qualifiziert. Über die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass sie überhaupt nicht aktiv nach Arbeit suchen und nichts zu tun haben. Rund 40 Prozent glauben, Hartz IV-Empfänger wollen nicht arbeiten.
Dass solche Vorurteile kaum etwas mit der Realität zu tun haben, zeigen Analysen der BA. So ist für 75 Prozent der Menschen in der Grundsicherung Arbeit das Wichtigste in ihrem Leben. Über 70 Prozent von ihnen wären sogar bereit, Arbeit anzunehmen, für die sie überqualifiziert sind." [1]

Das positive Ergebnis, das die BA mit "Erfolgsgeschichten" über ihre "SGB II-Kunden" [2] dokumentiert, besteht darin, Arbeit als solche zur unverzichtbaren Basis bürgerlicher Existenz zu erheben, völlig unabhängig davon, wie die Konditionen ihrer Verrichtung sind und was mit ihr eigentlich produziert und geleistet wird. Lohnabhängige befinden sich in Anbetracht der dauerhaften Massenarbeitslosigkeit in der höchst nachteiligen Lage, ihre Arbeitskraft zu Niedrigpreisen verkaufen zu müssen. Indem Arbeit zum Existenzzweck per se erhoben wird, sollen sie dazu genötigt werden, nicht das ökonomische Gewaltverhältnis, dem sie ausgesetzt sind, zum Thema ihrer Probleme zu machen. Sie sollen sich auch noch dankbar dafür zeigen, daß sie eine mit großer Chance schlecht bezahlte Tätigkeit verrichten können, deren Inhalt ihnen gleichgültig zu sein hat. Alle Ansprüche an Entlohnung und Qualität der Arbeit aufzugeben, um nur in den angeblichen Genuß eines Jobs zu gelangen, ist die Kernforderung der zur Zivilreligion überhöhnten Arbeitsdoktrin. Ihres angeblichen Segens wird nur teilhaftig, wer sich widerstandslos in fremdbestimmte Verrichtungen treiben läßt.

In Britannien, wo man in der unverhohlenen Durchsetzung neofeudaler Klassendiktate immer schon etwas weiter ist, konnte man im August in der Boulevardzeitung Daily Mirror unter der Überschrift "Warum unsere neuen Legionen arbeitsloser Hochschulabsolventen ihre Ansprüche anpassen müssen" lesen, daß "der deutsche Slogan 'Arbeit macht frei' durch seine Verbindung zu den Konzentrationslagern der Nazis irgendwie korrumpiert ist, aber seine zentrale Botschaft 'Arbeit macht dich frei' immer noch etwas ernstzunehmendes hat, das zu empfehlen ist". [3] Die von der Autorin des Artikels propagierte Ansicht, junge Leute könnten in jedem noch so unangenehmen Job etwas für ihre weitere berufliche Karriere lernen - was inzwischen häufig bedeutet, unbezahlte Arbeit in Praktikantenstellen zu verrichten -, findet sich auch in der BA-Kampagne. Um die Vorurteile, an deren Aufkommen Scholz & Friends als maßgebliche PR-Agentur der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nicht unwesentlich beteiligt war und die als solche verharmlost werden, sind sie doch Ergebnis einer sozialrassistischen Hetze, die nicht zuletzt von Politikern betrieben wurde, die sich als Steigbügelhalter des Kapitals verdingen, zu widerlegen, sollen sich Erwerbslose ohne Vorbehalte fremden Forderungen und Interessen überantworten.

Wenn die kapitalistische Arbeitsgesellschaft zur moralischen Umverteilung der Schuld von oben nach unten greift, weil der Lohn der Arbeit immer weniger zur Reproduktion der Arbeiterinnen und Arbeiter reicht, dann läuft die ökonomische Umverteilung von unten nach oben Gefahr, in ihrer Legitimation angegriffen zu werden. "Gut" wird der Mensch nicht durch die Befreiung von jeglicher Herrschaft, sondern die Einsicht in die angebliche Notwendigkeit, daß es Herren und Beherrschte gibt.

Daß ihm zum Überleben in einer kapitalistischen Gesellschaft nichts anderes als der Verkauf seiner Physis und Lebenszeit bleibt, ist die Basis des auf ihn ausgeübten Zwangs. Daß er sich diesem Diktat widerstandslos fügt, anstatt Möglichkeiten zur Existenzsicherung jenseits der konventionellen Bahnen der Kapitalverwertung zu erkunden oder zum sozialrevolutionären Kampf um eine andere Gesellschaft aufzurufen, ist der blinde Fleck dieser Herrschaftsdoktrin. Auf die Anerkennung einer durch Privatinteressen bestimmten Eigentumsordnung nicht nur zu pfeifen, sondern sie als Affront zu begreifen, bedeutet im Wertekanon dieser Moral, schlecht zu sein, sprich sich schuldig zu machen. Nur so ist sozialer Fortschritt möglich. Die Schuld braucht nicht beglichen zu werden, wenn man sie nicht akzeptiert, und dies beginnt damit, fremdbestimmte und lohnabhängige Arbeit als Herrschaftsinstrument zu verwerfen.

Fußnoten:

[1] http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Pressemeldungen/2012/Presse-12-042.html

[2] http://jobcenter-ich-bin-gut.de/erfolgsgeschichten

[3] http://www.guardian.co.uk/media/greenslade/2012/aug/13/dailymail-twitter

24. Oktober 2012