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PROPAGANDA/1470: So doppelt die Moral, so einseitig die Absicht (SB)




Man zeigt sich "enttäuscht". Uli Hoeneß habe die Menschen an der Nase herumgeführt, indem er Wasser gepredigt und Wein gesoffen habe. Doch was genau werfen die Kommentatoren der Zeitungen und Sender dem Präsidenten des FC Bayern München vor, wenn sie das Mantra vom gefallenen Engel herunterbeten, als seien sie persönlich von diesem Riß im Wertekosmos des deutschen Bürgertums betroffen?

Der Chor der sich belogen und getäuscht Fühlenden wirkt nicht eben glaubwürdig, wenn er auf der einen Seite den erfolgreichen Geschäftsmann feiert, um ihn, als die Konsequenz seines merkantilen Tuns ruchbar wird, vom Sockel des Vorzeigeunternehmers zu stoßen. Zugespitzt könnte man sagen, daß nicht die mutmaßliche Steuerhinterziehung als solche beklagt wird, sondern die Tatsache, daß Hoeneß dazu genötigt war, mit dem Mittel der Selbstanzeige schlimmere Folgen von sich abzuwenden. Schließlich resultierte die Bewunderung, die ihm gezollt wurde, neben seinen sportlichen Erfolgen und der ihm zugute gehaltenen Unterstützung in finanzielle Probleme geratener Vereinsmitglieder vor allem auf dem lautstarken Eintreten für die neoliberale Transformation von Staat und Gesellschaft.

So warnte er im September letzten Jahres in einer nun vielzitierten Talkshow mit Günther Jauch [1] nicht nur davor, daß die hohe fiskalische Belastung wohlhabender Bürger die Steuerflucht ins Ausland verstärkte. Er forderte auch, daß der Staat wie ein Unternehmen zu funktionieren habe und die Ausgaben radikal kürzen müsse, um im Sinne der nationalen Reichtumsproduktion erfolgreich zu wirtschaften. Im Brustton der neoliberalen Überzeugung, daß der Markt das effizienteste Mittel zur Organisation der Gesellschaft sei, präsentierte sich Hoeneß als Advokat einer Leistungsdoktrin, die ihm nicht nur hinsichtlich der sportlichen Erfolge seines Vereins gut zu Gesicht stand. Wie maßgeschneidert auf das Ideal des Entrepreneurs, der seinen Erfolg niemand anderem als sich selbst schuldet, belegte der Selfmademan den unterstellten Zusammenhang von eigenverantwortlich erbrachter Leistung und wohlverdienter Belohnung. So legitimierte der persönliche Erfolg den Primat marktwirtschaftlicher Konkurrenz vice versa.

Nun mündet die beklagte "Enttäuschung" nicht etwa in die hehre Erkenntnis, daß die Inszenierung gesellschaftlicher Vorbilder bloßer Schaum auf der Oberfläche einer Eigentumsordnung ist, die Gewinner und Verlierer produziert, ohne daß dies maßgeblich auf der Bemühung oder Verweigerung der jeweils Begünstigten oder Betroffenen basierte. Die Einsicht in den nunmehr wahren Charakter des vermeintlich über die eigene Gier Gestolperten wird schlicht als Minus auf dem moralischen Konto des mutmaßlichen Steuersünders verbucht und mündet in ein allgemeines Lamento über die Ungerechtigkeit einer Welt, die die Kleinen straft und die Großen laufen läßt. Wie es zu diesen eklatanten Unterschieden kommt, interessiert um so weniger, je zielsicherer an den konstitutiven Widerspruchsfaktoren Kapital und Arbeit vorbeioperiert wird.

Andere wiederum fühlen sich in Verteidigung des natur- wie gottgegebenen Charakters der Klassengesellschaft gerade jetzt aufgerufen, eine Lanze für ihren in Bedrängnis geratenen Helden zu brechen. So wird im Mindener Tageblatt (23.04.2013) räsoniert, Hoeneß "dürfte in seinem bisherigen Leben weitaus mehr Steuern gezahlt und Spenden geleistet haben als die meisten Menschen, die sich jetzt so wunderbar moralisch über ihn erheben können", die Spieler des FC Bayern stehen angeblich wie ein Mann hinter ihrem Chef, und Olaf Thon attestiert seinem ehemaligen Klubmanager, mit der mutmaßlichen Steuerhinterziehung "nichts Weltbewegendes" [2] getan zu haben.

In jedem Fall erweist sich die in Anspruch genommene Moral als so flexibel und belastbar, wie man es von den Menschen verlangt, denen sie aufoktroyiert wird. Unglaubwürdig und inkonsequent ist nicht das Verhalten eines Hoeneß, der unter den wirklich Reichen dieses Landes ein kleines Licht ist und gerade deshalb zur Projektionsfläche neoliberaler Glorifizierung taugt. Haltlos und irreführend ist die Annahme, daß dem Primat der Marktkonkurrenz Grenzen sozialer Art gesetzt wären, die eine andere Funktion hätten als die sozialdarwinistischen Verhältnisse zu legitimieren, die sie angeblich einhegen sollen. Dementsprechend kann die herrschende Moral niemals, wie im vorliegenden Falle behauptet, eine doppelte sein.

Die im Falle von Hoeneß hervortretende Differenz von Schein und Sein ist das Ergebnis der ideologischen Strategie, die Wechselfälle des sozialen Gegeneinanders an der Konstante notwendiger Herrschaftsicherung auszurichten. Verläßlich stabil ist das Interesse, die bestehenden Verhältnisse mit aller instrumentellen Intelligenz, die es zur Inszenierung moralischer Schattenspiele bedarf, fortzuschreiben. Die aufbrandende Empörung darüber, daß hehre Werte wie Ehrlichkeit und Loyalität ein Preisschild tragen, beweist lediglich die Wirksamkeit eines Akzeptanzmanagements, das die Verhandlung moralischer Ansprüche an die Stelle materieller Gewaltverhältnisse setzt, um die daraus resultierende Ohnmacht verdaulich zu machen. Würde die Erkenntnis der eigenen Aussichtslosigkeit nicht durch die Suggestion zumindest moralischer Verhandlungsspielräume gebrochen, dann wäre mit entschiedenem Widerstand zu rechnen.

Um es dazu nicht kommen zu lassen, werden der Bevölkerung mit einem Hoeneß oder einem seiner Fußballstars Identifikationsangebote unterbreitet, anhand derer die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse auf eine Weise personalisiert und individualisiert werden, daß die unmittelbare Konfrontation mit ihnen unterbleibt. Vorbilder dieser Art aufzubauen, ist das Werk einer kulturindustriellen Inszenierung, die die gesellschaftliche Szenerie mit Lichtgestalten wie der des bayrischen Wurstfabrikanten und Feindbildern wie angeblichen Sozialschmarotzern und linksradikalen Staatsfeinden bevölkert. Um die allgemeine Unzufriedenheit in produktive Energien der Anpassungs- und Leistungsbereitschaft verwandeln zu können, bedarf es starker Kontraste und spannender Erzählungen, die niemals am Quell jener Gewalten rühren, die das soziale Drama hervorbringen.

Wechselt ein Spieler, wie gerade geschehen, inmitten einer sportlichen Entscheidungschlacht aus offenkundig pekuniären Gründen den Verein, dann wird er tausendfach als "Söldner" oder "Verräter" beschimpft, obwohl er nichts anderes getan hat, als die Geschäftsordnung des kommerziellen Unterhaltungssports folgerichtig zu seinen Gunsten zu vollziehen. Die Irrationalität des Glaubens an eine Vereinsloyalität, die dem Sportler eine Selbstlosigkeit abverlangte, die nur als Antithese zur Marktkonkurrenz Bestand haben könnte, fällt mithin ganz auf diejenigen zurück, die ihr frönen. Es scheint allemal erträglicher zu sei, sich im Wellenschlag von Hoffnung und Enttäuschung, von Euphorie und Frust hin- und hertreiben zu lassen, als sich mit den Kräften und Interessen auseinanderzusetzen, die Ausbeutung betreiben und Unterwerfung verlangen. Was im Skandal um Uli Hoeneß bekräftigt wird, ist die Legitimität einer neofeudalen Elite, die die Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs in eigennütziger Absicht setzt und die Behauptung, gerade so sei es gut und richtig, in mundgerechten Happen verabreicht.

Fußnoten:

[1] http://www.fail.to/watch/4359-ulli-hoeness-gegen-die-linken

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2084133/

24. April 2013